Der Rheintaler Bach-Chor hat in Alexander Seidel aus Wallisellen einen neuen musikalischen Leiter gefunden. Der 45-jährige ostdeutsche Berliner lebt seit 20 Jahren in der Schweiz. Als Dirigent für Barockopern und Oratorien, Wiener Klassik und chorsinfonische Werke ist er in der europäischen Barockszene bekannt. Am Bettag steht der erste Auftritt des Projektchors in heutiger Zusammensetzung bevor (siehe Kasten). Dirigent Alexander Seidel und Präsidentin Esther Beyeler schauen zuversichtlich auf den Auftritt und die Zukunft des Chors. Sie verfolgen eine langfristige Strategie und wollen dem in Altstätten beheimateten Projektchor Kontinuität verleihen.Esther Beyeler, nach dem gelungenen Start des Rheintaler Bach-Chors im März 2015 wurde es still um ihm. Wie gelang die Rückkehr?Esther Beyeler: Die Aufführung der «Matthäuspassion» mussten wir im Januar 2020 aus personellen Gründen streichen. Unmittelbar danach stand die Chorarbeit durch Corona ganz still. Im August 2020 sah sich der Trägerverein vor der Entscheidung, den Chor aufzulösen oder einen neuen Dirigenten zu suchen. Alexander Seidel fanden wir auf Empfehlung bereits einen Monat später.Alexander Seidel, was reizt Sie daran, regelmässig von Wallisellen aus ins Rheintal zu fahren, um hier einen Chor zu dirigieren?Alexander Seidel: Ich hatte mir schon lange gewünscht, einen Oratorienchor zu leiten. Mir liegt es, ein Programm langsam zu erarbeiten, zwischen den Proben zu reflektieren und es gegebenenfalls etwas anzupassen. Das lässt der enge Zeitplan im professionellen Betrieb eines Opernhauses nicht zu, der Bach-Chor aber sehr wohl.Wie bewerten Sie den Chor heute, Esther Beyeler?Beyeler: Chor und Dirigent schätzen sich gegenseitig. Die Sängerinnen und Sänger sind Laien, aber auch die engagiertesten in der Vierländerregion. In unseren Stammchören haben wir keine Chance, solch anspruchsvolle Projekte wie das aktuelle umzusetzen. Wir suchen alle eine Herausforderung und haben in Alexander Seidel den richtigen Dirigenten gefunden.Seidel: Ich bin ein ausgebildeter Countertenor und gehe auch aus der Sichtweise des Sängers an ein Projekt heran. Ich gestalte die Proben als eine Art Massengesangsunterricht und zeige den Weg zum einfachen Singen und besseren Klingen auf.Beyeler: Kürzlich haben wir sieben Stunden lang geprobt und niemand war heiser.Alexander Seidel, wo siedeln sie das Niveau des Bach-Chors an?Seidel: Zwischen einem guten Laienchor und einem semiprofessionellen Chor mit Tendenz nach oben. Er singt heute deutlich reiner als noch vor zwei Jahren, als ich übernommen habe.Beyeler: Die Qualität hat auch einen psychologischen Aspekt. So grosse Musik erarbeiten zu können, ist bei unseren Sängerinnen und Sängern nicht Routine, sondern Freude, verbunden mit Dankbarkeit. Mit dem Engagement wird es im Konzert gelingen, das Publikum in einen besonderen Bann zu ziehen.Sie nennen sich Bach-Chor. Warum singen Sie Händel?Seidel: Georg Friedrich Händel war ein Zeitgenosse von Johann Sebastian Bach. Die beiden trafen sich zwar nie, beeinflussten sich aber gegenseitig. Man kann sagen, sie beäugten sich und verfolgten genau, was der jeweils andere tat. Bach stand im kirchlichen Dienst, Händel war freischaffend. Den Wunsch, das «Dettinger Te Deum» zu singen, äusserte der Chor. Die «Ode für St. Cecilia’s Day» ist die richtige Ergänzung.Beyeler: Wir haben uns eher einer Epoche, dem Barock, nicht aber einem bestimmten Komponisten verschrieben. Und wollen durchaus offen für weitere grosse Musik bleiben. Unser nächstes Projekt im Jahr 2023 ist wieder Bach. Ein Jahr später ist ein doppelchöriges A-cappella-Konzert mit der Musik des Liechtensteiners Rheinberger vorgesehen. Und 2026 holen wir die «Matthäuspassion» nach.Seidel: In jedem zweiten Projekt werden wir Bach aufführen.Sie planen also langfristig.Seidel: Ja. Ich habe mich für den Bach-Chor entschieden und möchte ihn noch viele Jahre lang dirigieren. Das bereitet mir aussergewöhnlich viel Spass. Unsere langfristige Strategie hat auch einen pädagogischen Aspekt. Ich nenne es ein Treppenstufendenken. Wir haben einen Planungshorizont und ich habe mir überlegt, in welchen Schritten wir unsere Ziele zu erreichen und unser Niveau zu steigern vermögen.Was planen Sie in den Zwischenjahren?Seidel: Für diese Auftritte studieren wir Bachs «Orgelmesse» und ein Programm mit Rheinbergers «Cantus Missae» ein. Der Chorgesang wird von Orgelmusik umrahmt. Der Wechsel im Aufwand ermöglicht es uns, kontinuierlich zu arbeiten, ohne jedes Jahr ein grosses Werk aufzuführen. Das sprengte den Rahmen des Möglichen.Beyeler: Ausserdem vermögen wir es nicht jedes Jahr, das Geld für die Gage eines Orchesters aufzubringen. Man findet zwar mehr Partnerinnen oder Partner, als man es in der ländlichen Region vermuten würde. Die Mittel sind dennoch begrenzt. Ohne die Schweiz ginge es finanziell sicher nicht. Ohne die anderen Länder wäre es nicht so interessant.Im März verstummte mit der Rheintalischen Singgemeinschaft ein ähnlicher Projektchor wie der Ihre. Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg?Beyeler: Ich war schockiert, als ich die Nachricht erhielt, dass sich der langjährig wirkende Chor aufgelöst hatte. Ich hatte schon an eine Kooperation gedacht, denn wir hatten einige gemeinsame Sänger und Sängerinnen. Dieses Schicksal traf aber nicht nur diesen Chor. Einige Formationen gingen ganz ein oder schrumpften um die Hälfte. In der Pandemie war es nicht möglich, zu werben und etwas gegen die Überalterung zu unternehmen. Wir sind froh, dass wir im Rheintaler Bach-Chor einen Auftrieb, gute Singende in allen Registern und einen motivierten Chorleiter haben. Hier spielte wohl die Mundpropaganda eine Rolle. Barockmusik zum BettagDer Rheintaler Bach-Chor singt das «Dettinger Te Deum» (HWV 283) und die «Ode für St. Cecilias’s Day» (HWV 76) von Georg Friedrich Händel im Rahmen des Altstätter Konzertzyklus am Bettag, 18. September, um 17 Uhr in der katholischen Kirche in Altstätten. Eine weitere Aufführung ist am Samstag, 17. September, 20 Uhr im Saal am Lindaplatz in Schaan. Weitere Mitwirkende: Concerto Stella Matutina (Feldkirch), Jenny Högström (Sopran), David Erler (Altus), Nik Kevin Koch (Tenor) und Clemens Morgenthaler (Bassbariton). Der Chor umfasst 66 Singende (40 Schweiz, zwölf Vorarlberg, zehn Bayern und vier Fürstentum Liechtenstein). Die Register sind wie folgt besetzt: Bass, 14; Tenor, 13; Alt, 13; Mezzosopran, 13 und Sopran, 13. Die musikalische Leitung hat Alexander Seidel. Der Ticketvorverkauf hat via Webseite des Chors begonnen. (vdl)www.rheintalerbachchor.com