07.01.2021

Der goldene Organist

Als Ministrant spielte Kurt Metzler zum ersten Mal auf einer Orgel. Heute blickt er auf 50 Jahre als Kirchenmusiker.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Hätte Kurt Metzler eine Orgel in seiner Wohnung stehen, spielte er heute gewiss «Il est né, le divin enfant» (Es ist geboren, das göttliche Kind). Stattdessen summt er die Melodie des französischen Weihnachtslieds. «Sie wächst mit der Zeit zu einem musikalischen Blumenstrauss heran», sagt er.Das Werk klingt ihm vom Neujahrstag noch nach. Er trug es auf der Orgel in der katholischen Kirche in Widnau vor. Seit Kurt Metzler ein junger Mann war, spielt er auf der Königin der Instrumente. Die in der Josefskirche verfügt über 40 Register und drei Manuale. Entsprechend gross ist der Orgel Klangvielfalt und die Spannweite zwischen leisen und lauten Tönen.Die Gicht des Organisten liess ihn Lehrling werdenAls Kurt Metzler die vierte Primarklasse in Balgach besuchte, kannte er sein Berufsziel schon. «Ich hatte den Wunsch, Lehrer zu werden», sagt er. Daraufhin kauften seine Eltern ein Klavier und ermöglichten dem Bub, Klavierunterricht zu nehmen. Das war der Startschuss zur Laufbahn des nebenamtlichen Kirchenmusikers. Sie mündet in ein aussergewöhnliches Dienstjubiläum: Seit 50 Jahren steht Kurt Metzler als Organist im Dienst der Widnauer Katholiken.Die Gicht in den Fingern des Balgacher Organisten und pensionierten Primarlehrers Johann Stillhart veranlasste ihn, dem Klavierspieler und Ministranten Kurt Metzler das Orgelspielen nahezubringen. «Als ich in der zweiten Oberstufe war, machte er mich zu seinem Lehrling und liess mich einige Lieder in Gottesdiensten spielen.» Als angehender Oberstufenlehrer verfeinerte Metzler seine Fertigkeit im Seminar in Rorschach.Zwanzig Jahre alt war Kurt Metzler, als er im Jahr 1971 als Abschlussklassenlehrer (heute Reallehrer) nach Widnau kam. Zunächst unterrichtete er im Schulhaus Rüti und dann im «Wyden». Als die Sekundarschule 1998 mit der Abschlussklasse zur Oberstufe vereint wurde, wechselte er ins «Gässeli». In der Schule spielte er Klavier, in der Josefskirche Orgel.In fünfzig Jahren an den Orgeltasten und -pedalen veränderte sich viel. Früher war das Gotteshaus kalt, heute ist es geheizt. Auch die Seelsorger spielen heute eine grössere Rolle in der Kirchenmusik. Früher war es den Pfarrherren mehr oder weniger egal, welche Lieder der Organist spielte. «Es gab keine Kommunikation. Ich wählte das komplette Programm immer selbst aus», sagt Kurt Metzler.Dieser Spielraum ist ihm und seinem Kollegen Andreas Schmid nur bei Instrumentalstücken geblieben. Seit in den 80er-Jahren zusätzlich zu den Pfarrherren immer mehr Pastoralassistenten ihren Dienst aufnahmen, wählen die Seelsorger die Lieder selbst aus. «Heute schicken alle ein umfangreiches Drehbuch.» Die Stücke spielt der erfahrene Organist ab Blatt. Ihm bleibt an Eigeninitiative, Instrumentalstücke als Zwischenspiel oder zum Auszug auszuwählen.Die Top 50 der OrgelwerkeDieser Aufgabe widmet sich Kurt Metzler mit Hingabe. Allein zu Weihnachten füllen Notenbücher eine Schachtel. Zu jedem Stück notiert Metzler das Datum, an dem er es gespielt hat. «So hören es die Leute nicht zu oft und zu schnell hintereinander.» Zu seinem Repertoire zählt der Organist klassische und romantische Werke. Er spielt auch gern Stücke zeitgenössischer Komponisten wie die «Orgeltänze» der St. Gallerin Maja Mösch-Schildknecht oder volkstümliche Stücke von Stephan Thomas aus Chur. «Ich möchte meine Vielfalt immerzu erweitern und zeigen, dass die Orgel kein angestaubtes Instrument ist.» Ein Lieblingsstück mag Kurt Metzler nicht benennen. «Ich habe Top 50», sagt er. Ein Lied für jedes Dienstjahr.Neue Kirchenlieder führt die Pfarrei nur zurückhaltend ein. «Die Leute sind sehr empfindsam. Sie möchten singen. Wir möchten sie aber nicht mit fremden Melodien und Texten vor den Kopf stossen», sagt Kurt Metzler. Eine neues Lied wird immer mit Vorsänger oder dem Kirchenchor eingeübt.Im Gottesdienst zu singen, ist aktuell verboten. «Ich spiele jetzt die gleichen Lieder wie sonst auch, registriere sie aber dezenter, um nicht zum Mitsingen zu animieren», sagt Kurt Metzler. «Die Leute akzeptieren die Einschränkung und summen ein Lied vielleicht einmal mit.»Im Laufe der Jahre baten immer mehr Gruppen Kurt Metzler um eine musikalische Begleitung. Inzwischen ist er an zwei Wochenenden im Monat Gottesdienstorganist und spielt an Proben und Auftritten des Kirchenchors oder an Trauergottesdiensten mit dem Frauenchor. Kurt Metzler hat ausserdem ein Diplom an der Orgel erworben und sich im Gesang weitergebildet. Seit er an Beerdigungen spielt, hat er sich auch mehr mit dem Sterben und dem Tod beschäftigt. Die Liedtexte haben ihm geholfen, das Thema nicht mehr zu tabuisieren.«Ich habe das Orgelspielen immer als ein Dürfen empfunden und fühle mich musikalisch immer noch fit», sagt er.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.