12.06.2019

Der beste Freund, auch wenn sie streikt

AUFSATZ zum Frauenstreiktag von heute, 14. Juni

Gert BrudererAuf den Plan, einen «Nationalen Frauenstreiktag» durchzuführen, soll im Jahr 1991 jemand von der Migros-Pressestelle mit so schallendem Gelächter reagiert haben, dass ihm beinahe der Telefonhörer aus der Hand gefallen wäre. Streikende Frauen – das fand er ein lustiges Thema. Der Zürcher Tagesanzeiger kramte die Anekdote kürzlich aus seinem Archiv, für einen Zeitungsbeitrag zum zweiten Frauenstreiktag, der für den heutigen 14. Juni geplant ist.Die eigene Erinnerung an einstige Reaktionen auf weibliche Streikabsicht mag zwar verzerrt sein.  Aber die Diskussion in der (damals verrauchten) Beiz – so viel ist sicher - war von erstaunlichem Unverständnis zumindest begleitet, womöglich geprägt. Die einen machten sich über streikwillige Frauen lustig (wie der Migros-Pressemensch), andere regten sich auf (oder taten zumindest so), und wieder andere regten sich noch mehr auf über jene Männer, die doch tatsächlich so tief gesunken waren, dass sie am Frauenstreiktag die Arbeit von Frauen verrichten und so ihre Sympathie für berechtigte Anliegen bekunden wollten. Das waren natürlich von allen Blödmännern, die diesen Streiktag begrüssten, die grössten.Einer von ihnen war ich. Zwar weiss ich nicht mehr, über welche (koordinierende) Stelle einsatzfreudige Männer die Arbeit streikender Frauen zugeteilt bekamen, aber meinen Arbeitsort am Frauenstreiktag behielt ich in lebhafter Erinnerung. Das liegt wohl daran, dass die Menschen, die ich an jenem Tag kennenlernte, so lebhaft und liebenswert waren.Ich gab mir in der Chupferhammer-Wohngemeinschaft in Ebnat-Kappel viel Mühe, mich nützlich zu machen, und lernte hier den in Altstätten aufgewachsenen Heinz Büchel kennen. Als normal behinderter Sozialpädagoge, wie er sich selbst beschrieb, lebte er mit seiner Frau und fünf geistig behinderten Menschen zusammen. Er sei als ‹Normaler› etwa gleich behindert, wie die so genannten Behinderten normal seien, erklärte Büchel jedem, der das nicht schon wusste.Wie ich erst im Laufe dieses Arbeitstags erfuhr, befand ich mich inmitten einer heute landesweit bekannten Band – der «Regierung». Statt in einer geschützten Werkstatt eine monotone Arbeit zu verrichten, machen die Bandmitglieder zusammen Musik. (Mit der Sängerin Vera Kaa nahmen sie eine CD auf.)Als ich bei der Altstätter Kulturwoche Staablueme mitzumachen begann, war es mein grösster Wunsch, eben diese «Regierung» nach Altstätten zu holen. Sie trat auch tatsächlich hier auf, später ein zweites Mal, und beide Auftritte zählen zu den bewegendsten Staablueme-Konzerten des letzten Vierteljahrhunderts.Auch von denen, die vom Frauenstreiktag nichts gehalten oder ihn sogar verteufelt hatten, kamen nun ein paar in den Genuss der einzigartigen Musik, die ohne Frauenstreiktag nicht in ihrer Gegenwart erklungen wäre.Immerhin hat sich in den letzten drei Jahrzehnten manches zum Guten gewendet. Als die «Regierung» begann, Musik zu machen, soll es selbst unter progressiven Pädagogen Bedenken gegeben haben, ob Menschen mit einer Behinderung auf die Bühne gehören. Wenn die Frauen nun ein zweites Mal die Arbeit niederlegen (oder jedenfalls daran erinnern, wie es wäre, wenn sie dies tatsächlich täten), tun sie dies in der Gewissheit, dass sich seit dem letzten Frauenstreiktag 1991 wenigstens ein bisschen was verändert hat. 1996 trat das Gleichstellungsgesetz in Kraft, das es Frauen ermöglicht, den gleichen Lohn einzufordern. Die MeToo-Bewegung hat das Bewusstsein geschärft, und die Wertschätzung für fürsorgliche Arbeit, die vornehmlich von Frauen verrichtet wird, ist auch dank wichtiger Initiativen wie dem Prix Benevol spürbar gestiegen.Dennoch ist der zweite Frauenstreiktag sinnvoll. Die Anliegen, zusammengefasst in der Formel «Respekt, mehr Lohn, mehr Zeit» sind im Kern seit dem ersten Frauenstreiktag die gleichen geblieben. Der Kampf gegen Diskriminierung und Sexismus ist ebenso wenig überflüssig geworden wie etwa die leider noch immer sehr ungleiche Verteilung von fürsorglicher Arbeit. Dazu fällt mir folgendes Sprichwort von Unbekannt ein: Die Frau, der beste Freund des Menschen.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.