04.09.2020

Defibrillatoren für die Stadtpolitik

Die fünf neu für den Stadtrat antretenden Kandidaten sagten an einem Podium, wie sie Altstätten wiederbeleben möchten.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Gleich neun Kandidaten bewerben sich um die (neben dem Stadtpräsidenten) sechs Sitze im Stadtrat. Ralph Dietsche, der das Wahlpodium am Donnerstag im «Sonnen»-Saal moderierte, rechnete bereits zu Beginn vor, was das bedeutet: «Ein Drittel der Kandidaten ist überzählig – drei werden nicht gewählt.»Andreas Broger (CVP), Toni Loher (FDP), Daniel Schelling (parteilos), Hans Städler (SVP) sowie Stadtpräsident Ruedi Mattle standen nicht auf dem Podium. Als heutige und wieder antretende Stadträte darf man davon ausgehen, dass sie der Wählerschaft bekannt sind. «Womit sie freilich nicht automatisch gewählt sind», hielt Dietsche fest. Das überparteilich organisierte Podium sollte in erster Linie den interessierten Wählerinnen und Wählern (78 sind gekommen) zeigen, wie die erstmals antretenden Kandidaten «ticken», die da wären: Raphael Wälter (A plus), Mirjam Seitz-Popp (CVP), Patrick Meyer (SVP), Christoph Hanselmann (FDP) und Linda-Maria Grünenfelder (parteilos).Im Fokus stand die Frage: Wie bringt man Altstätten weiter, nachdem der einstmals bedeutendste Ort im Rheintal viel von seiner früheren Zentrumsfunktion verloren hat?Stadt vernachlässigt die Selbstvermarktung Mirjam Seitz stellte klar, dass die letzten Jahre nicht einfach nur verschlafen wurden. Im Besonderen die Interessengemeinschaft Einkaufsstadt Altstätten (Igea) habe nicht nur geredet, sondern viel getan. Was auch ein wenig Eigenlob sein mag, ist die Innenarchitektin mit eigenem Geschäft im Städtli doch Präsidentin der Igea. Sie nimmt die Stadt in die Pflicht: Ihrer Meinung nach hat jene in den letzten Jahren das Stadtmarketing vernachlässigt.Altstätten fehlen die Attraktionen, meint Linda-Maria Grünenfelder. Was man immer getan habe, funktioniere nicht mehr: «Wir brauchen mehr neue Ideen, Leute mit frischer Energie.» Die Sarganserländerin mit Abschluss in Betriebswirtschaft, die zurzeit noch in Schachen bei Reute wohnt, aber in Altstätten ein Buch- und Kulturlokal führt und im Falle der Wahl herziehen möchte, vermisst in Altstätten die Spontanität und die Begeisterung für Neues. Auch in der Stadtverwaltung. Ihr jedenfalls habe man dort nicht gerade geholfen. Die Stadt sollte Leuten mit Ideen weniger Steine in den Weg legen, findet sie.Wieder in Altstätten in den Ausgang wie früher Patrick Meyer, Unternehmer in Lüchingen, möchte das Städtli zusammen mit den Vereinen wiederbeleben. Er wünscht sich ausserdem wieder einen Abendverkauf, wie es ihn früher wöchentlich gegeben hat: «Das Einkaufen in Altstätten soll wieder zu einem Erlebnis werden, wo man mit der ganzen Familie hingeht und auch miteinander an einem Stand in der Gasse eine Bratwurst essen kann.»Etwa zwei Stunden später begänne in Altstätten das Nachtleben oder das, was davon übrig geblieben ist. Auch das war ein Thema am Podium. Im Besonderen Linda-Maria Grünenfelder machte sich für die Nachtschwärmer stark. Ihrer Meinung nach dürfte in Altstätten ruhig mehr laufen. Und «Altstätten braucht einen Platz, wo man auch die ganze Nacht hindurch plaudern kann – das fehlt den Jungen», meinte sie.Dem steht freilich das Ruhebedürfnis vieler gegenüber, die im Städtli wohnen. Jene gelte es genauso ernst zu nehmen, betonte Raphael Wälter. Der Fachhochschuldozent und Gemeindemanager beim Kanton Graubünden ist genauso dafür, das Städtli zu beleben, weshalb er auch einer der Initianten der Volksmotion «für eine lebendige Altstadt» ist, für die A plus in den letzten Wochen Unterschriften gesammelt hat. Die in der Motion geforderte Koordinationsstelle hätte auch die Aufgabe, sich der Interessenkonflikte anzunehmen und mit allen Beteiligten Lösungen zu erarbeiten.Christoph Hanselmann, beruflich Richter am Kreisgericht Rheintal, möchte nicht anprangern, was andere angeblich falsch oder zu wenig gut machen. «Gescheiter ist es, Lösungen zu bringen.» Und das müsse schon in einem frühen Stadium geschehen. «Es ist schwierig, Entscheidungsträger umzustimmen, wenn die Meinungen schon gemacht sind», stellte er fest. Dabei denkt er im Besonderen ans Spital. Er glaubt nicht, dass die Altstätter Stadträte und Kantonsräte noch viel zu dessen Erhalt erreichen können. Stattdessen sollte man seiner Meinung nach nun alles daran setzen, um für das für Altstätten angedachte Gesundheits- und Notfallzentrum möglichst viel herauszuholen.Patrick Meyer hingegen sieht es anders: Ihm bedeute  das Spital etwas, meinte er, und ein solches dürfe auch etwas kosten.Ein paar Frauen im Rat mag es schon leidenEin Argument, das ihrer Meinung nach für sie spricht, hielten Mirjam Seitz und Linda-Maria Grünenfelder bis zuletzt zurück, nämlich dass sie Frauen sind. Frau zu sein allein ist freilich kein politisches Programm. Das ist auch Seitz und Grünenfelder bewusst. Einige Frauen dürfte es im Stadtrat aber schon haben, hielten sie fest.Womöglich gewännen dann Themen wie die ausserschulische Kinderbetreuung an Gewicht. Dieses wurde am Donnerstag aus dem Publikum in die Runde geworfen. Alle sehen eine solche in der heutigen Zeit als Notwendigkeit. Einzig Patrick Meyer machte einen Vorbehalt: Seiner Meinung nach soll­te nicht die Allgemeinheit für Kindertagesstätten aufkommen: «Wenn beide Elternteile arbeiten wollen, sollten  auch sie es sein, die für die Kita zahlen.»Raphael Wälter schliesslich sagte, was hier das Schlusswort sein möge: «Altstätten ist für Stadträte ein schwieriges Pflaster – man kann es wohl kaum je allen recht machen.» Dass sich trotzdem so viele Kandidaten für das Amt bewerben, spricht durchaus für sie. Darf ein Richter Stadtrat sein?Von Seiten der politischen Vereinigung A plus wurde am Donnerstag die Kandidatur des Kreisrichters Christoph Hanselmanns für den Stadtrat kritisiert. Er sei sich zwar bewusst, dass der Kanton St. Gallen dies zulasse, meinte Markus Rohner, der frühere Präsident des parteiähnlichen Vereins. Er ist dennoch der Ansicht, dass dies mehr als nur an der Gewaltentrennung ritze.Christoph Hanselmann selbst sieht keine Überschneidung der Ämter. Als Richter befasse er sich mit Strafrecht und Scheidungsrecht, als Stadtrat hätte er es mit öffentlichem Recht zu tun, legte er dar. Und sollte es doch zu Überschneidungen kommen, würde er selbstverständlich in den Ausstand treten – genauso wie jeder andere Stadtrat, wenn ein Ratsgeschäft private oder berufliche Interessen tangiere.Einen Fürsprecher bekam der Freisinnige Hanselmann von unerwarteter Seite:  CVP- Urgestein Werner Ritter erinnerte, dass Richter Christian Schöbi ebenfalls jahrelang ein politisches Amt inne hatte, nämlich im Oberstufenschulrat. Dort dürften sich nach Ansicht Ritters eher noch mehr Berührungspunkte mit einer richterlichen Tätigkeit ergeben haben, als dies im Stadtrat zu erwarten wäre. Schöbis Arbeit für den Rat habe aber nie Grund zur Beanstandung ergeben.

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