07.08.2020

Das Wichtigste ist die Kameradschaft

Stefan Langenegger aus Altstätten war früher ein erfolgreicher Zehnkämpfer – heute betätigt er sich als Kreisturnverbandspräsident.

Von Gerhard Huber
aktualisiert am 03.11.2022
Stefan Langenegger geniesst den Feierabend auf der Terrasse seines Hauses in Altstätten. Die abendliche Ruhe ist für den 59-jährigen Präsidenten des Kreisturnverbandes Rheintal ungewohnt. Normalerweise ist der frühere Turner, Fussballer und Zehnkämpfer nach den Arbeitstagen bei Stadler Rail in Altenrhein auch am Abend als Sportfunktionär eingespannt. Doch in Coronazeiten, zu diesen dieses Gespräch stattgefunden hat, war alles anders.«Sonst habe ich terminmässig immer ein wenig das Messer am Hals. Aber alle Veranstaltungen waren abgesagt, es gab keine Trainings, keine Turnfeste, keine Sitzungen. Dafür hatte ich Zeit für Bewegung im Freien; Laufen oder Velotouren mit der Männerriege II. Die Hallen waren für die Turner zu, die erlaubten Fünfergruppen waren für uns zu klein. Natürlich suchten die Vereine Wege, um ihren Mitgliedern Trainingsmöglichkeiten anzubieten. So hat Urs Lüchinger, Geräteriegenleiter des STV Balgach, den Mitgliedern der erfolgreichen Geräteturnriege der Kinder, die nicht einmal Schulturnen hatten, auf Wunsch Gymnastikmatten nach Hause gebracht, damit Sie weiter den Flic-Flac oder den Spagat üben können.»Es herrschte kein Funktionärsstress. Die sonst im Sommer stattfindenden Turnfeste wurden alle abgesagt. Grosses Ziel und einer der Höhepunkte der Funktionärslaufbahn soll nun das für 2022 vorgesehene Kreisturnfest in Balgach werden. Auch wenn Stefan Langenegger plant, das Zepter des Kreisverbandspräsidenten 2021 in jüngere Hände zu legen, wird er an massgeblicher Stelle des Organisationskomitees zum Gelingen des dritten Kreisverbandsturnfests unter seiner Verantwortung (nach Rüthi 2010 und Gams 2016) mitwirken. Wie ist der langjährige Funktionär zum Turnsport gekommen?«Das war 1979, als mich einige Kollegen mitnahmen. Ich habe mich dem damaligen ETV Balgach als Sektionsturner und Zehnkämpfer angeschlossen. Zuvor hatte ich bei den A- und B-Junioren in Diepoldsau Fussball gespielt. Mit mässigem Erfolg, weil ich mit der Technik zu kämpfen hatte. Nach einem Training mit Widerworten zum Trainer habe ich aufgehört. In einem Training sollten wir Ersatzspieler die Mauer bilden. Doch statt die Bälle um die Mauer zu zirkeln, haben die Offensivspieler voll auf uns gezielt. Ich sagte dem Trainer, er soll die sonst spielenden Verteidiger in die Mauer stellen und nicht den Ersatz als Kanonenfutter, worauf er mich in die Kabine schickte. Ich habe die Tasche gepackt und mit dem ‹Tschutten› aufgehört.»Zum Glück für den Rheintaler Turn- und Leichtathletiksport. In den 80er-Jahren war das Rheintal eine der Zehnkampfhochburgen der Schweiz. Felix Haas, auch auf nationaler Ebene erfolgreich, Fredi Morgentaler, Heinz Ehrsam und Urs Schöb waren die Ersten, die in der «Königsdisziplin der Leichtathletik» tätig waren. Sie tauchten in Dekathlon-Ranglisten immer wieder vorn auf. Wie gegen Ende der 80er-Jahre die Diepoldsauer Gruppe mit Fredi Weder, Pascal Frei, Christian Wyss, Elmar Hutter und Bob-Olympiasieger Gusti Weder.«Meine stärksten Disziplinen waren der Stabhochsprung sowie der 1500-Meter- und der 400-Meter-Lauf. Wenn ich zwei gute Tage hatte, hat es jeweils zu einem Lorbeerkranz gereicht. Wie in Landquart 1984, wo auch meine spätere Frau Trix beim Siebenkampf mitgemacht hatte. Gleichzeitig fand für die Weltklasse das Meeting in Götzis statt, aber wir als «zweite Garnitur» waren in Landquart. Die Marper, Balger und Räbschter Zehnkämpfer und Fredi Weder aus Diepoldsau. Sie sassen zur Rangverkündigung alle an einer langen Festbank. Und alle haben einen Kranz geholt. Nur ich nicht. Dachte ich. Aber dann wurde ich doch noch aufgerufen – als Letzter. Ich fühlte mich wie ein Sieger, und alle haben sich mit mir gefreut.»Die Bestleistung im Zehnkampf realisierte Stefan Langenegger am Rheintalischen Turnfest in Balgach 1986 mit 5254 Punkten. Wobei noch viel mehr dringelegen hätte. Bis zu seiner Paradedisziplin – Stabhochsprung – hatte er in allen Disziplinen persönliche Bestleistungen geholt. Beim Einspringen ging es dann auch gleich über 3,60 Meter. Doch als er nach längerer Wartezeit im Wertungswettkampf bei 3,40 m eingestiegen ist, einer Höhe, die er sonst ohne grosse Anstrengung sicher übersprang, riss er dreimal und holte keinen einzigen Punkt.«Ich war so enttäuscht von mir, dass ich den Wettkampf abbrechen wollte. Doch Kameraden und Konkurrenten ermutigten mich, weiterzumachen. Mit der Wut im Bauch habe ich durchgezogen und trotz des punktelosen Stabhochsprungs mein bestes Ergebnis gemacht. In meiner aktiven Laufbahn gab es auch sonst viele schöne, kuriose Erlebnisse. So bin ich einmal mit Gery Sutter in einem Citroen 2CV nach Schaffhausen zum Kantonalturnfest gefahren. Eigentlich wollten wir die Stäbe fürs Stabhochspringen aus dem Auto durch das offene Dach stehen lassen, wir wären dann aber wohl nicht mehr unter den Brücken durchgekommen. Also habe ich sie die ganze Strecke ausserhalb des Fensters im Ellbogen festgehalten.»Seine Frau Trix, selbst begabte und erfolgreiche Siebenkämpferin, lernte Stefan über den Sport 1982 kennen. Sie zogen zusammen und heirateten 1989. Die Hochzeitsreise führte gute vier Monate durch Australien, einen Monat nach Neuseeland und nach Indonesien, Thailand und auf die Malediven. Diese waren damals noch völlig unbekannt und weitgehend unberührt. Das Paar tauchte dort erstmals.«Auf einer Kenia-Reisen war ich zweimal Hochseefischen und habe tatsächlich einen Schwertfisch gefangen – worauf das Boot auf Tage hinaus von anderen hoffnungsfrohen Fischern ausgebucht war. Den Fang wiederholte keiner. Wir haben seit 1989 das Tauchbrevet und haben schon vorher in unseren Ferien überall getaucht. Als wir Nachwuchs bekommen haben, haben wir pausiert. Meine Passion ist aber nicht das Tauchen oder das Hochseefischen, sondern der Turnsport in all seinen Facetten.»Der Altstätter, der ab 1993 Präsident des STV Balgach war und seit zwölf Jahren dem Kreisturnverband Rheintal vorsteht, fand neben Familie und Beruf immer Zeit für Hobbys. Wie die Hühner- und Kaninchenzucht. Vis-à-vis der Terrasse flattert eine muntere Schar von Rostrebhuhnfarbigen Welsumer Hennen samt zwei Gockeln mit ihren Flügeln und gackert lustig vor sich hin. Als Mitglied des Ornithologischen Vereins Widnau nimmt Langenegger mit Hasen und Hühnern immer wieder an den Kleintierausstellungen teil.«Aber der Turnsport war immer beherrschend. Tochter Heidi, 1991 geboren, hat eine Lehre als Bäckerin und Konditorin und als Zweitberuf Kleinkindererzieherin gelernt. In diesem Beruf ist sie tätig. Sie war bis vor einem Jahr Vorturnerin der Damenriege des STV Marbach, also im selben Verein wie meine Frau Trix all die Jahre. Als ich Präsident in Balgach war, hat das familienintern schon gutmütige Spötteleien gegeben. Trix und Heidi haben mehrere Schweizer Meistertitel in ihrem Palmares und ich als «Balger» halt nicht. Nur unser Sohn Urs, der als Heizungsmonteur arbeitet, scheint etwas aus der familiären Sporttradition zu fallen. Er spielt in der zweiten Mannschaft des FC Altstätten. Aber nicht die Sportart ist wichtig, sondern, dass alle in einem Verein mitmachen und gut aufgehoben und integriert sind.»Vor einigen Monaten berichtete diese Zeitung aus Anlass der Hauptversammlung des Rheintaler Kreisturnverbandes über Stefan Langenegger, unter dem Titel «Mehr Fun als Fit». Der agile, nie ruhende, bald Sechzigjährige ist bei seinen Turnern immer noch aktiv. Als Mitglied der Balgacher Truppe bei den «Fit und Fun»-Veranstaltungen.«Ich war nie ein wirklich guter Zehnkämpfer, eher gutes Mittelfeld. Es ging mir immer um die Freude am Sport und die Kameradschaft. Es ist schön zu sehen, dass es die frühere Konkurrenz zwischen den Rheintaler Turnvereinen, zwischen konfessionell geprägten Vereinen innerhalb der Gemeinden oder zwischen Leichtathleten und Turnern nicht mehr gibt. Das ist um Welten besser geworden. Man beneidet sich nicht mehr, sitzt und feiert zusammen. Jetzt sind ja sowieso alles meine Vereine, von St. Gallen bis Buchs. Es gibt Dinge, die früher nie möglich gewesen wären. So ist Marbach gemeinsam mit einem Car zur Schweizer Meisterschaft gefahren. Lüchingen und Kriessern machen gemeinsam Kleinfeldgymnastik, abwechselnd für Kriessern oder Lüchingen. Das Wichtigste und Schönste an unserem Sport ist die grosse Vielfalt und vor allem die Kameradschaft.»

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