22.05.2021

Das Vorderland fühlt sich benachteiligt

In Heiden gibt es nach der angekündigten Spitalschliessung Kritik an den fehlenden Perspektiven. Zugleich werden Forderungen gestellt.

Von Jesko Calderara
aktualisiert am 03.11.2022
Jesko CalderaraEs mag eine Nebensächlichkeit sein, war aber dennoch symbolträchtig: Der Regierungsrat und der Verwaltungsrat des Spitalverbunds Appenzell Ausserrhoden (Svar) führten die Medienkonferenz zur Schliessung des Spitals Heiden nicht im Biedermeierdorf, sondern auf dem Gelände des Psychiatrischen Zentrums in Herisau durch. Der Ärger darüber scheint im Vorderland gross zu sein, wie ein anonymes Schreiben an die «Appenzeller Zeitung» zeigt. Nun räche sich, dass die Region im Regierungsrat nicht vertreten und auch im Kantonsrat das Hinterland massgebend sei, heisst es darin.Die ganze Spitaldiskussion erhält somit eine regionalpolitische Note. So bemängelt der Gemeinderat Heiden die immer weiter fortschreitende Verschiebung von kantonalen Leistungen nach Herisau. Die Gefahr liege im niederschwelligen Verlust von Angeboten, sagt Gemeindepräsident Gallus Pfister. Als Beispiele nennt er die Verlegung des Sitzes von Appenzellerland Tourismus nach Herisau und die Begrenzung des kantonalen Leistungsbeitrags für die Rorschach-Heiden-Bergbahn zu Lasten der Gemeinde. «Im Sinne einer angemessenen Berücksichtigung aller Regionen fordern wir, dass der Wegfall der Leistungen im Gesundheitsbereich kompensiert wird», sagt Pfister. Ausserrhoden fehlt ein ZentrumDurch den Entscheid, den Spitalstandort im Vorderland aufzugeben, gehen 180 Stellen verloren. Pfister könnte sich vorstellen, dass als Ersatz dafür Arbeitsplätze der kantonalen Verwaltung nach Heiden verlegt werden. Er fordert zudem, dass der Kanton die Gemeinde bei der Entwicklung des Spitalareals unterstützt, etwa bei der Realisierung eines Leuchtturmprojekts. Auch zur Aufrechterhaltung der medizinischen Grundversorgung stellt der Gemeinderat Heiden Forderungen (siehe Ausgabe vom Samstag). Um diesen Nachdruck zu verleihen, hat er der Ausserrhoder Regierung einen Brief geschrieben.Ähnliche Befürchtungen wie der Gemeinderat hat Stefan Sonderegger. Der Heidler Historiker hat kürzlich an der Konferenz teilgenommen, an der Vertreter aus Politik, Medizin und Gewerbe verschiedene Lösungen zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in der Region sowie zur Zukunft der frei werdenden Spitalliegenschaft diskutierten. «Aktionen wie die Spitalschliessung im Zentrum des Vorderlands fördern das Auseinanderdriften», sagt Sonderegger. Weil Ausserrhoden über kein definiertes und als solches wahrgenommenes Zentrum verfüge, seien die Fliehkräfte zwischen den Bezirken gross. Aufgrund dieser Situation bestehe die latente Gefahr, dass der Kanton, im Gegensatz etwa zu Innerrhoden, über ein zu geringes Identitätsbewusstsein verfüge, sagt Sonderegger.Direkt damit zusammen hängt die regelmässig kritisierte Zusammensetzung der Regierung. Zurzeit besteht das Gremium aus fünf Männern aus dem Hinterland. Früher, noch mit sieben Mitgliedern, galt die lose Faustregel: Drei Regierungsräte stammen aus dem Hinterland und je zwei aus dem Mittel- und dem Vorderland. «Wenn nun teils zu Recht moniert wird, die Zusammensetzung sei regional einseitig, ist vor allem das Vorderland gefordert, valable Kandidierende aufzubauen», sagt Sonderegger. Diese Meinung teilt Hansjörg Ritter. Der ehemalige Ausserrhoder Polizeikommandant arbeitet ebenfalls in der Arbeitsgruppe mit. 2017 gehörte Ritter zu den Initianten einer Petition zur Rettung des Spitals Heiden. Über 12000 Unterschriften kamen damals zusammen. «Ich empfinde dies als Verpflichtung, mich nun wieder zu engagieren», sagt Ritter. Auch er weist auf die fehlende Regierungsvertretung hin. Seiner Einschätzung nach ist dies in Heiden ein grosses Thema. Dadurch entstehe in der Bevölkerung der Eindruck, dass das Vorderland gegenüber dem Hinterland benachteiligt und das Spital Heiden für jenes in Herisau geopfert werde, gibt er zu bedenken. Der letzte Vorderländer Regierungsrat war Köbi Frei. 2019 trat der ehemalige Finanzdirektor zurück. Frei hebt die positive regionale Entwicklung hervor. «In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich das Vorderland in Bezug auf die Steuerkraft und die Wohnattraktivität erfreulich entwickelt», sagt der Verwaltungsratspräsident des Hotels Heiden. So sind Heiden, Lutzenberg, Rehetobel, Wolfhalden und Walzenhausen im Finanzausgleich zu Gebergemeinden aufgestiegen. Dieser mit Weitsicht geplanten Errungenschaft gelte es weiterhin Sorge zu tragen, sagt Frei. «Dafür sollte das Vorderland in Zukunft nicht durch eine erhöhte Abschöpfung aus dem Finanzausgleich oder durch übergeordnete Einschränkungen in der Richt- und Zonenplanung bestraft werden.»Kritik am fehlenden Sozialplan Hansjörg Ritter hat ein anderes Anliegen. Ihm geht es nicht darum, die Schliessung an sich zu bekämpfen. Er wehrt sich vielmehr gegen die Art und Weise, wie dieser Schritt erfolgt und kommuniziert wurde. Kein Verständnis zeigt Ritter für den fehlenden Sozialplan. Dies werde von jeder Privatfirma erwartet, umso mehr müsse dies auch für eine staatliche Institution gelten. Intensiv beschäftigt haben sich die Teilnehmer der Konferenz mit der Gesundheitsversorgung. Durch den Wegfall des Spitals sei diese gefährdet. «Heiden und das Vorderland haben aber einen Anspruch auf eine ärztliche Grund- und Notversorgung», sagt Ritter. Nach Ansicht von Gesundheitsdirektor Yves Noël Balmer und des Svar-Verwaltungsrats ist diese weiterhin gewährleistet, zumal der Rettungsdienst in Heiden stationiert bleibt. Ob dies allerdings genügt, bezweifelt Ritter. Die Sicherstellung einer Notversorgung benötige bis zu einem gewissen Grad eine Spitalinfrastruktur, gibt er zu bedenken. Darauf seien bis anhin auch die Hausärzte angewiesen gewesen, beispielsweise im Bereich Röntgen. Auch das benachbarte Betreuungszentrum beziehe Dienstleistungen vom Spital.Im Zusammenhang mit dem Thema Notversorgung spielt für Stefan Sonderegger die Eignerstrategie des Kantons gegenüber dem Svar eine wichtige Rolle. Darin wird festgehalten, dass die Spitäler Herisau und Heiden zusammen mit den Hausärzten diese Aufgabe übernehmen. Gemäss Sonderegger stellt sich nun die Frage, mit wem man im Vorderland eine solche Leistungsvereinbarung abschliessen kann. Dazu gibt es zwei Ideen: Entweder werden Teile des Spitals Heiden dafür genutzt oder es wird eine Kooperation mit der Klinik Hirslanden am Rosenberg angestrebt. «Wir verlangen, dass beide Möglichkeiten geprüft werden», sagt Ritter. Die Hausärzte hätten ihre Bereitschaft zur Übernahme einer Pikettabdeckung signalisiert. Dass es in diesem Bereich eine Lösung braucht, hält Sonderegger noch aus einem anderen Grund für wichtig. Eine Tourismusregion wie «Appenzellerland über dem Bodensee» ohne Notversorgung mache keinen Sinn, betont er. Ein Biker mit einem Armbruch gehe wohl nicht an St. Gallen vorbei nach Herisau ins Spital, sondern sollte sich am besten vor Ort notversorgen lassen.Interdisziplinäres Angebot als Alternative In den nächsten Monaten geht es nun aber in erster Linie darum, zu klären, wie die Spitalimmobilie künftig genutzt werden soll. Sonderegger weist auf die lange Tradition von Heiden im Kurwesen hin. Seiner Meinung nach könnte im Spitalgebäude ein interdisziplinäres Angebot mit Reha, Gesundheitsprävention mit Sportangebot, Notversorgung und Physiotherapie geschaffen werden. In der Rehabilitation nach Spitalaufenthalten bestehe nach Aussagen von Fachleuten aus dem Medizinalbereich ein grosser Bedarf, sagt Sonderegger. Er schlägt vor, in diesem Bereich Zusammenarbeiten in der Region, beispielsweise mit der Klinik Gais oder dem Kurhotel Oberwaid und anderen, zu prüfen.

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