«Gott schütze Österreich!» Mit diesen Worten dankte Bundeskanzler Schuschnigg am Abend des 11. März 1938 ab. Am 12. März folgte der sogenannte Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, also die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten.In Hohenems zeigte sich schon in der Nacht, in der sich das austrofaschistische Ständestaatsregime zurückgezogen hatte, dass Gott die Menschen nicht schützen konnte – zumindest nicht die jüdischen und auch nicht jene, die gegen die Unterdrückung aufbegehrten.Schon in der Nacht vor dem Anschluss kam es zu GewaltDie Gewalt der Vorarlberger Nazis, die nach Schuschniggs Rede aus dem Untergrund auftauchten, betraf zu Beginn vor allem Katholiken, die sich kritisch gegenüber Hitler geäussert hatten. Auch der Kaplan von Hohenems musste fliehen, er starb wenig später in einem Konzentrationslager. In Hohenems lebten schon damals nur noch wenige Jüdinnen und Juden. Aber etwa die seit Jahrhunderten in Dornbirn verankerte jüdische Familie Turteltaub musste vor den Nazis fliehen wie viele andere, der Mob tauchte vor ihrem Haus auf und bedrohte sie.Zu Beginn der Velo-Exkursion des Jüdischen Museums im Rahmen des Kulturfests Emsiana schilderte Tobias Reinhard die Situation im Jahr 1938, wie sie sich in Hohenems präsentiert hat. Die Exkursion führte von dort dem Alten Rhein entlang über den Schmitter-Zoll nach Diepoldsau, wo die damaligen Zollhäuser und der Ort, an dem das Flüchtlingslager stand, die Schauplätze waren. Bereits im April 1938 konnten sich 4000 mehrheitlich jüdische Österreicherinnen und Österreicher in die Schweiz absetzen. Bis Ende des Krieges glückte etwa 10'000 von ihnen die Flucht in die Schweiz. Viele Tausend Fliehende wurden jedoch zurückgewiesen oder kamen ums Leben.Einfacher Fluchtweg dank des Rheindurchstichs Die Fluchtroute von Hohenems war bis zur Schweizer Grenzschliessung im September 1938 ziemlich sicher. Dass sie so oft genutzt wurde, hing mit dem Rheindurchstich von 1923 zusammen: Seit diesem Zeitpunkt kann man von Österreich in die Schweiz gelangen, ohne den gefährlichen Rhein überqueren zu müssen. Zudem war das Gebiet zwischen dem Zentrum in Hohenems und der Grenze noch kaum besiedelt und stark bewachsen, wodurch die Flüchtenden eher unentdeckt blieben. Zudem hatten sich schon seit dem Rheindurchstich die Schmuggler in der Region ausgebreitet. Es gab Schmugglerwege, die zum Teil nun die Flüchtlinge nutzen konnten. Und einige Schmuggler dienten auch als Fluchthelfer – freilich nicht immer aus moralischen Gründen. Viele nutzten einfach die Notlage der verzweifelten Menschen aus.Das Wissen über die damaligen Vorgänge im Grenzgebiet ist beschränkt. Es gibt Berichte von Zeitzeuginnen und -zeugen, allerdings recht wenig. «Das liegt daran, dass die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Österreich erst in den 1990er-Jahren begann», sagt Tobias Reinhard. Und die Schweiz war damit zumindest nicht viel zeitiger dran. Aufgrund der vorhandenen Berichte nehmen Historikerinnen und Historiker heute an, dass sich der wichtigste «grüne» Grenzübertritt für Fliehende beim Waibelloch befand. Das ist ein sehr kleiner See, eher ein Tümpel im Alten Rhein. Während der Führung erwähnt Reinhard drei, vier Schicksale von Flüchtlingen. Einige starben; die Schweiz schloss im September 1938 die Grenzen, die Zöllner hatten den Befehl, notfalls auf die Flüchtlinge zu schiessen. Viele wurden aufgegriffen und landeten in einem der fürchterlichen und meist todbringenden Konzentrationslager der Nazis. Einige jüdische Menschen schafften aber den Grenzübertritt, auch nach dem Sommer 1938. Allerdings wurde es danach für sie deutlich komplizierter und gefährlicher. Ob die Flucht gelang, hing für die meisten Jüdinnen und Juden nun vom Glück ab – vor allem davon, ob sie auf ihnen wohlgesinnte Menschen trafen.[caption_left: Hier stand das Flüchtlingsheim in Diepoldsau, das etwa 300 Menschen Platz bot. Bild: ys]In Diepoldsau stand ein FlüchtlingsheimDiese gab es in Österreich wie in der Schweiz, auch einige Grenzbeamte verweigerten sich dem Befehl und retteten damit Leben. Bekannt ist der St. Galler Polizeikommandant Paul Grüninger, der vielen Jüdinnen und Juden das Leben rettete, indem er ihre Reisepässe fälschte. Er wurde verurteilt und bis zu seinem Tod im Jahr 1972 in der Schweiz geächtet. Erst 1993 wurde er von der St. Galler Regierung rehabilitiert. Seine Geschichte wird nachgezeichnet in Stefan Kellers Buch «Grüningers Fall», in dem wie im Untertitel erwähnt, auch viele weitere «Geschichten von Flucht und Hilfe» vorkommen. Nachdem die Velogruppe der Exkursion die Grenze am Schmitter-Zoll passiert hatte, wurde sie in Diepoldsau an Schauplätze aus dem Jahr 1938 geführt. Erst an die damaligen Zöllnerhäuser unweit der Grenze und schliesslich an das ehemalige Flüchtlingsheim, das auf dem Areal stand, auf dem später die Firma Sandherr ihre Fabrik baute. Dort hatte es Platz für 300 Menschen – in einer Gemeinde, die damals etwa 2700 Einwohnerinnen und Einwohner zählte (heute sind es rund 6700), und die eine der Ärmsten der Schweiz war. Die jüdischen Menschen haben in Diepoldsau Schutz vor den Nazi-Schergen erhalten, von Anfeindungen seitens der Bevölkerung waren sie indes nicht gefeit. Auch im Lager selbst erfuhren sie militärischen Drill, bis hin zur Trennung von Männern und Frauen. So berichtete ein Lagerkommandant in seinem Rapport von «verabscheuungswürdigem Verhalten», als eine Frau im Flüchtlingsheim schwanger wurde.