28.06.2019

Denken wie ein Mörder

Der aus Funk und Fernsehen bekannte Spiegel-Bestsellerautor und Tatortanalytiker Axel Petermann hielt im Werkhof Oberriet einen Vortrag über die nach wie vor ungelösten Kristallhöhlenmorde.

Von Gerhard Huber
aktualisiert am 03.11.2022
Gerhard Huber37 Jahre ist es her, dass bei der Kristallhöhle in Oberriet zwei junge Mädchen, Karin G. (15) und Brigitte M. (17), ermordet wurden und ihre Leichen erst Monate nach der Tat im unwegsamen Gelände entdeckt werden konnten. 37 Jahre, in denen die Suche nach dem oder den Gewalttätern erfolglos verlief.37 Jahre, in denen sich diese Tat wie ein Schatten des Bösen über die Gemeinde und ihre Bewohner gelegt hat. Denn, dass die Oberrieter nach wie vor mit dieser unerklärlichen Tat hadern, zeigte der Besuch des Vortrags des Tatortanalytikers und pensionierten deutschen Profilers Axel Petermann. Der für 220 Personen ausgelegte Lehrsaal des Werkhofs platzte aus allen Nähten. Und trotz der Saunatemperaturen hielten die Besucher, unter ihnen auch Gemeindepräsident Rolf Huber und Nationalrat Roland Rino Büchel, atemlos zuhörend bis zum Ende der dreistündigen Veranstaltung aus.Verjährung bei Mord kritisiertNicht nur von Nationalrat Mike Egger, der die einleitenden Worte sprach, sondern auch von vielen Besuchern im Pausengespräch wurde mit schlichter Verständnislosigkeit kritisiert, dass die Schweiz zu den ganz wenigen Ländern der Welt gehört, in denen ein Mord nach dreissig Jahren verjährt und damit strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden kann. Hätte sich der Kristallhöhlentäter im Saal aufgehalten, er hätte aufstehen können und gestehen. Ohne dass ihm auch nur eine Minute Gefängnis drohen würden.Sogar sämtliche damals sichergestellten Beweise wurden inzwischen von den Ermittlungsbehörden aus der Asservatenkammer entfernt und vernich­-tet. Schade, denn die Kriminaltechnik und Ermittlungsmetho­- den haben in den letzten 37 Jahren wissenschaftliche Quantensprünge erlebt. So auch das «Profiling», also die operative Fallanalyse, wonach der Schlüssel zur Klärung eines Tötungsdeliktes durch die Interpretation der Spuren am Tatort und der Analyse der Opferpersönlichkeit zu finden ist. Axel Petermann ist Deutschlands bekanntester Profiler und hielt sich über Einladung der IG Kristallhöhle nach einem Besuch vor drei Jahren nun eine Woche in Oberriet auf, um eine erneute Tatanalyse zu wagen.Alles hinterfragen, nichts als gegeben annehmen«Bei dieser Analyse muss ein Profiler alles hinterfragen, was an Berichten, Expertisen und Gutachten vorliegt. Er muss neue Ideen haben, unbequem sein und nichts als gegeben hinnehmen, den Advocatus Diaboli spielen und nicht das Detail, sondern die Gesamtheit der Spuren beachten», so Petermann im ersten Teil seinen Vortrages, als er die Grundlagen des Profilings anhand früherer Fälle aus seinem Berufsleben erklärte. «Wir müssen sozusagen die Spur hinter der Spur suchen. Das Verhalten des Täters bei Planung, Tötung, Beseitigung und Auffälligkeiten nach der Tat analysieren.» Seine weiteren Ausführungen zeigten aber bald, dass das Rätsel um den Kristallhöhlenmord wohl auch weiterhin ungelöst bleiben wird.Rätsel der Kristallhöhle bleibt ungelöstNicht einmal die Ursache für die tödlichen Schädelfrakturen der beiden jungen Opfer ist gewiss. War es ein Schlag? Oder war es ein Sturz? Oder sind die beiden zu Tode gewürgt worden? Wofür es auch Spuren gibt. Petermann bleibt vage. Auch die mysteriöse Felsplatte mit einem Gewicht von ungefähr 600 kg, die über die Leiche von Brigitte M. gelegt wurde, wirft nur Rätsel auf. Wie hat es der Täter geschafft, diese Steinplatte von ihrer Abbruchstelle über fünf Meter zur Leiche zu bewegen? Oder waren es mehrere Täter? Wie wurden die toten Mädchen überhaupt zu den im äusserst unwegsam gelegenen Fundorten verbracht? Gleich nach dem Tod? Oder erst einige Zeit später? Diese Fragen konnte Axel Petermann verständlicherweise nicht abschliessend beantworten. Aber aus der Analyse der Persönlichkeit der Opfer und der nachvollziehbaren äusseren Umstände konnte vom Vortragenden darauf geschlossen werden, dass es sich um eine spontane «Zufallstat» eines eher strukturierten, planenden Menschen handelte. Mit grosser Sicherheit ein kräftiger, dominierender, aber an seiner Macht zweifelnder Mann im Alter zwischen 28 und 35 Jahren mit sehr guten Ortskenntnissen. Ein Mann, der seine Gewalt unter Kontrolle hatte und nur auf den Endzweck gerichtet einsetzte. Sexuell inkompetent, aber keine pädophilen oder sexistischen Neigungen aufwies.Richtigerweise gab Axel Petermann aber keine Spekulationen oder Erklärungen dazu ab, auf wen der zahlreichen von den Ermittlungsbehörden damals Verdächtigten seine Beschreibung am besten zutreffen würde. Oberriet wird weiterhin mit diesem ungeklärten, furchtbaren Mord an zwei junge Mädchen und dem Schatten des Bösen leben müssen.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.