10.12.2021

Der Beizer mit dem Gewehr

Am 17. Dezember bewirten Röbi und Eva Sieber vom Restaurant Neuer Rhein in Widnau zum letzten Mal ihre Gäste.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 02.11.2022
«Wir chrampften ein Leben lang, jetzt gehen wir in den verdienten Ruhestand», sagt Eva Sieber, die gemeinsam mit Ehemann Röbi 38 Jahre lang die Gaststätte Neuer Rhein geführt hat. Der Entscheid aufzuhören sei über Monate gereift. Einerseits ende ein Lebensabschnitt, andererseits beginne etwas Neues. So blicke sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die turbulente Zeit zurück. Während sich die Pensionärin und der Pensionär darauf freuen, mehr Zeit füreinander zu haben, werden sie die guten Gespräche mit den Menschen in ihrem Wirtshaus vermissen. «Wir sind unserer Kundschaft dankbar, dass sie uns 38 Jahre lang begleitet und unterstützt hat», sagt Eva Sieber.Treffpunkt für LKW- und FerrarifahrerDie gutbürgerliche Küche von Röbi Sieber und der grosse Parkplatz vor dem Haus zogen Handwerker und Beamte ebenso an wie LKW- und Ferrarifahrer. In der Gaststätte kursierten Geschichten von der Strasse, es wurde gefachsimpelt und Freundschaften wurden gepflegt. Möglicherweise weil Röbi Sieber ein begnadeter Ferrari-Fan ist, dessen Leidenschaft sich im Inventar liebevoll spiegelt, haben Hedy und Ruedi Frei vor 30 Jahren den Ferraritreff ins Leben gerufen. Was einst klein begann, entwickelte sich über die Jahre zu einem stattlichen Treffen. Zu Spitzenzeiten standen 30 Rennboliden, deren Besitzer teilweise extra aus dem Schwarzwald anreisten, vor der Gaststätte.[caption_left: Besuch der Kastelruther Spatzen im "Neuer Rhein".]Immer einen lustigen Spruch auf Lager«Röbi ist ein totaler Ferrari-Fan mit dem Herzen am rechten Fleck», sagt Ruedi Frei. Er erinnere sich an zahlreiche Lacher, für die Röbi verantwortlich war. Besonders präsent ist ihm eine Geschichte, die sich vor Jahren wie folgt zugetra­gen habe: Immer wenn Ferrari am Sonntag das Formel-1-Rennen gewonnen hatte, mischte Röbi dem Montagsmenü rote Zutaten bei und servierte seinen Gästen beispielsweise eine Tomatensuppe. Einmal kam ein Lustenauer ins Restaurant, der keine Lust auf Tomatensuppe hatte und seinen Unmut lauthals kundtat. Röbi hörte es in der Küche, packte kurzerhand eine Schrotflinte und begab sich in die Gaststube, wo er die Flinte mit folgenden Worten auf den Nörgler richtete: «Weil gestern Ferrari gewonnen hat, isst heute jeder Gast eine Suppe.» Röbi schaute den Lustenauer an und brach wie die übrigen Gäste in schallendes Gelächter aus. Kurze Zeit später betrat ein Chauffeur die Gaststätte und äusserte beim Betrachten des Tagesmenüs, dass er keine Tomatensuppe wolle, worauf ein Gast erwiderte: «Iss ja die Suppe, sonst kommt der Beizer mit dem Gewehr ...» Der Chauffeur sei einen Moment verdutzt stehen geblieben, ehe er begriff und in das Gelächter der übrigen Anwesenden einstimmte. «Röbi ist ein Original», sagt Ruedi Frei. Es sei schade, dass das Wirtepaar aufhöre, schliesslich hätte man sich über die Jahre angefreundet und wurde stets willkommen geheissen. Vorerst gibt es keine Gaststätte mehrSeit 1984 hatten Eva und Röbi Sieber das Restaurant von der Brauerei Schützengarten AG gepachtet. Was nach dem 17. Dezember kommt, wissen die Siebers noch nicht. «Wir lassen es auf uns zukommen», sagt die 63-Jährige. Nach Dutzenden  von Jahren, in denen sie Gäste bewirtete, könne sie es sich gut vorstellen, künftig öfter selbst in Restaurants einzukehren und sich bedienen zu lassen. «Wir schmieden keine Pläne, sondern geniessen die kommende gemeinsame Zeit», sagt er.  Ebenso wie die vielen Gäste von nah und fern, die das Wirtepaar geschätzt haben, spricht auch Peter Schefer, Leiter Liegenschaften der Brauerei Schützengarten AG, von einer an­genehmen Zusammenarbeit. Selbst für sein Traditionsunternehmen sei es aussergewöhnlich, eine 38-jährige Partnerschaft zu pflegen. «Siebers Entscheidung ist schade, aber wir respektieren ihren Wunsch aufzuhören», sagt Peter Schefer.  Was mit dem Gebäude an der Espenstrasse 11 geschieht, ist noch nicht geklärt. «In diesem Zustand können wir es nicht vermieten», sagt Peter Schefer. In Absprache mit den Siebers hätte man nur noch den nötigsten Unterhalt gemacht. Um es zu verpachten, müssten grosse Investitionen – vor allem in die Haustechnik und die Küche – getätigt werden. Weil man das Areal aber mittelfristig entwickeln möchte, gebe es vorerst keine Gaststätte mehr. Und langfristig? Dazu gibt es noch keine Pläne, sagt Peter Schefer.      

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