13.11.2019

Der Mann mit den zwei Namen

Walter Zünd aus Kriessern ist eine Legende als Fahrer, Veranstalter und als Betreuer seiner drei motocrossfahrenden Töchter.

Von Gerhard Huber
aktualisiert am 03.11.2022
Gerhard Huber Motocross Walter Zünd ist ein Mann der vielen Geschichten. Die Rheintaler Legende im Motocross. Ein Mann, der im Sport viel erlebt hat. Und ein Mann mit zwei Namen. Denn viele Jahre lang fuhr er, da noch zu jung war für die Schweizer Lizenz, in Österreich unter der Bezeichnung «Günter Landholt» mit angeblichem Wohnsitz in Vorarlberg seine Rennen.«Mit etwa 14 Jahren bin ich mit einem selbst zusammengebauten Töff mit Zündapp-Gussrahmen und -Motor, DKW-Spezial-Vordergabel und einer Puch-Federgabel rund ums Haus gegurkt. Damals hatten wir eine ältere Nachbarin, Emma. Sie hat dann jeweils die Zeiten gestoppt und geschaut, dass keine Autos kommen, weil ich über ein Brückchen auf die Strasse gejumpt bin. In den Ferien arbeitete ich immer bei SFS. Mit dem dort verdienten Geld habe ich mit knapp 16 Jahren meine erste «echte» Motocrossmaschine, eine gebrauchte Husqvarna 250 gekauft. Am Samstag. Am Sonntagnachmittag habe ich dann gleich mit Kollegen bei einem Landwirt trainiert. Am Montag sollte ich beim Opel Frei in Widnau meine Lehre anfangen. Sollte, tat ich aber nicht. Denn das Gaskabel der Husqvarna war ausgefranst, das Gas blieb stecken und ich krachte mit Vollgas in die Stallwand. Schien- und Wadenbeinbruch. Nix mit Lehrbeginn.»Als Günther Landholtin Österreich gefahrenWas den neuen Lehrherren natürlich nicht freute. Er stellte den jungen Motorradcrack vor die Wahl, er solle entweder gleich Motocrossprofi werden oder die Lehre bei Opel Frei ordentlich machen und in dieser Zeit die Finger von seinem geliebten Sport lassen. Was für den jungen Walter Zünd natürlich nicht in Frage kam. Er machte zwar die Lehre als Kfz-Mechaniker. Aber er fuhr auch heimlich Motocross.«In der Schweiz bekam man damals ohnehin erst mit 18 Jahren eine Lizenz. Ich machte daher inkognito unter dem falschen Namen «Günter Landholt» in Österreich bei den Rennen mit. So erfuhr man auch beim Opel Frei nichts. Das war eine tolle Zeit, denn damals fuhren wir mit den klingenden Namen wie Heinz Kinigadner, der später Weltmeister wurde, seinen Brüdern Hans und Klaus oder Harry Everts. Trotz der starken Startfelder konnte ich meist einen Platz unter den ersten zehn Fahrern ergattern. Wir haben dann im Winter auch beim Skijöring mitgemacht. In Alberschwende, auf der verschneiten und präparierten Betonradrennbahn im Bregenzer Stadion oder in Au im Bregenzerwald. In Au ist man im fünften Gang mit dem Skifahrer dahinter mit bis zu 130 km/h vor 20000 Zuschauern durch die Dorfstrassen gerast. Der frühere Formel-I-Teamchef Walter Wolf war Sponsor, Niki Lauda wurde mit dem Heli eingeflogen. Das war eine der wenigen Möglichkeiten, mit dem Motorradfahren etwas Geld zu verdienen.»Sportkarriere als Ringer gestartetBei diesen Skijörings hatte Walter Zünd das Glück, super Skifahrer im Schlepptau zu haben. Nämlich seine Ringerkollegen aus Kriessern. Denn der Motorradfahrer begann seine sportliche Karriere, wie es sich für einen echten Kriessner gehört, bei den Ringern, wo er noch in der Juniorenstaffel gerungen hatte. Was ihn körperlich fit für das Motocross machte. Denn verblüffenderweise ähneln sich die Anforderungen. Man muss ungeheuer auf das Geschehen fokussiert sein und eine möglichst perfekte Motorik und Reaktion aufweisen. Und gerade die den Ringern eigene Rumpfstabilität ist beim Crossfahren von grossem Vorteil. Denn letztlich gewinnt bei diesen 30- oder 40-minütigen Rodeos auf den schnellen zweirädrigen Maschinen der, der körperlich und geistig am fittesten ist.«Die Schweizer Lizenz ergatterte ich dann mit 18 Jahren. Damals musste man noch in einem Feld von etwa dreihundert Fahrern, aufgeteilt in Dreissigergruppen, um die Lizenz für das kommende Jahr fahren. Zu diesem Rennen bin ich mit einer von einem Freund geliehenen Maschine angetreten, die nicht unbedingt zu den besten zählte. Der Kollege hat vielleicht gestaunt, dass ich die Lizenz geschafft habe!»Gestaunt haben dann auch die Konkurrenten, als Walter Zünd gleich sein erstes Rennen bei den Junioren in Volketswil gewann. Ende Jahr ist er dann bereits zum ersten Mal Schweizer Vizemeister geworden und zur Klasse der «Nationalen» aufgestiegen. Und gewann wieder in einer Saison mehrere Rennen, wurde Vierter in der Meisterschaft, was zum neuerlichen Aufstieg zu den «Internationalen» berechtigte. Wo er im ersten Jahr die SAM-Meisterschaft für sich entscheiden konnte. Und daneben nach wie vor als «Günter Landholt» bei den österreichischen Staatsmeisterschaftsläufen mitfuhr.«Günter Landholt hatte seinen angeblichen Wohnsitz an der Adresse meines Freundes Günter Brüstle in Lauterach. So konnte ich auch in Vorarlberg trainieren, damals gab es beim ‹Sender› im Dornbirner Ried eine Trainingsstrecke. Was in der Schweiz nicht möglich war. Ich war übrigens mit meinem pseudo-österreichischen Wohnsitz nicht der Einzige. Mehrere Schweizer Motocrosser machten es damals so. Ab 1984 machte ich als Amateur bei den Europameisterschaftsläufen mit. Das war das Jahr, in dem Hans Kinigadner bei einem Rennunfall querschnittgelähmt wurde. 1986 hat es dann mich mit einer schweren Verletzung erwischt. Drei Wirbelfortsätze waren gebrochen, ich hatte Lähmungserscheinungen. Es war beim englischen Lauf zur Europameisterschaft. Ein einschneidendes Erlebnis. Da erwachst Du in einem Saal mit dreissig Betten, weisst nicht, wo Du bist, kannst kein Wort Englisch, weisst nicht, wie es weitergeht. Im selben Jahr erwischte es dann auch meinen Kollegen Titus Haltiner, der im Rollstuhl landete. Nein, so konnte es nicht sein.»Also Schluss mit Motocross. Wenigstens vorläufig. Walter Zünd gründete eine Familie, hatte inzwischen neben dem Kfz-Mechaniker auch eine kaufmännische Ausbildung gemacht, und kam übers Motorradfahren zum Fahrlehrerberuf. Er gründete seine eigene, heute noch von ihm betriebene Fahrschule in Kriessern. Aber wer einmal vom Cross-Virus befallen ist, der bleibt süchtig nach dieser rasanten und akrobatischen Art der motorsportlichen Ertüchtigung und dem damit verbundenen Adrenalinschub. «Ich habe 1984 mit meiner Frau Doris den Motocross-Event in Oberriet gegründet und dann auch zwanzig Jahre lang als Benefizveranstaltung organisiert und durchgeführt. Doris hat ja ihren Sport, die Leichtathletik, quasi fürs Motocross «geopfert». Und 1996 rief mich Ernst Häusler an. Die berühmte, ja beinahe legendäre Marke CCM aus England baue wieder Motorräder, ob ich nicht als einziger Schweizer CCM-Fahrer wieder Rennen fahren wolle? Dazu muss ich erwähnen, dass ich schon in ganz jungen Jahren Fan von CCM war und Ernst Häusler als Importeur um eine Maschine angegangen bin. Jetzt war es also so weit: Comeback-Rennen nur eine Woche nach dem Anruf am Hoch-Ybrig und gleich wieder gewonnen.»Walter Zünd ist dann bis 2009 wieder Motocrossrennen gefahren. Auch bei den Oldtimern. Viele Jahre voller Glück, vielen schönen und interessanten Erlebnissen. Seine Frau, die er einst bei einem Auftritt der Mölltaler beim Tanzen kennenlernte, war bei allen Rennen samt den Kindern mit dabei. Auch bei seinem letzten Antreten als Lizenzfahrer, bei dem von seinem Vordermann ein Stein aufgewirbelt wurde, der ihm das Sprunggelenk zertrümmerte. «Dennoch hatte ich keine Einwände, als meine drei Töchter auch Motocross fahren wollten. Denn mit den richtigen Trainingsplänen und der modernsten Schutzausrüstung lassen sich sehr viele Unfälle und Verletzungen von vorneherein vermeiden. Der Sport ist nicht gefährlicher als andere Sportarten. Man muss sich nur immer des Risikos bewusst sein. Da habe ich natürlich von Anfang an meine Erfahrung einfliessen lassen. Das «MX-Ladies-Team» mit meinen inzwischen erwachsen gewordenen Mädchen Katja, Nina und Michelle ist das Hobby der ganzen Familie. Wir reisen gemeinsam zu den Rennen. Das Tolle am Sport ist: Du brauchst für den Erfolg ein entsprechendes soziales Umfeld, geregeltes Leben und ein Einkommen, da wir ja Amateure sind. Du lernst das Umgehen mit Problemen. Der Sport ist eine Lebensschule. Und obwohl das Motocrossfahren letztlich ein Einzelsport ist, kannst du es nicht alleine machen.»Ein Tausendsassa mit vielen AktivitätenDie Rheintaler Motocrossszene trainiert mangels entsprechender Möglichkeiten in der Schweiz im Vorarlbergischen Möggers, wo eine permanente Rennstrecke zur Verfügung steht. Als vor vielen Jahren der dortige Landwirt und damalige Grünenabgeordnete Georg Fritz bestens geeignete Flächen zur Verfügung stellte, war Walter Zünd bei der Gründung des Vereins und dem Bau der dortigen Strecke dabei und sass viele Jahre im Vereinsvorstand, wo jetzt seine älteste Tochter Katja tätig ist. Nach wie vor steht er dem SAM Altstätten mit etwa 200 motorsportbegeisterten Mitgliedern als Präsident vor. Und weil das alles für diesen aktiven Menschen noch nicht ausreicht, leitet Walter Zünd die Kriessner Männerriege, läuft Halbmarathons und rüstet alte Motorräder auf.«Was mich unglaublich gefreut hat, war, dass ich 2007 den Ehrenpreis der Sportlerwahl des ‹Rheintalers› erhalten habe. Nach einer Publikumswahl. Das hat mich sehr gestärkt. Ich hätte nie gedacht, dass unsere Randsportart Motocross im Rheintal eine derartige Unterstützung hat.»

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