29.04.2022

Defekt im kritischsten Moment

Flugzeugabsturz bei Altenrhein: Laut einem Experten hätte eine Notwasserung den Tod vielleicht verhindert.

Von Stefan Marolf und David Grob
aktualisiert am 02.11.2022
Nach dem Absturz eines Kleinflugzeuges am Donnerstagnachmittag verdichten sich die Anzeichen auf einen technischen Defekt. Die letzten Funksprüche, öffentlich einhörbar bei Live Air Traffic, zwischen dem 72-jährigen Piloten und der Flugsicherung des Flugplatzes Altenrhein kurz vor dem Absturz sprechen eine klare Sprache: «Wir haben einen Triebwerkschaden», meldet der Pilot kurz nach 14.30 Uhr. Der Tower reagiert umgehend: «Landung auf allen Pisten genehmigt.» Rund dreissig Sekunden später fragt der Tower nochmals beim Piloten nach. Es folgt keine Antwort.Einige Minuten später beantragt ein Helikopter Landegenehmigung auf dem Flugplatz Altenrhein. «Die Landepisten sind voraussichtlich längere Zeit geschlossen. Wir hatten einen Unfall», antwortet der Tower.Kleinflugzeug gehörte Ostschweizer UnternehmenDie Funksprüche bestätigen die erste Meldung von technischen Problemen der Kantonspolizei St. Gallen vom Donnerstagnachmittag. Endgültige Erkenntnisse über den Unfallhergang dürfte aber erst die offizielle Untersuchung der Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) und der Bundesanwaltschaft ergeben, die sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht äussern können. Weiterhin unklar: der Grund des Fluges, die geplante Flugroute und das Flugziel des Piloten. Das Flugzeug wurde noch am Donnerstagabend aus dem knietiefen Wasser geborgen, der Pilot ist beim Unglück verstorben. Gemäss jetzigem Erkenntnisstand war er alleine an Bord. Klar ist: Das Kleinflugzeug ist auf eine Firma mit Sitz in der Ostschweiz eingetragen. Das Unternehmen wollte auf Anfrage keine Fragen beantworten.Der Pilot hat wohl falsch entschiedenDie Funksprüche, die einen Triebwerksausfall vermuten lassen, zusammen mit einem Augenzeugenbericht, wonach das Flugzeug vor Staad praktisch senkrecht in den See gestürzt sei, deuten für Hanspeter Mettler, Präsident der Vereinigung Schweizer Aviatik-Journalisten SAJ, auf einen Strömungsabriss hin. Dass der Pilot, «möglicherweise in Panik», versucht habe, nach dem Triebwerksausfall zum Flugplatz zurückzukehren, sei wohl fatal gewesen, sagt Mettler. «Eine Umkehrkurve mit wenig Höhenreserve und ohne Vortrieb des Triebwerks ist sehr kritisch und war mutmasslich die falsche Entscheidung.» Der Grund: Zusätzlich dazu, dass dem Flugzeug die nötige Geschwindigkeit fehlt, verringert sich mit zunehmender Neigung der Tragflächen in der Kurve der Auftrieb weiter. Dabei steige das Risiko, die Kontrolle zu verlieren – oder «abzuschmieren», wie man es in Fachkreisen nennt – markant. Irgendwann breche der Auftrieb komplett zusammen. «Dann ist ein Flugzeug nicht mehr ein Luftfahrzeug, sondern ein Stein, der der Schwerkraft ausgeliefert ist.»Notlandung hätte klappen könnenIn dem Moment, in dem bei einem Motorflugzeug das Triebwerk ausfalle, werde es zum Segelflugzeug, sagt Mettler. In grosser Höhe sei das kein hochgefährliches Problem; ein Verkehrsflugzeug könne bei einem Triebwerksausfall zehn Kilometer über Grund noch bis über 200 Kilometer weit segeln. «Da hast du als Pilot alle Zeit der Welt zu überlegen, was du tun solltest.» Im Fall von Staad sei das anders gewesen: «Ein Triebwerksausfall direkt nach dem Start ist das Kritischste, was passieren kann.» Einen Ausweg hätte es möglicherweise trotzdem gegeben, glaubt Mettler: «Eine kontrollierte Notwasserung hätte dem Piloten vielleicht das Leben gerettet.»Statt ein Wendemanöver einzuleiten, hätte der 72-Jährige geradeaus weiterfliegen sollen und versuchen können, sein Flugzeug segelnd auf dem Wasser zu landen. «Solche Manöver gab es auch schon mit Verkehrsflugzeugen. Sie gehen sehr oft glimpflich aus.» Dass ein Restrisiko bleibt, zeigt die Statistik. Während in den letzten Jahren in Europa kein einziges Linienflugzeug verunglückt sei, kämen Unfälle mit Kleinflugzeugen immer wieder vor, sagt Mettler. Einerseits sei dies damit zu begründen, dass Verkehrsflugzeuge mehrere Triebwerke und damit eine Leistungsreserve hätten, andererseits seien die Piloten stets zu zweit unterwegs.«Die beiden Unfälle haben nichts miteinander zu tun»Beim Unfall von Altenrhein, genauso wie bei jenem einer Cessna am Säntis vor einem Monat, war jeweils eine Person allein unterwegs – und beide waren über 60. Zwar gebe es in der Schweiz für Verkehrspiloten eine Alterslimite von 55 Jahren, sagt Mettler, aber: «Ich würde die Unfälle nicht am Alter festmachen.» Bleiben die Flugzeuge als mögliches Risiko. Mettler sagt: «Der Unfall am Säntis und der Absturz in Staad haben nichts miteinander zu tun.»Die Cessna, die im Alpstein verunglückt sei, habe ein sehr leistungsfähiges Triebwerk. Das Flugzeug, das in den Bodensee gestürzt ist, sei deutlich schwächer motorisiert: «Vergleichen Sie mir die beiden Flugzeuge nicht.» Der Pilot in Altenrhein hätte laut Mettler allenfalls den senkrechten Absturz fliegerisch verhindern können, gegen das Eintreten eines technischen Defekts sei allerdings unter Umständen nicht viel auszurichten. Mettler sagt: «Jeder Pilot, der seriös unterwegs ist, muss sich gedanklich damit befassen, dass auch im dümmsten Moment ein Triebwerksschaden auftreten kann.»

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