An der Diepoldsauer Vorversammlung vom Montag äusserte sich jemand anerkennend über die inzwischen vielen Tempo-30-Zonen im Dorf. Das Lob war allerdings mit einem grossen Vorbehalt, einer rhetorischen Frage verbunden: Was nützen diese Zonen, wenn die Einhaltung der Geschwindigkeit nicht kontrolliert wird?Das sei ein Irrtum, wandte Gemeindepräsident Roland Wälter ein. Es fänden sehr wohl Kontrollen statt. So hätten letztes Jahr in Diepoldsau gleich mehrere Autofahrer bei einer solchen Kontrolle ihren Ausweis abgeben müssen, ausserdem seien viele weitere Lenkerinnen und Lenker gebüsst worden.Ach ja? Das ist erstaunlich. Denn die St.Galler Regierung und die Kantonspolizei vertreten seit Jahren den Standpunkt, auf Geschwindigkeitskontrollen in Tempo-30-Zonen lasse sich verzichten. Seien 30er-Zonen richtig geplant und mit den richtigen baulichen Massnahmen (wie Asphaltkissen, Verengungen, oder Strasseninseln) versehen, könnten die Autofahrer gar nicht schneller als 30 fahren, wird behauptet.Gilt diese Haltung nun nicht mehr? – Doch, sie gilt. Die Nachfrage bei der Kantonspolizei führt zu der klaren Aussage, die Kantonspolizei führe in 30er-Zonen keine Geschwindigkeitskontrollen durch, aus dem genannten Grund.Hat der Gemeindepräsident also geflunkert? Ging es ihm darum, Autofahrer aufzuschrecken und sie zur Einhaltung von Tempo 30 zu bewegen? Nein, keineswegs! Die Kantonspolizei hat letztes Jahr tatsächlich in einer Diepoldsauer 30er-Zone eine Geschwindigkeitskontrolle durchgeführt – auf Wunsch der Gemeinde. Ohne Aufhebens und unter dem Mantel der Verschwiegenheit.Die Polizei hat die Kontrolle weder der Gemeinde angekündigt, noch hat sie im Nachhinein in irgendeiner Weise informiert, selbst der Gemeindepräsident wusste lange nicht, dass der Wunsch erfüllt worden war. Die Polizei will nämlich die Kontrollen, die sie angeblich nicht durchführt, lieber nicht an die grosse Glocke hängen - wohl darum nicht, weil sie sonst angesichts der vielen Tempo-30-Zonen im Kanton mit Kontrollgesuchen überschwemmt würde. Erst auf Anfrage hat Roland Wälter im Dezember von der im Mai durchgeführten Kontrolle erfahren.Natürlich sind Geschwindigkeitskontrollen wie jene in Diepoldsau sehr begrüssenswert. Hingegen ist es ganz und gar nicht zu begrüssen, wenn gesagt wird, Kontrollen in Tempo-30-Zonen fänden keine statt – und dann wird trotzdem kontrolliert und auf die Bekanntmachung im Nachhinein auch noch verzichtet.Das ist erstens unfair. Zweitens – was noch schlimmer ist – lässt der Irrglaube, bei 30er-Zonen handle es sich um unkontrolliertes Territorium, die breite Öffentlichkeit am Sinn der Tempo-30-Zonen zweifeln.Dieser Zweifel wird noch grösser, wenn man sich die grossen Gestaltungsunterschiede vor Augen führt, die zwischen Tempo-30-Zonen teilweise bestehen. Dem zumindest theoretisch hohen Anspruch der Kantonspolizei an solche Zonen werden längst nicht alle 30er-Zonen gerecht.Zum Teil sind die ergriffenen baulichen Massnahmen erstaunlich rudimentär. An der Schachenstrasse in Lüchingen zum Beispiel bewegt nur die Einsicht der Verkehrsteilnehmer, nicht aber der Strassenraum zur Einhaltung von Tempo 30. Die Zone ist so gestaltet, dass sich problemlos auch doppelt so schnell durchfahren liesse. Potenziellen Rasern sind keine wirklichen baulichen Schranken gesetzt. Anderseits befindet sich an der nahen Kesselbachstrasse eine 30er-Zone, die zwar zu lediglich freiwilliger Tempobeschränkung ermuntert, aber bei den Eingangstoren und bei der Kreuzung Bodenerhebungen aufweist.Der grosse Schwindel besteht einerseits im erwähnten, angeblichen Kontrollverzicht der Kantonspolizei, die auf Wunsch von Gemeinden insgeheim doch kontrolliert, und andererseits im Nebeneinander von 30er-Zonen, die grosse Unterschiede aufweisen und teils nicht befriedigen.2017 hat die GLP-Kantonsrätin Sonja Lüthi eine Interpellation eingereicht und die St.Galler Regierung gefragt: „Wie rechtfertigt die Regierung, dass für Raser in 30er-Zonen das Risiko massiv kleiner ist, für ihre Übertretungen gebüsst zu werden, als dies in allen anderen Tempozonen der Fall ist?“ Worauf die Kantonsregierung in Aussicht stellte, man werde die Kontrolltätigkeit in Tempo-30-Zonen überprüfen und gegebenenfalls intensivieren.Gerne wüsste man als Autofahrer und Anwohner, was nun Sache ist. Auch Gemeindepräsident Roland Wälter hat eine klare Meinung. Er fände gut, wenn entweder die Polizei selbst über Geschwindigkeitskontrollen in 30er-Zonen nachträglich informieren würde oder sie es den Gemeinden alternativ wenigstens freistellt, ob sie die Bevölkerung über solche Kontrollen in Kenntnis setzen wollen.Dass Kontrollen auch in Tempo-30-Zonen sinnvoll sind, steht aus der Sicht des verkehrstechnischen Laien ausser Frage.