08.04.2022

Der erste Schritt zur Integration

Am Freitag startete der erste Deutschkurs für Flüchtende aus der Ukraine in der Reburg in Altstätten.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 02.11.2022
Am Freitag um 8.50 Uhr war die erste Klasse bereits vollständig im Familien- und Begegnungszentrum Reburg versammelt und wurde von Lehrerin Dalia Zokiene-Lüchinger begrüsst. Die studierte Pädagogin mit schweizerischem Erwachsenenbildungszertifikat wird drei­mal die Woche zwei Klassen mit insgesamt 35 Ukrainerinnen und Ukrainern unterrichten.[caption_left: Dalia Zokiene-Lüchinger kann die Intensivkurse durch den Tag anbieten, weil sie als Erwachsenenbildnerin ansonsten am Abend arbeitet.]In acht Wochen, mit wöchentlich neun Lektionen, sollen sie den Deutschkurs A1 mit Zertifikat abschliessen können. Dann werden sich die Kursbesuchenden in einfachen Sätzen auf  Deutsch verständigen können. «Ich versuche, 100 Lektionen in den 70 Stunden unter­zubringen», sagt die in Ober­riet verheiratete Litauerin, die Deutsch, Russisch und Englisch unterrichten kann. Sie geht davon aus, dass das ambitionierte Ziel aufgrund des hohen Bildungsniveaus und der Motivation der Kursteilnehmenden erreichbar ist.Dalia Zokiene-Lüchinger scrollt dabei durch den Whatsapp-Chat der beiden Klassen, und zeigt, wie intensiv darin bereits diskutiert wurde. Sie sagt, der Grundkurs zeige auf, wie die Sprache funktioniere und sei damit auch Hilfe zur Selbsthilfe.Auf dem Arbeitsmarkt nur Chancen mit DeutschDer Kurs kam auf Initiative des Montlingers Martin Tschirren zustande. Er und seine Partnerin Sabrina Lüchinger hatten für die erste Welle von Flüchtlingen private Unterkünfte organisiert. Sie beendeten dieses Engagement Mitte März, seit dann verteilt der Kanton Ankommende auf die Gemeinden, und zwar über das Empfangs- und Verfahrenszentrum Altstätten und das zuvor leerstehende Altersheim Rosenau in Kirchberg. «Wir blieben Ansprechpartner und stellten fest: Das Wichtigste ist jetzt, dass die Aufgenommenen Deutsch lernen, nur so können sie in den Arbeitsmarkt inte­griert werden», sagt Tschirren. Die eingetroffenen Ukrainerinnen und Ukrainer wollen gemäss Tschirren möglichst rasch arbeiten und unabhängig sein. «Wir haben deshalb auch die Arbeitsqualifikationen und Studienabschlüsse für die Einzelnen erfasst, um ihnen bei der Stellensuche zu helfen», sagt der Montlinger. Auch Arbeit­geber hätten ihn schon kontaktiert – aber Bedingung sei stets eine minimale Verständigung auf Deutsch gewesen. «Einen Sprachkurs zu organisieren bot sich an, zumal wir mit Dalia Zokiene-Lüchinger, die uns von Anfang an als Übersetzerin half, auf eine ausgewiesene Fachkraft zurückgreifen konnten.» Auch für Roman Zimmermann, Bereichsleiter Soziales der Stadt Altstätten, ist klar, dass Deutsch der Schlüssel zur Integration ist. Er war auf der Suche nach Lehrpersonen, Zokiene-Lüchinger und Tschirren auf der Suche nach Raum und den nötigen Mitteln zur Finanzierung des Deutschkurses. Deshalb ar­beiteten sie nun zusammen. Über Claudia Baumgartner-Zäch, stellvertretende Leiterin des Zentrums in der Reburg, konnte der Raum reserviert und über eine private Stiftung der Kurs finanziert werden. «Es wäre sehr wichtig, dass Bund und Kanton die angedachten 750 Franken pro Person und Quartal für die Integration in den Arbeitsmarkt schnellstmöglich freigeben», sagt Roman Zimmermann. Martin Tschirren ist sich sicher, dass hier im Rheintal schon nächste Woche ein Intensivkurs mit weiteren 100 Flüchtenden gestartet werden könnte. «Bei anderen Flüchtlingswellen war der Bildungsstand meist nicht so hoch. Deshalb kann ich mir verschiedene Modelle vorstellen, wie Deutschkurse nun funktionieren könnten», sagt Zimmermann und erklärt: «Auch Deutschlehrende ohne Russischkenntnisse könnten wohl Grundkurse geben oder Tandems bilden mit Leuten von hier, die Russisch sprechen.» Auf jeden Fall seien Lehrkräfte gesucht. Sprachkurse sind jetzt dringend und wichtigVon sich aus spricht Yevheniia Firsova auf Englisch genau diese Möglichkeit an, um vielleicht selbst schon bald Arbeit zu haben. Sie ist Teilnehmerin des Deutschkurses in der Reburg und kam vor zwei Wochen in Altstätten an. «Es gibt viele Dinge im Alltag, die ich wirklich verstehen möchte. Sei es das Schild in einem Geschäft oder an der Busstation bis hin zum Formular der Behörden. Und natürlich möchte ich auch ein Gespräch mit den Menschen hier führen können», sagt Firsova, die mit ihrer Mutter aus der Donbass-Region geflohen ist. Als Übersetzerin könne sie immerhin Englisch und natürlich Russisch und Ukrainisch. «Schon von meinem beruflichen Werdegang her möchte ich nach A1 möglichst schnell den nächsthöheren Deutschkurs belegen können», sagt sie. Einen solchen anschliessend anzubieten, ist auch bereits angedacht. Allerdings soll dieses Angebot auf den Abend verlegt werden, um nicht einem allfälligen Arbeitsplatz im Weg zu stehen. Kursleiterin Dalia Zokiene-Lüchinger sagt dazu: «Es ist klar, dass Leute mit hoher beruflicher Qualifikation – wir haben hier Ärzte, Lehrer, Ingenieure – ein höheres Deutschniveau brauchen, um sich an einem entsprechenden Arbeitsplatz verständigen zu können.»«Wir arbeiten hier im Rheintal auf Behördenebene gut zusammen», sagt Roman Zimmermann, Bereichsleiter Soziales der Stadt, und weiter: «Ich hoffe, dass auch die Arbeitgeber mitmachen und den Flüchtenden aus der Ukraine eine Chance geben. Dann kommt das gut.»

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