Ein warmer Samstag Ende April, Paul-Grüninger-Stadion St. Gallen. Denis Sonderegger gestikuliert, tigert die Outlinie in der Coaching-Zone auf und ab, schreit. Er setzt sich, er steht wieder auf und dann dasselbe nochmals.
Er sieht, wie sein Team nach einer guten halben Stunde eine rote Karte bekommt, der Brühler Boris Prokopic wird unter die Dusche geschickt. Später sieht Sonderegger, wie sein Team den Faden verliert – zur Pause steht es 1:1, am Ende gewinnt der FC Biel 6:1. «Bis zur roten Karte haben wir richtig gut gespielt, dann hat das Momentum gekippt und die zweite Hälfte war richtig schlecht», sagt der Trainer.
Es war der Tiefpunkt der Saison 2023/24, es geriet auch das Saisonziel in Gefahr, sich als eine der besten sieben Teams der Liga für die erste Hauptrunde des Schweizer Cups zu qualifizieren. Doch Brühl legte einen starken Endspurt hin, holte in den letzten drei Spielen sieben Punkte und erreichte Rang sechs. «Dies war für den Verein wichtig, besonders nach der guten Vorrunde», sagt Sonderegger. Jene schloss Brühl auf Rang drei ab, danach ging es abwärts, was auch an Verletzungspech lag. Es waren an sich gar nicht viele Verletzte, «aber die ganze zentrale Defensive fiel weg. Das konnten wir nicht kompensieren, wir haben viel zu viele Gegentore bekommen.»
Vereinspunkterekord und beste Klassierung
Für Denis Sonderegger war es die dritte Saison beim SC Brühl – und der hat sich in jeder davon übertroffen. Los ging es mit einer Spielzeit, in der man knapp die dritthöchste Liga hielt. Dann folgte Rang sieben mit einem Punkterekord für den Verein, nun Rang sechs, Brühls beste Klassierung in der Promotion League, seit es diese gibt. Sonderegger sagt:
Wir sind ambitioniert und müssen uns nicht verstecken. Natürlich haben einige Clubs mehr finanzielle Möglichkeiten und der Verein gibt uns nicht vor, den Aufstieg anzupeilen. Aber vielleicht können wir uns mittelfristig auch mal wieder in Richtung Challenge League orientieren. Dafür muss aber alles passen.
Beim SCB arbeitet der Widnauer mit vielen jungen Spielern zusammen, aber auch mit Routiniers, die ihre Karriere als Vollprofi beendet haben – etwa der Brasilianer Silvio oder Boris Prokopic. Sie liessen die Karriere in St. Gallen nicht einfach ausklingen, sagt der Trainer: «Wir sind zwar ein Quartierclub, aber recht professionell aufgestellt. Intensität und Aufwand sind auch in dieser Liga hoch. Ist ein Spieler nicht motiviert, bringt er seine Leistung nicht, egal, welche Karriere er hatte.» Mit den älteren Spielern pflegt der Trainer einen regen Austausch, sie helfen ihm auf und neben dem Platz.
Doch häufiger hat es Sonderegger mit Jungen zu tun – auch bei den Gegnern. In der Promotion League spielten diese Saison sieben U21-Teams von Proficlubs. Darunter auch das des FC St. Gallen, das kein Glück hatte:
Es ist schade, dass die attraktivste U21 abgestiegen ist, an den Stadtderbys hatte es immer viele Fans.
Weniger Fans hat es bei Duellen mit anderen Nachwuchsteams, für den Trainer sind sie aber hoch interessant. Bei den Young Boys sei etwa Joël Magnin an der Seitenlinie gestanden, der im Mai als Interimstrainer des Berner Fanionteams Schweizer Meister wurde. Auch seien hie und da Profispieler dabei, «von denen können wir etwas lernen».
Widnau, St. Gallen, Wil, Sion, Winterthur, Egg
Denis Sonderegger stammt aus einer Familie, in der alle fussballbegeistert sind. Schon mit 15 beginnt er, beim FC Widnau Junioren zu trainieren. Später spielt er im «Zwei» in der 3. Liga.
Aber wenn wir Terminkollisionen hatten, dachte ich jeweils: Ich will die Aufgabe als Trainer wahrnehmen.
So war der Weg früh vorgezeichnet. Später geht er für eine Saison nach St. Gallen, ehe sechs Jahre bei Wil folgen. «Es gibt wohl nichts, was ich dort nicht gemacht habe», sagt er lachend. Er war nicht nur Juniorentrainer, sondern auch Leiter der Nachwuchsabteilung und in diversen Funktionen im Büro tätig.
Auch Assistenztrainer der Profis ist er, aber nicht lange: Der Trainer und das Präsidium wechselten, Sonderegger ging nach Sion, um für Trainer Maurizio Jacobacci als Gegneranalyst zu arbeiten. Die nächsten Engagements waren spannend, denn sie verliefen gleichzeitig: Beim FC Egg im Bregenzerwald hatte Denis Sonderegger zugesagt, per Januar 2019 als Trainer zu beginnen – zwei Monate zuvor schloss er sich auf Anfrage der Winterthurer Nachwuchsabteilung an.
Für stolze zweieinhalb Jahre machte er beide Jobs. «Da gab es Samstage, da hatte ich am Mittag in Winterthur ein Spiel und am Abend eines in Egg. Aber es war eine schöne Kombination: Ich war in Winterthur in eine Profistruktur eingebunden und machte in Egg erste Erfahrungen als Aktivtrainer.» Das Engagement bei Egg zeigte Sonderegger, dass er die Fähigkeiten hat, als junger Trainer ein Erwachsenenteam zu trainieren. Im Sommer 2021 folgte der Sprung zum SC Brühl.
Das grosse Ziel ist, ein Profiteam zu trainieren
Mit den St. Gallern startet der Widnauer in wenigen Wochen in seine vierte Saison. Der Trainer sagt:
Wir wollen wieder Erfolg haben, vielleicht noch ein bisschen mehr, wir müssen aber auch demütig bleiben.
Im Herbst wird er sich für die Uefa-Pro-Lizenz anmelden, es folgt ein Assessment im Dezember, bei dem der SFV den Trainer als geeignet für dieses Diplom erachten muss, worauf Sonderegger natürlich hofft. Sein grosses Ziel ist, in Zukunft ein Profiteam zu trainieren.
«Es braucht das richtige Angebot beim richtigen Verein zur richtigen Zeit», sagt er. Die Chance würde früher oder später kommen, man müsse sie dann aber auch nutzen – das Profigeschäft ist hart, teils dreckig und unberechenbar. Die Tatsache, dass sämtliche Stationen in Denis Sondereggers Vita über mehrere Jahre dauerten, spricht für den Durchhaltewillen des Trainers. Und Eile hat er nicht: Bei Brühl hat er ein gutes Standing, kann ohne viel Druck in die nächste Saison gehen. Das sind schöne Voraussetzungen.
Am Mittwoch, 3. Juli, 19 Uhr, trägt der SC Brühl im Rahmen der Vorbereitung auf die neue Saison auf der Aegeten ein Testspiel gegen Widnau aus.
Drei Tage später ist Brühl nochmals in Widnau zu Gast: Am Samstag, 6. Juli, 11 Uhr, treffen die St. Galler auf einen weiteren Ex-Verein Sondereggers, nämlich den Challenge-League-Club FC Wil 1900.