15.10.2019

Der Afghane ist jetzt ein Schweizer

Diepoldsau-Schmitter gewinnt in letzter Sekunde 1:0 gegen Heiden. Ali Jusefi macht das Einfache.

Von Beni Bruggmann
aktualisiert am 03.11.2022
Beni BruggmannFussball «Er ist ein dankbarer Spieler. Ich kann ihn überall einsetzen.» Diepoldsaus Trainer Misko Rankovic ist mit dem 28-jährigen Ali Jusefi sehr zufrieden. Dankbar aus der Sicht des Trainers heisst: Der Spieler gibt immer alles, akzeptiert auch ungewohnte Aufgaben. Im Moment zieht er im zentralen Mittelfeld die Fäden. Aber er spielte auch schon Verteidiger, eine Rolle, die ihm gar nicht auf den Leib geschrieben ist. Mit seiner Grösse von nur 1,70 m und ganzen 57 kg Gewicht ist er nicht gerade das, was man unter einem robusten Abwehrspieler versteht. «Ich spiele dort, wo der Trainer es will. Hauptsache: Ich spiele.»Dankbar. Es ist erstaunlich, wie oft dieses Wort im Gespräch nach dem Spiel vorkommt. Da erzählt einer aus seinem Leben, der das Gute sieht. Weil es eben nicht immer so war. Er kommt in Afghanistans Hauptstadt Kabul zur Welt. Sein Vater führt dort einen Lebensmittelladen. Er sieht für seine sechsköpfige Familie keine Zukunft. Als Ali zehn ist, verlässt die Familie ihre Heimat. «Wir waren auf Lastwagen, im Bus, auf dem Schiff und im Zug unterwegs. Die Route kenne ich nicht, aber wir waren in Russland und in Polen. In Kreuzlingen erreichten wir die Schweiz.» Die Familie kommt ins Rheintal, Ali wächst in Widnau auf.«Ich bin mehr Schweizer»«Ich bin zwar stolz, Afghane zu sein», sagt er, «aber heute bin ich mehr Schweizer. Diese Ordnung! Diese Sauberkeit! Ich möchte nur noch hier leben.» Das Wort «dankbar» fällt zum ersten Mal.Er geht in Widnau im Schulhaus Wyden zur Schule. «Ich sprach kein Wort Deutsch, aber die Mitschüler haben mich gut aufgenommen, und Herr Riedener, der Lehrer, hatte Geduld mit mir.» Im FC Widnau ist er auch bald daheim. Jetzt spielt er nicht mehr wie früher mit einem Plastikball auf einem Kiesplatz, sondern auf der schönen Sportanlage. Klar, dass er dankbar ist.Den richtigen Job gefundenMit der Sanitärlehre klappt es nicht. «Ich hatte zu wenig Interesse, habe die Prüfung nicht bestanden.» Die zweite Lehre, diesmal als Verkäufer bei der BP-Tankstelle in Diepoldsau, sagt ihm mehr zu. Er besteht die Prüfung. Nach einiger Zeit sucht er sich etwas Neues. Anderthalb Jahre arbeitet er mal hier, mal dort. Das Passende ist nicht darunter. Vor drei Wochen hat er den richtigen Job gefunden. Für DHL Logistics mit Sitz in Buchs bedient er mit dem Auto Firmen in Vaduz und Schaan. «Die Arbeit gefällt mir sehr gut.» FCD- Präsident Roman Müller und Sportchef Adi Spirig haben ihren Spieler in der schwierigen Zeit der Jobsuche begleitet – und Erfolg gehabt. Er ist ihnen dankbar. Nach der Widnauer Juniorenzeit spielt er in St. Margrethen, Altstätten und Rüthi und kommt dann nach Widnau in die Inter-2-Mannschaft zurück. Seit zwei Jahren gehört er nun zum FC Diepoldsau-Schmitter. Zusammen mit seiner Freundin Ildy, einer Ungarin, wohnt er in der Nähe des Fussballplatzes.Er kann das Spiel «lesen»Im Match gegen Heiden erkennt man seinen Stil sofort: Er macht das Einfache, leitet den Ball schnell weiter, hat gute Übersicht und bewegt sich leichtfüssig. «Wenn du mit dem Kopf spielst, kannst du dir ein paar Schritte ersparen», sagt er. Er ist einer, der das Spiel «lesen» kann. «Wir haben den Sieg mit Glück erzwungen», sagt er und denkt an 84. Minute, als sein Kamerad David Ceraolo den Ball noch auf der Linie wegköpfeln kann.Auf die Frage, welches das schönste Fussballerlebnis seiner Karriere sei, findet er keine Antwort. Und sagt dann doch: «Wenn dein Team in der 90. Minute das Siegesgoal schiesst wie heute gegen Heiden und du darfst dich dann in den Kreis deiner jubelnden Mitspieler stürzen – das ist wunderschön!» Das Gespräch ist beendet. Er verabschiedet sich. Natürlich sagt er: «Danke.»

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