03.12.2021

Der ausschweifende Denker

«Lieber spät als nie» ist ein Leitspruch, der in Christoph Rohners Leben immer wieder eine Rolle spielt.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 02.11.2022
Zum Beispiel Ende der Achtzigerjahre: Der heute 72-jährige war 1985 Verwaltungsratsmitglied der damaligen Rheintaler Druckerei und Verlag AG geworden und erlebte die wohl schwerste Zeit der Tageszeitung «Der Rheintaler». Die Zahlen verschlechterten sich zusehends, um die Zeitung stand es nicht mehr gut.«Irgendwänn isch’s mer unheimlich worde», sagt Christoph Rohner, der selbstkritisch erklärt, an der Dauer des Abwärtstrends sei er mitschuldig gewesen. Statt zuzuwarten, hätte er früher eingreifen sollen. «Lieber spät als nie» hat Christoph Rohner schliesslich mit wichtigen Personalentscheiden zur Wende beigetragen, die eine goldene Ära zur Folge hatte.Ausgeprägte Lust auf DauerhaftigkeitAls grösster Einzelaktionär des heutigen Galledia-Konzerns, der seit 2011 ausser dem «Rheintaler» auch die «Rheintalische Volkszeitung» und seit diesem Jahr zudem den «Werdenberger & Obertoggenburger» herausgibt, ist Christoph Rohner dem Unternehmen besonders verbunden. Es geht um Familientradition.Der Vater Willi Rohner (1907-1977), ein Schweizer Politiker, hatte 1934, in der Krisenzeit, beruflich die Wahl zwischen dem Bundesamt für Statistik und einer Tätigkeit als Redaktor beim «Rheintaler». Der studierte Nationalökonom entschied sich für die Zeitung. Diese war Sohn Christoph, der als Kind oft in die Druckerei mitdurfte, früh eine zuverlässige Begleiterin.Ein Buch über die Rheintaler Presse- und Verlagsgeschichte zu verfassen, war ein lang gehegter Wunsch des in Altstätten aufgewachsenen, in St.Gallen lebenden Rechtsanwalts, in dessen Biografie die Beständigkeit hervorsticht. Seit 1993 ist er mit Romy, geborene Item, verheiratet, deren Bruder einst in leitender Funktion bei der Appenzeller Zeitung tätig war. (Dass beide Söhne Christoph Rohners, Nicolai (28) und Noah (26), am 3. August Geburtstag haben, sei «unmanipulierter» Zufall.)Dem Verwaltungsrat des Rheintaler Medienhauses gehört Christoph Rohner schon seit 36 Jahren an, von 1990 bis 2014 wirkte er als Präsident. Im Verein für die Geschichte des Rheintals leistet er seit zwei Jahrzehnten Vorstandsarbeit, und seit vier Jahrzehnten ist er beruflich im gleichen Anwaltsbüro zu Hause, mit einem Pensum von ungefähr 20 Prozent und «mit dem festen Willen, es zurückzufahren». Rohners ersatzrichterliche Tätigkeit am Kantonsgericht erstreckte sich über 36 Jahre und beglückte ihn immer dann in besonderem Mass, wenn Parteien sich einigen konnten.Selbst das Zweitauto der Familie ist eine feste Komponente in Rohners Leben; seit 1992 steht ein Cabriolet in der Garage, aktuell ein VW, Jahrgang 1998.Eine schmale, kleine Linie, die Rohners Lust auf Dauerhaftigkeit symbolhaft unterstreicht, prangt zwischen Mund und Nase. Es ist der Schnauz, den Christoph Rohner sich, zunächst als flächendeckende Zierde, im Studentenalter Mitte der Siebzigerjahre wachsen liess.Detailversessen, aber unter ZeitdruckIn jüngerer Vergangenheit hatte Christoph Rohner ein zweites Zuhause. In einem grossen Raum im Bernecker Betriebsgebäude lagen zwischenzeitlich Dutzende von archivierten Zeitungsbänden auf den Tischen. Die Aufarbeitung der Rheintaler Pressegeschichte hat er unterschätzt, was auch an seinem Wesen liegt. Als jemand, der gern assoziativ vorgeht, blieb er immer wieder hängen. Das kostete Zeit, öffnete aber den Blick auf immer neue interessante Zusammenhänge.Der wissenschaftliche Anspruch führte zu Detailversessenheit und hielt einen kleinen Kreis ausgewählter Personen auf Trab, weil sich laufend ergebende Fragen umgehend beantwortet sein wollten. Christoph Rohners in Gesprächen ab und zu erkennbare Tendenz, weitschweifig zu werden, erklärt er neckisch mit dem ausgeprägten Hang zu «lateralem Denken», womit ein bewusstes Querdenken gemeint ist, das Schwelgen in Assoziationen als Kreativitätsförderungsmethode.«Mit breiterem Fokus zu operieren, gestattet es, Zusammenhänge herzustellen», sagt Christoph Rohner, der das als ehemaliger Lehrbeauftragter der Uni St.Gallen bei einer Umfrage bestätigt bekam. Als seine Leistung von Studentinnen und Studenten zu bewerten war, lautete das Ergebnis, kurz und nonchalant gesprochen, so: «Nicht wahnsinnig systematisch, aber anregend.»Zurückhaltend mit eigenen Texten Christoph Rohner hat auch am Zusammenfügen Freude. Sein Hang zu eklektischem Vorgehen lässt ihn mit einer Art wissenschaftlicher Neugier Vorstellungen oder Ideen so verquicken, dass etwas Neues entsteht, bestenfalls ein Erkenntnisgewinn.Als er 1970 einen Text zu James Schwarzenbachs Überfremdungsinitiative publizieren wollte, fand der denk- und schreibgeübte Vater, für mehr Substanz wäre es nötig, die Argumentation zu vertiefen. Der Sohn, den in jungen Jahren eine mehrjährige Beziehung zu einer «Rheintaler»-Redaktorin verband, beherzigte den Rat und feilte an künftigen Aufsätzen, die er ab und zu in «seine» Zeitung rückte. Aber nur, wenn ihn ein Thema so beschäftigte, dass der Verzicht auf eine Äusserung nicht auszuhalten war, veröffentlichte er einen seiner eher raren Texte, deren Charakter dem eines Aufsatzes am nächsten kam.Derzeit mitten in einem RussischkursVor 15 Jahren begann Christoph Rohner mit Velofahren - und er blieb dabei. Für einen, der schon immer gerne draussen war, sind 80-Kilometer-Touren keine Seltenheit. Obschon nicht elitären Kreisen zugewandt, mag Christoph Rohner ausser Belletristik klassische Musik, Theater, und schon immer liebte er das Reisen. Sicher zehnmal war er schon in Wien, für das er eine Schwäche hat, drei Reisen führten ihn nach Südamerika, und als ein Freund aus Arizona ihm vor sieben Jahren vorschlug, den Grand Canyon zu durchschreiten, führte dies zu einem zweimal wiederholten Abenteuer: 2014, 2017 und 2019 erlebte der Rheintaler die riesige Schlucht. Er spricht davon so hingerissen, als hätte er die «1500 Meter hinunter und 1500 hinauf» soeben hinter sich gebracht. Er habe zweimal in den USA fünf Kilo abgenommen, sagt er und ergänzt mit einem Lächeln: «Das verbindet niemand mit Amerika.» Derzeit besucht Christoph Rohner «auf sehr tiefem Niveau» einen Sprachkurs in Russisch. Der Belletristik-Liebhaber hat sich in jüngster Zeit wieder vermehrt russischer Literatur zugewandt, und noch ein zweiter Umstand passt zum Lernen. Christoph Rohner will sich einen Bubentraum erfüllen. Eine Reise mit der «Transsibirischen» ist seit Jahrzehnten aufgeschoben, aber Christoph Rohner zweifelt nicht, dass er die Fahrt noch machen wird. Auch diesbezüglich lässt sich sagen: Lieber spät als nie. Rohners HerkulesarbeitAls Autor des neuen Buches über die Rheintaler Pressegeschichte hat Christoph Rohner einen besonderen Kraftakt vollbracht. 360 Seiten umfasst das reich bebilderte Werk, das eine grosse Lücke schliesst. Zum ersten Mal ist zur Geschichte der Rheintaler Presse und ihrer Verlage ein umfangreiches, mit seinem Detailreichtum verblüffendes, einem wissenschaftlichen Anspruch genügendes und doch sehr spannendes Buch greifbar. Christoph Rohner hat dafür «sicher deutlich über 2000 Stunden aufgewendet».Hinweis Christoph Rohner: «Offen und frei wird seine Stimme sein», Aus der Geschichte der Rheintaler Presse und ihrer Verlage. Hrsg. vom Verein für die Geschichte des Rheintals, erschienen bei Galledia Regionalmedien AG, Berneck. ISBN 978-3-033-08789-7.  

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