Peter Böhi, wann waren Sie zuletzt im «Aescher» zu Gast?
Am letzten Tag, an dem Nicole und Bernhard Knechtle gewirtet haben, am 4. November. Dabei schwang eine gewisse Wehmut mit, denn der Aescher ist für mich ein Stück Heimat. Ich bin dort zu Freunden gekommen, an einen Ort, an dem ich mich wohl gefühlt habe. Ich bin ein Bergfreund und verbringe einen grossen Teil meiner Freizeit in den Bergen. Deshalb haben Bergwirte einen hohen Stellenwert für mich.Wie haben Sie den Entscheid der Familie Knechtle, die Pacht aufzugeben, aufgefasst?
Ich war schon ein wenig erschüttert, denn ich habe es nicht kommen sehen. Als der Entscheid dann aber da war, konnte ich es gut nachvollziehen. Man muss Knechtles eigentlich bewundern, dass sie das Ganze alleine gestemmt haben. Sie waren immer unter Strom, von Mai bis November standen sie permanent im Einsatz und haben im Akkord gearbeitet. Eine Familie mit drei Kindern kommt da zu kurz. Selbst bei schlechtem Wetter gab es kaum Ruhezeiten, irgendein versprengter Asiate hat immer den Weg hochgefunden.Mit Blick auf den «Aescher»: Mit welchen Gedanken lassen Sie das Jahr 2018 Revue passieren?
Ich sehe es so: Mein Bild war nicht die Initialzündung der Entwicklung in diesem Jahr. Das lief bereits über Jahre hinweg. Schon zu Zeiten der Eltern stand über der Tür «Welcome you all». Internationale Gäste kamen schon immer zum «Aescher». Die sozialen Medien im weitesten Sinne sind schuld daran, dass die Entwicklung in dem Masse abgelaufen ist. Mein Bild hat dann noch ein bisschen Öl ins Feuer gegossen.Am 28. September 2012 um 16.05 Uhr schossen Sie das Bild vom «Aescher», das 2014 als Titelbild eines Buchs von «National Geographic» erschien. Wie war das, als Sie abgedrückt haben?
Es war am späten Nachmittag, als ich einen speziellen Moment erwischt habe. Die Reflexionen in den Fensterscheiben geben dem Bild etwas Besonderes. Dazu die Sonne, die nur auf die Besucher auf der Terrasse scheint. Das wirkt wie eine kleine Oase, eine Insel der Glücklichen. Die Wolken rundherum vermitteln eine zusätzliche Dramatik.Hatten Sie eine Vorahnung, was aus dem Bild werden könnte?
Nein, gar nicht. Zuerst habe ich das Bild nicht als besonders betrachtet. Ich schiesse ja viele Bilder, wenn ich unterwegs bin. Im Moment des Abdrückens war mir nicht bewusst, dass ich jetzt ein besonderes Bild gemacht habe. Bei der Nachbearbeitung konnte ich noch etwas herausschälen und hatte dann das Gefühl, es sei ein schönes, gutes Bild geworden. Aber dass es eine solche Reise um die Welt antreten wird, das hätte ich nie erwartet.Wie kam das Magazin «National Geographic» auf Sie zu?
Das Bild habe ich bei Flickr gezeigt, von dort wurde es von verschiedenen Reiseblogs abgekupfert. Erst zwei Jahre später wurde «National Geographic» – wohl aufgrund der Blogs – auf das Bild aufmerksam, ist dann zur Quelle gegangen und hat mich kontaktiert.Wie haben Sie reagiert?
Ich habe mich geehrt gefühlt, selbstverständlich. «National Geographic» ist eine Ikone der Fotografie, und jetzt sollte mein Bild in diesen erlauchten Kreis von Weltklassefotografen aufgenommen werden. Ein Titelbild von einem Buch, das in tausendfacher Auflage auf der ganzen Welt erscheint, das ist schon ein Highlight jeder Fotografenkarriere. Ich habe auch sofort Ja gesagt. Gleichzeitig bilde ich mir nichts darauf ein. Es ist eine glückliche Fügung, verbunden mit einer Dynamik, die man gar nicht kontrollieren kann. Ich war mir auch da nicht bewusst, welche Wellen das Bild werfen sollte. Wie ein Musikstück, das ein Hit wird.Für das Bild haben Sie ein Honorar von 600 Franken bekommen.
Weil ich keine Ahnung hatte, wie hoch das Preisniveau ist, sagte ich zu «National Geographic», sie sollen mir einen marktüblichen Betrag zahlen. Ich habe nicht versucht, das Maximum herauszuschlagen. Denn ich lebe ja nicht von der Fotografie, deshalb war Geld für mich kein ausschlaggebender Faktor.Sie sind Arzt und haben Ihre Praxis in Altstätten. Werden Sie oft auf das «Aescher»-Bild angesprochen?
Das Buch liegt in meinem Wartezimmer im Bücherregal zusammen mit ein paar Fotobüchern mit meinen Bildern drin. Es hat sich zwar herumgesprochen, aber nicht alle Patienten sind sich bewusst, dass ich fotografiere. Wobei, ich schreibe es mir nicht wahnsinnig auf die Fahne. Es ist einfach eine Facette meiner Aktivitäten, die jetzt halt überproportional wahrgenommen wird. Ich engagiere mich auch in der Musik aktiv, im Jazzclub Rorschach. Seit Jugendjahren bin ich ein eingefleischter Jazzfreund.Zurück zum Titelbild: Wie haben Nicole und Bernhard Knechtle darauf reagiert?
Ähnlich wie ich. Sie fanden es positiv und haben sich gefreut, als ich ihnen ein Belegexemplar des Buchs geschenkt habe. Auch sie konnten damals die Folgen noch nicht abschätzen.Wie haben Sie den Hype um den «Aescher» erlebt?Es zeigt sich eine Ambivalenz. Auf der einen Seite möchte man ja als Restaurant möglichst viel Kundschaft haben, auf der anderen Seite möchte man daran aber auch nicht kaputtgehen. Wahrscheinlich überwog am Anfang die Freude über die Publizität und Aufmerksamkeit. Als dann aber die internationalen Touristenmassen über die armen Knechtles hereingebrochen sind, war die Freude wohl nicht mehr so gross.Wie viel Tourismus verträgt der Alpstein?
An schönen Tagen ist der Alpstein schon sehr überlaufen. Aber der Rummel konzentriert sich lediglich auf bestimmte Regionen. Sobald man aber abzweigt, dann ist man bald alleine unterwegs. Es gibt auf dieser Welt fast keine Geheimnisse mehr. Da verstehe ich die Appenzeller, die sich ihre Geheimnisse nicht gern entlocken lassen. Sie haben auch allen Grund dazu. Wenn man etwas Schönes sieht, sollte man es nicht in die ganze Welt hinausposaunen, sondern für sich behalten.Sind Sie erleichtert, dass es im nächsten Jahr mit der Firma «Pfefferbeere» am «Aescher» weitergeht?
Dass es weitergeht, war für mich immer klar. Der «Aescher» muss und wird weiterleben, die Frage ist nur wie. Nun folgt ein junges, neues Team. Sie kommen von aussen, aus einer ganz anderen Szene. Es ist nicht mehr der traditionelle Hintergrund einer Bergwirtefamilie, die die Beiz über Jahre führt und der nächsten Generation weitergibt. Vielleicht ist der «Aescher» ein Berggasthaus, das jetzt an einem Punkt angelangt ist, an dem das klassische Modell von Bergwirten nicht mehr umsetzbar ist. Einfach wegen des Umsatzes. Ich hoffe, dass die neuen Pächter für den «Aescher» einen Modus finden, der dem Charakter und der Geschichte des Ortes gerecht wird. Und wann trifft man Sie wieder im «Aescher» an?
Ich lasse mich primär in den Berggasthäusern blicken, wo ich einen sehr guten Draht zu den Wirten habe. In der «Meglisalp» und dem «Alten Säntis» zum Beispiel. Der «Aescher» wird dann sicher auch dabei sein – bald einmal.