17.04.2019

Der Herr der Matchplakate

Der FC St. Gallen hängt keine Matchplakate mehr auf – zum Bedauern von Robert Adolf. Er hat rund 200 Exemplare zu Hause. Sie erinnern ihn an berührende Geschichten auf und neben dem Spielfeld.

Von Daniel Walt
aktualisiert am 03.11.2022
Daniel WaltWer die Wohnung von Robert Adolf betritt, kommt ins grünweisse Königreich. Ungezählte Schätze aus Espenmoos-Zeiten lassen das Herz eines jeden FCSG-Fans höher schlagen. Hier ein Matchprogramm aus dem Jahr 2006, dort das Mannschaftsposter aus der Saison 1989/90 mit Ivan Zamorano, Hugo Rubio und Patricio Mardones; hier eine Saisonkarte aus den 1990er-Jahren, dort ein Zeitungsausschnitt zum 125-Jahr-Jubiläum im Jahr 2004.Herr über all dies ist der 61-jährige Robert Adolf aus Thal. Vor genau 30 Jahren, kurz nachdem er der Liebe wegen in die Schweiz gekommen war, verlor der Deutsche sein Herz auch noch an den FCSG. «Die Stimmung im Espenmoos beim 5:1 gegen die Old Boys war derart grandios, dass ich zum Fan wurde», sagt er. Ehrensache, dass Adolf das Eintrittsticket bis zum heutigen Tag aufbewahrt hat.Viele Plakate aus der Espenmoos-Ära entsorgtUnter den FCSG-Reliquien von Robert Adolf befinden sich auch rund 200 Matchplakate. Ein einziges stammt aus Espenmoos-Zeiten. Die restlichen Matchankündigungen aus der Vor-Arena-Zeit hat er in den 1990er-Jahren entsorgt. Seine Ehe war in die Brüche gegangen, Adolf konnte sich zeitweilig nur noch eine Einzimmerwohnung leisten und hatte keinen Platz mehr.Später, der FC St. Gallen war soeben ins neue Stadion umgezogen, begann Robert Adolf wieder mit dem Sammeln von Plakaten. Zu den rund 200 Stück, die er mittlerweile wieder besitzt, werden zu seinem Bedauern keine weiteren mehr dazukommen. Denn wie kürzlich bekannt wurde, hat der FCSG entschieden, im Zuge der verstärkten Digitalisierung auf sie zu verzichten. Er bedauere dies, sagt Adolf. Denn für den 61-Jährigen sind die Plakate kleine Kunstwerke, die ihn an Tore und Tragödien erinnern. Aus der Fülle seiner Exemplare haben es ihm einige besonders angetan. Ein Plakat vom September 2012 kündigt ein Heimspiel gegen Servette an. Adolf: «Mitte August 2012 erlitt ich einen Hirnschlag. Mein Ziel war es, gegen Servette im Stadion zu sein. Und ich war da.» Auch das Plakat, das auf das Abschiedsspiel von Marc Zellweger hinweist, bedeutet ihm nach wie vor viel. «Zelli war einer meiner Lieblingsspieler. Der FCSG muss nicht wie Barcelona spielen. Er muss kämpfen.»Geboren in KriegsgefangenschaftDie Gegenwart geniessen, aber das, was war, nicht vergessen: Dieses Prinzip hat sich Robert Adolf auch fernab des Stadions zu eigen gemacht. Der 61-Jährige Vater von Marcel Adolf, dem Präsidenten der SVP Berneck, ist dankbar für alles Gute, das er erleben durfte. Bis an sein Lebensende präsent bleiben ihm aber auch die dunklen Seiten seiner Familiengeschichte. Robert Adolfs Vater, ein Mitglied der deutschen Wehrmacht, wurde im Zweiten Weltkrieg von den Russen gefangen genommen. Nach dem Krieg lernte er, immer noch in Gefangenschaft, eine Köchin kennen, die im Lager arbeitete. Die beiden heirateten und bekamen fünf Kinder – Robert Adolf ist das jüngste von ihnen. 1960 dann kam die Familie frei und durfte nach Deutschland ausreisen. Ein neues Leben begann – allerdings eines, das alles andere als einfach war.Auch Robert Adolfs Start in der Schweiz 1989 verlief nicht einfach. Wenn jemand Deutscher sei und auch noch Adolf heisse, habe er es hierzulande nicht leicht, blickt der 61-Jährige zurück. Trotzdem: Der Mann biss sich durch – und erlebte in seinem ersten Match im Espenmoos die angeblich so zurückhaltenden Schweizer von einer ganz neuen Seite: emotional, unkontrolliert, überbordend.Rund 20 Plakate aus dem neuen Stadion fehlen Robert Adolf in seiner Sammlung, unter anderem jene der Europa-League-Partien gegen Valencia und Swansea. «Die würde ich gerne haben», sagt er. Aktiv auf die Suche danach geht Robert Adolf aber nicht – so versessen darauf sei er auch wieder nicht. Handkehrum würde er seine Plakate nie mehr entsorgen. Und auch nicht verkaufen.Denn Robert Adolf weiss: Grünweisse Emotionen – und die Erinnerungen daran – sind unbezahlbar.

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