Susi MiaraAgnes Fenyödi war 41, als sie ihre Koffer packte und ihrer Liebe nach Ungarn folgte. Das ist jetzt zehn Jahre her. Heute führt die gelernte Drogistin einen Kosmetiksalon, beschäftigt zwei Mitarbeiterinnen und hilft ausserdem in der Pension ihrer Eltern mit, wenn Not am Mann ist.Eltern als Flüchtlinge in die Schweiz gekommenAgnes Fenyödi ist in Diepoldsau geboren. Dort besuchte sie die Primar- und Sekundarschule und absolvierte danach eine Lehre als Drogistin. Den Beruf übte sie einige Jahre aus, später arbeitete sie als Ärzteberaterin im Pharmaaussendienst. Mit ihrem Mann lebte sie in Berneck.Ihre Tochter wohnt heute noch im Rheintal, genauso wie ihre Schwestern. Die beiden Brüder leben in Ungarn.Agnes Fenyödis Eltern sind vor 30 Jahren wieder nach Bucsa, die Geburtsstadt ihres Vaters, gezogen. Sie sind 1956 während des Aufstandes in Ungarn in die Schweiz geflüchtet. Kennengelernt haben sie sich in der Schweiz. In Diepoldsau eröffnete Vater Béla eine Autolackiererei. Mutter Greti half in der Werkstatt und kümmerte sich gleichzeitig um die neunköpfige Familie.Vor fast 30 Jahren haben sie die Lackiererei verkauft und kehrten zurück nach Ungarn. Dort führen sie eine Pension. Vor 20 Jahren folgten ihnen auch die beiden Brüder. Beide sind heute in der Landwirtschaft tätig.Am meisten vermisst sie ihre TochterSeit zehn Jahren lebt nun auch Agnes Fenyödi in Bucsa. Während eines Urlaubs hat sie dort ihre grosse Liebe getroffen und den Entschluss zum Auswandern gefasst. Am meisten vermisst sie ihre Tochter, die im Rheintal lebt. «Daher versuche ich, sie mehrmals jährlich in der Schweiz zu besuchen oder wir unterhalten uns über Skype», sagt sie.Bürokratie und schlechtes GesundheitssystemGemeinsam mit ihrem Lebenspartner, der Landwirt ist und mit seinen drei Mitarbeitern rund 500 Hektar Land bewirtschaftet, lebt sie in Bucsa. «Wir leben eigentlich über dem dort üblichen Standard. In dieser Region sind die Menschen sehr arm und wohnen in einfachen Verhältnissen», sagt sie. Oft bewohnt eine vier- bis fünfköpfige Familie ein Zweizimmer-Haus und muss mit einem durchschnittlichen Lohn von etwa 400 Franken auskommen. Dies, obwohl die Lebensmittel fast so teuer sind wie in der Schweiz.Die grössten Probleme bereitet ihr aber die umständliche Bürokratie. «Das kenne ich aus der Schweiz überhaupt nicht», sagt sie. Auch das Gesundheitssystem lasse stark zu wünschen übrig, vor allem die langen Wartezeiten bis zu den Untersuchungen und Behandlungen. Oft warten die Patienten Wochen oder sogar Monate auf eine Ultraschalluntersuchung.Schneller gehe es auf privatem Weg – auf eigene Kosten, was wiederum sehr teuer ist. Auch der Zustand der Strassen sei katas-trophal. Sehr viele Strassen seien völlig kaputt, meist werde nur behelfsmässig geflickt.Die Uhren ticken in Ungarn langsamerVermisst Agnes Fenyödi die gewohnte Lebensqualität, die sie von der Schweiz her gewohnt ist? Auch nach zehn Jahren fällt ihr die Antwort schwer: «Beide Länder bieten auf ihre Art Lebensqualität.» Die Schweiz, sauber und geordnet, mit funktionierendem Gesundheitswesen, alles gut erreichbar. In Ungarn gibt es eine viel kleinere Auswahl und lange Wege, wenn man etwas Spezielles finden will.Trotzdem findet sie, der Stress sei in Ungarn viel kleiner. «Ich kenne niemanden, der ein Burn-out hat, was in der Schweiz immer häufiger vorkommt», sagt sie. «Die Uhren ticken hier wohl etwas langsamer.» Sie fühlt sich in Ungarn sehr wohl, würde aber auch unter bestimmten Umständen wieder in die Schweiz zurückkehren. Bereits seit Anfang der 70er-Jahre ist sie nämlich Bürgerin von Diepoldsau.Ungarn ist bei Rentnern immer beliebterUngarn zählt heute zu den Favoriten bei Rentnern, die sich dort ein sorgenfreies Leben mit ihrer AHV versprechen. Das kann auch Agnes Fenyödi bestätigen. Abgesehen von den eher teuren Lebensmitteln sei das Leben in Ungarn sehr viel günstiger als in der Schweiz. Auf jeden Fall empfiehlt sie, eine Krankenversicherung abzuschliessen, die es erlaubt, bei schlimmeren Zwischenfällen zur Behandlung in die Schweiz zu reisen. Die Ärzte seien zwar sehr gut ausgebildet, die Spitäler würden aber zu wünschen übrig lassen. Die Ungarn sonst seien sehr freundlich, hilfsbereit und Fremden gegenüber aufgeschlossen, sodass sogar die Sprache kein Hindernis ist.