Gert BrudererAngefangen hatte es Ende der Siebzigerjahre. Als die katholische Kirche, abgesehen vom Turm und einer Mauer, einem Neubau weichen musste, war Hans Spirig mit seiner Spiegelreflexkamera zur Stelle. Der damalige Schreiner hatte sich den Fotoapparat gekauft, weil eine neue Leidenschaft in ihm herangereift war. An ein Album dachte er zu jener Zeit, seine Beharrlichkeit blieb aber vorerst aufs Fotografieren beschränkt. Mit der ordnenden und gestaltenden Arbeit liess Spirig sich Zeit.Erst letztes Jahr, mit 81, fasste er den Entschluss, anstelle des unvollendeten Albums ein Buch zu machen. Gedacht, getan, jetzt ging es zackig, 190 dieser Bücher sind bereits verkauft, 30 Bestellungen momentan offen.Alte Ansichten zusammengesuchtUms Geld geht es allerdings nicht, nur um die Deckung der Kosten. Wer an historischen Bildern Freude hat und sich die vielen verschwundenen Häuser gern ansieht, bekommt für 70 Franken rund 250 Fotos auf gut 80 Seiten.Zwei Drittel der Bilder hat Hans Spirig selbst gemacht, die anderen, zum Teil viel älteren, haben er und Fini, seine Frau, entweder an Philatelieausstellungen erworben oder von Leuten erhalten, die vom Projekt wussten und es gern mit alten Bildern unterstützten.Zunächst erlebten Spirigs aber einen kleinen Schock. Ein Fotobuch auf die übliche Art drucken zu lassen, zum Beispiel bei einem Online-Dienstleister, hätte mehr als das Doppelte des jetzigen Preises gekostet. Ausserdem hatte Hans Spirig keine Lust auf fixe Formate und eine vorgegebene Seitengestaltung. Im Altstätter Copydruck fand der Diepoldsauer einen Partner, der seine Wünsche zu einem angemessenen Preis erfüllen konnte.«Am liebschte alls varusigworfa»Bei seiner Frühpensionierung im Jahr 1997 bekam Hans Spirig von Tochter Monika einen Computer geschenkt. Er besuchte sofort Kurse für Word und Excel, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Dann, zum 70. Geburtstag im Jahr 2006, kam eine kleine Digitalkamera dazu – ein praktisches Gerät, das der Rentner im Hosensack mitführen kann, ob er sich nun zu alten Gebäuden oder auf eine Wanderung begibt.An der Entstehung des Fotobuchs waren alle drei Kinder in irgendeiner Form beteiligt, auch Cornelia und Stephan. Der Sohn bereitete das Layout vor, trotzdem war der Vater stark gefordert. Bildbearbeitung und Bildplatzierung, dazu noch Text am rechten Ort – das alles lässt Hans Spirig heute lächelnd sagen, «nur mit viel Müeh» sei das Buch entstanden, doch ein paar Mal hätte er’s «am liebschte varusigworfa». Seine Gattin Fini fügt hinzu: «Er hät glob z’Nacht no tromd vom Buech.»«Wa ma do alls baue hät»Bei der Fotoausstellung «Diepoldsau gestern und heute», die der Verein Kultur uf dr Rhyinsel vor einem Jahr durchführte, lag das Fotobuch zur Ansicht auf. Es heisst «Diepoldsau-Schmitter wie es mal war», und eigentlich hatte Hans Spirig beabsichtigt, «Band 1» dazuzuschreiben. Seine Frau gab skeptisch zu bedenken, ob er wirklich einen zweiten machen wolle, und die Frage war nicht unbegründet. Doch Hans Spirig fährt mit seinem Hobby fort, indem er auch in Zukunft alle Häuser fotografisch festhält, die verschwinden müssen.Irgendwann sagt seine Frau, die langsam durch den Bildband blättert, mit Verwunderung: «Wa ma do alls för Blöck und Züg baut hät.» Als würde man sich der Veränderung erst beim Betrachten der Fotos so richtig bewusst.Im «National» lebten geflüchtete JudenHans und Fini Spirig können viel erzählen. Etwa, dass noch heute manche von der «neuen Strasse» sprächen. Neui Stross, so wurde die erst nach dem sogenannten Diepoldsauer Durchstich (1923) neu entstandene Hohenemster-strasse genannt.Die Begradigung des Rheins hatte eine andere Hauptverkehrsachse zur Folge, ausserdem die Verlegung von Restaurants. Der «Löwen» und das «Schiffli» wurden an einem neuen Ort (an der neuen Hauptstrasse) neu gebaut, die «Heimat» sei nach einem Brand im Jahre 1948 ins Nachbarhaus verschoben worden. Fini Spirig sah das Feuer, damals war die Tochter eines Sattlers fünf.Die Beizen sind im Fotobuch in stolzer Zahl vertreten, auch das «National» ist zu finden. Dieses sei zuerst ein Schulhaus des Dorfteils Schmitter gewesen, schliesslich habe man hier geflüchtete Juden untergebracht, ehe das «National» von der Rheinkorrektion als Büro genutzt und später zum Restaurant wurde. Spirigs Vater, der auch Hans hiess, Jahr- gang 1886, ging im Gebäude zur Schule.Vom «Rössli» sind drei Varianten zu sehen, ferner finden sich in Spirigs Buch die 1980 abgebrochene evangelische Turnhalle sowie das Haus, das 1966 dem katholischen Pfarreiheim weichen musste. Auch was vor dem Bau der Post an diesem Ort zu sehen war, zeigt Spirig, und wo jetzt die Migros steht, stand einst das «Kafi Friedli», das kein Restaurant war, sondern nur so hiess, weil der Bewohner mit Kaffee gehandelt hatte.Im Maz stand einst ein KieswerkEines der verschwundenen Gebäude hatte bis vor drei Jahrzehnten im Marzeller Loch gestanden, heute Maz genannt. Wo sich, umgeben von Natur, die Ruhe und ein Bad im Alten Rhein geniessen lässt, stand diesem Spass früher ein Kieswerk im Weg.Die seit 1978 abgebrochenen Gebäude, sagt Hans Spirig, seien praktisch lückenlos im Buch enthalten. Und die Zahlen, die im Fotobuch genannt sind, dürften alle stimmen. Fini Spirig sagt: «Hundertmol sind mer vor äm Druck alls durigange.»HinweisDie Fotos der Ausstellung «Diepoldsau gestern und heute» sind derzeit nochmals zu sehen – im Gemeindehaus, bis Ende September. Hier liegt auch das Buch von Hans Spirig zur Ansicht auf.