19.10.2021

Der goldene Ratsschreiber

Werner Vetsch ist seit 50 Jahren Schreiber der Bürgergemeinde Rheineck. «Ich habe sehr früh angefangen», sagt er.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Werner Vetsch tunkt den Beutel Hagebuttentee ins Glas mit heissem Wasser. Noch bevor das Getränk gezogen hat, führen die Erinnerungen den 75-Jährigen fünf Jahrzehnte weit zurück. Es war im Jahr 1970 als er zum ersten Mal im Gasthaus Pöstli sass. «Ich war 23 Jahre alt und wurde zum Präsidenten des Männerchors gewählt», sagt er. Es sei besonders schön, nun am gleichen Ort über seine Zeit als Schreiber der Bürgergemeinde Rheineck sprechen zu können. Die Korporation hatte das Gasthaus vor Jahresfrist gekauft und dadurch erhalten können.Die Liebe hatte den in Grabs aufgewachsenen Primarlehrer nach Rheineck geführt. «Meine Frau stammt von hier. Dank ihr knüpfte ich schnell viele Kontakte im Ort.» Schon nach einem Jahr bewarb sich Werner Vetsch auf die Stelle des Ratsschreibers. Zu Grabser Zeiten hatte er nebenher als Korrespondent für den «Werdenberger & Obertoggenburger» gearbeitet und Schreiberfahrung gesammelt. Damals war Rudolf Custer Bürgerratspräsident. «Es hatte sicher einen Einfluss, dass ich reformiert bin», sagt Vetsch. «Seinerzeit waren die Reformierten im Rat dominant.»Dorfvereine gab es in Rheineck nichtAm 1. Oktober 1971 trat der 25-jährige Zugezogene die Stelle an und blieb ohne Unterbruch bis heute. «Einmal gab mir Rudolf Custer einen Brief zurück. Ich hatte darin von Dorfvereinen geschrieben.» Obwohl Rheineck damals einen Gemeinde- und keinen Stadtpräsidenten hatte, habe er es nicht als Dorf bezeichnen dürfen. «Ich musste den Brief neu und Ortsvereine schreiben.»Schnell verstand Werner Vetsch, wie die Ortsgemeinde im Detail funktioniert und welche Bedürfnisse bei Entscheidungen mitspielen. «Ich hatte zwar nie Stimmrecht, habe aber immer meinen Kommentar zu den Geschäften abgegeben», sagt er. Die Bedeutung der Ortsgemeinde habe sich verändert. «Vor 50 Jahren hatte sie grossen Einfluss auf die Bodenpolitik, was immer wieder zu Konflikten zwischen Orts- und Politischer Gemeinde führte.» Die Politische Gemeinde sei meist bestrebt gewesen, Industriebetriebe anzusiedeln und neue Wohngebiete zu erschliessen. Die Ortsgemeinde besitzt viel Land und ging damit stets sparsam um. «Man hätte Gewaltiges aufbauen können, dann wäre aber der Boden ausverkauft worden.» Vetsch beteiligt sich meist an den teils hitzigen Diskussionen. «Ist aber erst einmal eine Entscheidung gefallen, trage ich sie mit.»Nicht einig mit dem Rat war Werner Vetsch beim Verkauf des Waisenhauses vor rund zwanzig Jahren. «Ich persönlich hätte es nicht gemacht.» Seiner Meinung nach hätte man etwas Sinnvolles aus dem alten Gebäude machen können, hätte aber auch investieren müssen. Als richtig erachtet Werner Vetsch es, dass das Bürgerheim abgebrochen wurde. Das Altersheim weiterzuführen wäre zu komplex und teuer geworden. Es hätte eine ausgebildete Heimleitung eingestellt werden müssen. «Das Haus musste weichen, damit etwas Neues entstehen konnte.» Die Entscheidung, dort Alterswohnungen zu errichten, habe sich als richtig erwiesen.Die Schreibmaschine als treuer BegleiterIn fünf Jahrzehnten verfasste Vetsch ungezählte Gutachten, Briefe und Protokolle. Obwohl er längst mit einem Computer arbeitete, benutzte er die alte, halb-automatische Schreibmaschine noch bis zum Ende der letzten Legislatur. Der Rat wollte bis dahin kein digital erstelltes Protokoll haben. «Ich sollte es jeweils zu Beginn der Ratssitzung verlesen und heftete es danach im Protokollbuch ab.» Werner Vetsch hat stets die Verbindung zu Rheineck gehalten – auch nachdem er 1989 zurück nach Grabs gezogen war. Heute lebt er in Rebstein und möchte bis zum Ende der Amtsdauer Ratsschreiber bleiben. Er dürfte aber schon jetzt der dienstälteste im Kanton sein. «Mir ist niemand bekannt, der die Stelle länger als ich innehatte.» Das ist nur möglich, weil er als junger Mann begann.«Ein echtes Problem ist die Überalterung der Ortsgemeinde.» Es täte ihr gut, brächten sich auch mehr eingebürgerte Rhein-ecker ein. «Sonst verändert sich die Gesellschaft ja auch.» Im Moment bilde die Korporation einen zu kleinen Teil der Gesellschaft ab. «Wir strahlen aus, dass wir konservativ sind», sagt Werner Vetsch. «Beide Aspekte bedingen sich gegenseitig.»

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