08.07.2018

Der Güggel und das Kreuz

Seit Donnerstag sitzt der frisch vergoldete Güggel wieder auf dem Turm der katholischen Kirche. Es ist ein Sonderfall, dass das Symbol der Reformierten den Katholiken gehört.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Monika von der LindenZwei hochragende Kirchtürme markieren das Zentrum des Städtlis. Aussergewöhnlich ist das nicht. In vielen Dörfern des Rheintals sind die katholische und die evangelisch-reformierte Konfession mit je einer Kirche vertreten. Bereits von Weitem kann man sehen, zu welcher sich ihre Mitglieder bekennen. Auf dem Turm der Katholiken ist ein Kreuz errichtet, auf dem der Reformierten sitzt ein Güggel.Die Regel trifft nicht auf Altstätten zu. Dort sitzt auf beiden Türmen ein Güggel. Goldglänzend thronen sie hoch oben. Sie schauen sich nicht an, blicken immer in die gleiche Richtung. Dorthin, wohin der Wind weht.Einigkeit zerbricht nach 111 JahrenDiese Eigenheit ist begründet in der Historie. Im Jahr 1793 waren sich die Reformierten und Katholiken einig. Sie wollten eine Kirche im Zentrum errichten und halbierten die Kosten für den Neubau eines paritätischen Gotteshauses. Als weit sichtbares Zeichen des Friedens setzte jede Konfession ihr Symbol auf die Turmspitze: Die Katholiken das Kreuz und die Reformierten den Güggel.Im Laufe der Jahre bröckelte die Einigkeit. Analog zur Entwicklung in anderen Dörfern entfernten sich beide Konfessionen voneinander. Man zog es vor, die Unterschiede und nicht mehr die Gemeinsamkeiten im christlichen Glauben zu betonen. Bald entstand ein regelrechter Zwist. Zum Beispiel hatte der katholische Mesmer die Schlüsselgewalt und bestimmte, wer die paritätische Kirche nutzen durfte.Der Wunsch der Reformierten wuchs, aus der Abhängigkeit zu entfliehen. Als die Sparkasse der Kirchgemeinde am 14. Juni 1904 ein Grundstück schenkte, zerbrach der konfessionelle Frieden endgültig. Nach 111 Jahren unter dem gleichen Dach mit den Katholiken baute die evangelische Kirchgemeinde ihre eigene Kirche – vis-à-vis. Die Katholiken zahlten eine Auslösung in Höhe von 130000 Franken. Mit dem Geld war ein Grossteil der Kosten des Neubaus der evangelischen Kirche gedeckt. Sie betrugen et- wa 270000 Franken. Den Güggel überliessen die Reformierten den Katholiken als Leihgabe.Der «christliche Wind» wehte nicht mehr aus der gleichen Richtung. Erst recht nicht, als der zweite Güggel ins Städtli einzog und die Menschen in Altstätten von der reformierten Seite aus beobachtete. Der katholische und der reformierte Güggel kümmerten sich nicht um die Unterschiede. Sie blickten in die gleiche Richtung – bis heute.Reformierter Güggel wurde KatholikDie Beharrlichkeit der beiden Tiere – sie erinnern daran, dass Petrus Jesus am Vorabend seines Todes dreimal verleugnete – zahlte sich aus. Hundert Jahre nach dem Auszug aus der katholischen Kirche, am 3. November 2004, schenkten die Reformierten den Katholiken den Güggel als Zeichen einer künftigen erspriesslichen Zusammenarbeit.Ökumenisches Zeichen aufgefrischtInzwischen pflegen beide Konfessionen wieder ein gutes Verhältnis. «Heute betonen wir eher das Gemeinsame», sagte Roger Benz, reformierter Präsident, am Donnerstag. Sein katholischer Amtskollege William Canal hatte ihn eingeladen, gemeinsam das Symbol der Reformierten zurück auf den katholischen Turm zu setzen. Im Rahmen der Kirchenrenovation wurde der Güggel neu vergoldet. «Wir sitzen im gleichen Boot», sagte William Canal. «Beide Kirchen verlieren an Relevanz in der Gesellschaft.»Das sagen zwei Präsidenten, die sich nicht als reine Verwalter, sondern auch als Gestalter verstehen. Sie diskutieren im gleichen Hauskreis, organisieren und fördern die Durchführung gemeinsamer Anlässe. Im November gibt es erstmals einen ökumenischen Ehekurs und im Frühjahr einen konfessionsübergreifenden Glaubenskurs.Eine erspriessliche Zusammenarbeit – heute wie im Jahr 1793.

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