05.12.2019

Der farbenblinde Fotograf

Patrick Kobelt Gonzalez hat seine Leidenschaft im Fotografieren gefunden – nachdem er früher als Model vor der Kamera stand.

Von Talina Steinmetz
aktualisiert am 03.11.2022
Talina SteinmetzPatrick Kobelt hat seine Schwäche zur Stärke gemacht. Seine Farbenblindheit sei ausschlaggebend für den Stil seiner Bilder, sagt er.«Jetzt die Hände auf die Brüste. Den Blick etwas weiter nach links. Nicht lachen.» Patrick Kobelt wartet, bis das Model seine Anweisungen befolgt. Die junge Frau trägt nichts ausser High Heels, einen Body und unzählbare Tattoos am Körper. Mit durchgedrücktem Rücken lehnt sie sich an eine kalte Betonwand. Die Haare sind auf der einen Seite ganz abrasiert, auf der anderen fallen sie bis zum Po.Patrick Kobelt tänzelt vor ihr rum, wechselt wiederholt die Position. Dann drückt er den Auslöser der Kamera. «Du kannst dich umziehen, die ersten sind im Kasten», sagt er zum Model, während sein Blick noch auf dem Display der Kamera haftet.Patrick Kobelt Gonzalez, wie der Fotograf mit vollem Namen heisst, widmet sich seit etwa sechs Jahren der Fotografie. Unter seinem Label PKG Photography hat er vor allem auf Instagram eine steigende Reichweite: dem 30-Jährigen folgen mehr als 22 000 Personen.Schaut man sich die aktuelle Fotokulisse an, könnte man meinen, man befinde sich in einer Industriehalle – nicht in der Wohnung des Fotografen in Diepoldsau. Der Raum besteht aus Betonwänden und einer langen Fensterfront, die grosszügig Licht spendet. Verschiedene Totenköpfe dienen als Accessoires. Im Schlafzimmer steht eine freistehende Badewanne. «Ich mag es gern schlicht», sagt Kobelt fast beiläufig und konzentriert sich wieder auf die Kamera.Bunte Elemente sucht man in der ganzen Wohnung vergeblich. Schwarz-Weiss dominiert in allen Räumen, nur eine Wand ist leicht cremefarben. Böse Zungen würden sagen, diese Farblosigkeit wirke trostlos oder düster. Für Kobelt ist dies, mit wenigen Ausnahmen, jedoch auch ausserhalb von seinem Zuhause der Alltag: Der Fotograf ist farbenblind.Ein grünes MeerschweinchenNeben Schwarz und Weiss kann Kobelt die Grundfarben Rot, Gelb und Blau sehen. Vom gleichen Gendefekt sind Vater und Bruder betroffen. «Bei mir ist es einfach noch ein bisschen schlimmer», sagt der Fotograf.Dass er «anders sieht als die anderen», wie er es formuliert, hat Kobelt schon in der Primarschule gemerkt. «Wir mussten ein Familienbild zeichnen. Ich malte mein Meerschweinchen grün.»Daraufhin begann seine Mutter, die Farbstifte mit der Bezeichnung der jeweiligen Farbe zu beschriften. «Das ging lange gut, bis die anderen Kinder angefangen haben, die Zettel an den Farbstiften zu vertauschen», erinnert sich Patrick Kobelt. «Von da an malte ich nur noch mit Bleistift und lernte so, mit der Beeinträchtigung klarzukommen.»Dunkel, aber elegantHeute hat Patrick Kobelt mit seiner Farbenblindheit kein Problem mehr. Doch der Weg zum Fotografen war steinig – und Kobelt ein Spätberufener. Mit dem Ziel, sich das Fotografieren beizubringen, kaufte er vor sechs Jahren seine allererste Kamera: eine Nikon D5100. «Keine Profikamera, ein Anfängermodell. Mir hat’s gereicht.»Er beginnt, Freunde, Familie, Landschaften und die Sterne zu fotografieren. Und entdeckt, dass er ein Auge dafür hat. «Ich erhielt viele positive Rückmeldungen, auch von anderen Fotografen.»Probleme bereitet ihm vor allem eines: Die Bearbeitung der Bilder. «Am Anfang habe ich einfach ein bisschen auf gut Glück gearbeitet. Diesen Regler mehr nach links, den anderen mehr nach rechts. Ich wusste nicht, wann ein Bild «richtig» aussieht.»Das geht so lange gut, bis ein Model schockiert bemerkt, dass seine Haare auf den Bildern plötzlich einen Grünstich haben. «Das war mir natürlich peinlich. Solche Erlebnisse haben mir aber geholfen, mich immer besser in den Bearbeitungsprogrammen zurechtzufinden.» Er habe seine Schwäche zur Stärke gemacht und achte seither vor allem auf die Kontraste im Bild. «So habe ich meinen eigenen Stil entwickelt: Eher dunkel, vielleicht schon etwas düster, aber immer mit einer Prise Eleganz.»Laszive Posen, starke KontrastePorträts und Landschaften reichten dem damals 27-Jährigen irgendwann nicht mehr. «Ich wollte mich auf eine Branche fokussieren. Fitness und Tattoos boomten damals ex-trem.» Da es im Fitnessbereich aber schon sehr viele Fotografen gab, konzentrierte er sich auf die Tattoos.«In der Schweiz gab es niemanden, der sich auf das Fotografieren von tätowierten Menschen spezialisiert hatte. Dort sah ich meine Chance.» Das habe sich schnell herumgesprochen. «Es meldeten sich immer mehr Interessierte, die Fotos von sich wünschten, auf denen ihre Tattoos zur Geltung kommen. Durch meine kontraststarke Bearbeitung erreiche ich genau das.»Während er erzählt, kommt das Model, dem er zu Beginn Anweisungen gegeben hatte in einem neuen Outfit ins Wohnzimmer zurück. Er positioniert die Dame erneut in einer lasziven Pose: stehend, gespreizte Beine, die Hände wieder auf den Brüsten platziert. «Durch die Tattoos wirkt sie nicht nackt. Die Körperkunst vervollständigt ihr Outfit», sagt Kobelt, bevor er die letzten Bilder aufnimmt.Andere Posen für UntätowierteObwohl sich Kobelt dazu entschieden hat, sich auf tätowierte Models zu konzentrieren, finden sich auch Fotos von Untätowierten in seinem Portfolio. «Ich lehne Menschen ohne Tattoos nicht konsequent ab, fotografiere sie aber in andere Posen. Zwei untätowierte Hände vor dem Gesicht würden niemals dieselbe Wirkung erzielen wie zwei tätowierte Hände.»Dass die meisten Models in aufreizenden Outfits und in lasziven Posen fotografiert werden, habe einen einfachen Grund: Provokation. Sein Ziel sei schon immer gewesen, durch die Fotografie Aufmerksamkeit zu erregen, um Geschichten erzählen zu können. Kobelt will etwa Themen wie Vergewaltigung, Tierquälerei oder Behinderung zur Sprache bringen.«Ein Model wurde einst als Kind vergewaltigt. Die Dame meldete sich bei mir, ich sollte ihre Geschichte bildlich einfangen. Das Vertrauen, das sie mir damit entgegenbrachte, war enorm.»In diesem Fall habe er die Frau nicht angewiesen, ihre Hände auf die Brüste zu legen. «Die Stellung hängt immer von der Geschichte ab, die ich erzählen möchte», sagt er.Blick, Haltung, Körperspannung – Dinge, die Kobelt noch aus der Zeit kennt, als er selbst vor der Kamera stand. «Ich war bei zwei Modelagenturen unter Vertrag, einer schweizerischen und österreichischen. Irgendwann merkte ich, dass mir der Job hinter der Kamera besser gefällt.» Kobelt grinst. «Eigentlich lustig: Früher war ich Model, heute mag ich es gar nicht mehr, fotografiert zu werden.»Model und Fotograf gehören zu den Berufen, mit denen man in der Schweiz nicht unbedingt das grosse Geld macht. Für Kobelt ist das nicht ausschlaggebend. «Das Fotografieren ist und wird immer nur mein Hobby sein.» Er arbeitet hauptberuflich als Marketingleiter, was auch so bleiben soll.«Wenn man von seinem Hobby abhängig ist, setzt man sich einem enormen Druck aus: keine freien Tage, kein Ausprobieren, keine Fehler. Diesen Freiraum möchte ich mir nicht nehmen lassen.»Die Tattoobranche biete ihm unglaublich viele Möglichkeiten. «In nahezu keinem Bereich gibt es für Fotografen eine so grosse Vielfalt an Personen. Das fasziniert mich extrem.»

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