25.04.2021

Das verblasste Erbe der alten Leica

Die Leica bestimmte das Leben im St. Galler Rheintal. Sie gab Arbeit, baute Schulen, gestaltete die Freizeit. Hundert Jahre nach ihrer Gründung ist sie eine gewöhnliche Arbeitgeberin. Was ging verloren – und wieso? Eine Geschichte der Schweizer Wirtschaft.

Von Samuel Tanner und Janique Weder
aktualisiert am 03.11.2022
Als sich die feindliche Übernahme anbahnt, ist Hans Hess auf dem Weg in die Oper. An die Aufführung wird er sich bald nicht mehr erinnern – zu sehr denkt er an jenem Abend im Zürcher Opernhaus an den Anruf, den er im Auto bekommen hat. Es ist das Jahr 2005, für Hess ist es sein zehntes Jahr als Chief Executive Officer der Leica, er steht 2500 Angestellten vor, er ist der Manager eines Umbruchs. Auf dem Weg hat ihn Mario Fontana angerufen, sein damaliger Verwaltungsratspräsident. Ob er morgen Zeit habe für ein Gespräch im Hotel Hilton beim Flughafen. Es wollten ihn Manager einer Firma mit dem Namen Hexagon sprechen, ob er die kenne. Seit sich die Welt globalisiert hat, müssen viele Institutionen der Schweizer Wirtschaft ihren Platz neu suchen. Auch die Leica muss modernisiert werden, aber Hans Hess droht mit seiner Idee gerade zu scheitern. Die Männer werden Hess am nächsten Morgen erklären, sie wollten die Leica kaufen – auch gegen seinen Willen. Sie würden den Aktionären der Firma ein Angebot machen. In den folgenden Wochen besucht Hess seine Aktionäre, er kämpft, aber er ahnt, dass er verlieren wird. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Leica nicht irgendeine Firma im St. Galler Rheintal. Sie war die Pionierin der Weltvermessung, aber vor allem eine Lebensgrundlage für die Region. Sie bildete aus und gab Arbeit, dank ihr wurden Schulen und eine Tramlinie gebaut, sie war der Musikchor, vermittelte Häuser, eröffnete eine Pensionskasse. Im Rheintal kannte jeder jemanden, der in der Leica arbeitete – oder in der Wild Heerbrugg, wie sie lange hiess. Das ganze Leben konnte sich um diese Firma drehen.Nun gehört die Leica einem schwedischen Konzern, geführt wird sie von einem deutschen Manager. Wie der Leica erging es vielen Schweizer Firmen. Sie stehen am gleichen Ort wie früher, aber sie haben sich diesem entfremdet. Die Leica prägt das Rheintal seit hundert Jahren, aber diese Prägung ist schwächer geworden. Was geht verloren, wenn eine Institution erodiert? l. Schmidheinys oder: Der liebe Gott wohnt in HeerbruggDas Areal der Leica in Heerbrugg steht im Sumpf. Über Jahrhunderte wurde das Rheintal von Überschwemmungen heimgesucht, «der Rhein ist der einzige Chef im Tal», sagen die Leute. Wenn die Fluten kamen, standen die Rheintaler am Rhein und versuchten, ihm wenigstens das Schwemmholz abzuringen. Es war ein grobmechanischer Kampf mit der Natur. Diese Gegend sollte nur einige Jahre später das Tal der Feinmechanik werden. Den Boden dafür bildeten die Finanzen und das Geschick der Schmidheinys, die später zur vielleicht bedeutendsten Familie der Schweizer Industriegeschichte aufsteigen sollten. «Der liebe Gott wohnt in Heerbrugg», heisst es in einem alten Buch über sie.Thomas Schmidheiny, 75, ist der letzte Vertreter der Dynastie, der älteste Sohn von Max Schmidheiny. Sein Bruder Alexander ist früh gestorben, seine Schwester Adda Marietta ist ausgewandert, sein Bruder Stephan hat sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Eine seiner Töchter macht Bier in Mexiko, eine andere machte die Kunsthochschule und betreut jetzt die Hodler-Sammlung der Familie, die dritte Tochter macht gerade die Winzerprüfung. Sein Sohn wohnt in Berlin. Thomas Schmidheiny ist noch da. Wenn er über das Rheintal spricht, sagt er «draussen». Er wohnt in Rapperswil-Jona, er ist Multimilliardär, ein internationaler Unternehmer, aber sobald er zu sprechen beginnt, ist man geistig wieder draussen im Rheintal, dort, wo alles begann.Die Anfänge des Unternehmens lesen sich wie ein Requiem auf die alte Schweiz: Heinrich Wild, ein Oberingenieur und Major der Artillerie, lernte in einem Militärdienst in der Gotthardfestung einen Vermessungsfachmann namens Robert Helbling kennen. Helbling wiederum kannte von seiner Zeit an der ETH den Rheintaler Unternehmer Jacob Schmidheiny. Mit dessen Kapital gründeten sie am 26. April 1921 die «Heinrich Wild, Werkstätte für Feinmechanik und Optik» in Heerbrugg. Die Leica sollte später die Welt vermessen, ihre Mikroskope und Theodoliten waren das Google Maps jener Zeit. Die Präzision stieg um einen unermesslichen Faktor. Die Instrumente der Leica wurden auf dem Flug zum Mond eingesetzt.Das war das Investment der Familie Schmidheiny. Als das Unternehmen kurz nach seiner Gründung in finanzielle Schwierigkeiten geriet – für lange Zeit eher die Regel als die Ausnahme –, holte Jacob Schmidheiny seinen Bruder Ernst dazu. Dessen Sohn Max (der Vater von Thomas) stieg später zur grossen Figur auf: Er ermöglichte den Aufstieg der damaligen Wild. Max Schmidheiny musste das Unternehmen im Alter von 27 Jahren übernehmen, weil sein Vater in der Wüste von Sinai tödlich verunglückt war. Er führte das Unternehmen mit Grossmut und Kleinbuchhalterei, mit einem seltsam emotionalen Verhältnis zu Innovationen und einem seltsam emotionslosen Verhältnis zum Geschäft. Das ist, kurzum, die Schmid­heiny-Doktrin. Im Rheintal erzählte man sich, dass Max Schmidheiny am Abend im Unternehmen auf Knien die Heizung abstellte und am Morgen wieder einstellte, um Strom zu sparen. Dennoch nannte man ihn Sir Max.Max Schmidheiny arbeitete sein ganzes Leben in der Leica. Er führte auch noch eine Eternitfirma, Kraftwerke, die damalige BBC, er war Gemeinderat, Kantonsrat, Nationalrat. Aber die Leica verschwand nie aus seinem Leben. Es war die Art von Loyalität, die sich auch in der Belegschaft spiegelte.Hans Weinbuch bringt zum Gespräch im Showroom der Leica seinen ausgedruckten Lebenslauf mit, er ist auf den Monat genau zurückdatiert. Weinbuch ist 82 Jahre alt, während 59 Jahren arbeitete er für die Leica – wie jetzt auch sein Kind und sein Grosskind für die Leica arbeiten. Drei Generationen Weinbuch: Hans, Robin, Timo. Die Leica ist Familiensache. Im Alter von 18 Jahren fuhr Hans Weinbuch mit dem Velo von Friedrichshafen, wo er wohnte, nach Heerbrugg, um sich bei der damaligen Wild vorzustellen. Er kannte das Unternehmen, Verwandte seiner Mutter arbeiteten dort. Am Schalter fragt er, ob sie einen Feinmechaniker suchten. Das war an einem Montag. Am Donnerstag konnte er anfangen. Auf dem Stock der Kameramontage lernte er Giuliana kennen. Sie war Hilfsarbeiterin aus Italien und lebte in den Baracken auf dem Firmenareal, in einem Holzhäuschen mit Massenschlag. Sie wurde die Mutter seiner Kinder.Die Leica bot nicht nur Arbeit, sondern eine Rundumversorgung. 1940 baute sie lange vor dem Staat eine zweite Säule auf, 1941 richtete sie einen Fonds für in Not geratene Angestellte ein, 1944 folgte die Betriebskrankenkasse. Zudem vermittelte sie Bauland an ihre Angestellten. Hans Weinbuch kaufte sich mit dem Geld aus der Pensionskasse ein Haus. Er wohnt heute noch da. Er sagt: «Im Prinzip habe ich alles der Firma zu verdanken.»  In der Freizeit kegelte er im Kegelklub der Leica, am Wochenende fuhr er mit dem Surfklub nach Italien ans Meer. «Und im Werkchor war ich auch noch dabei», sagt Hans Weinbuch. Auf dem Areal des Unternehmens stand ein Fussballplatz, im Sommer zogen die Lehrlinge jeweils die Linien. Es gab Skitage, Wandertage, Grillfeste am Baggerloch in Diepoldsau. Eigentlich war Weinbuch immer im Dienst. Einmal lebte er acht Jahre in England und arbeitete für die Wild UK. Nachher bereiste er vom Rheintal aus fünfundsiebzig Länder auf der ganzen Welt. Tagsüber installierte er Geräte der Photogrammetrie, nachts studierte er auf dem Hotelbett deren Schaltpläne.Unter diesem Leben litten seine Ehe und die Beziehung zu seinen Söhnen. Hans Weinbuch sagt: «Das haben sie mir heute noch nicht verziehen, dass ich manchmal monatelang fort war.» Neben ihm zuckt im Showroom der Leica sein Sohn Robin mit den Schultern. «Aber das war einfach so.» Im Jahr 2000 wurde die Stelle von Hans Weinbuch aufgelöst, er wurde frühpensioniert. Er arbeitete trotzdem weiter, machte jetzt Betriebsführungen. Er war wie ein Feuerwehrmann auf Abruf, falls ein CEO seinen Gästen kurzfristig die Leica zeigen wollte. «Die Kleidung hing immer im Zimmer bereit. Wenn ein Anruf kam, war ich in zwanzig Minuten in der Bude.» Hans Weinbuch führte zwölf Jahre lang durch die Firmengeschichte der Leica, die mindestens so sehr die Familiengeschichte der Schmidheinys ist. Er führte durch die Zeiten, von Jacob über Ernst und Max bis zu Stephan und Thomas, der letzten Generation im Präsidium der Leica.Thomas Schmidheiny wuchs am Hang von Heerbrugg auf, von hier überblickte man das ganze Unternehmen. Einer der Sprüche des Vaters, so erinnert er sich, war: «Wenn ihr in der Schule nicht recht tut, könnt ihr dort unten Schrauben zählen!» Die Schmidheinys waren die Mäzene des Rheintals. Aber Thomas Schmidheiny ging barfuss zur Schule. Und als er schon Holderbank führte, eine Weltfirma des Zements und die Vorgängerin der Holcim, sass er noch im Gemeinderat von Balgach, um dort den Dorfteil Heerbrugg zu vertreten. In diesem Sinn war Thomas Schmidheiny der letzte Schmidheiny. Er stieg auf in die Elite der Schweizer Wirtschaft, gleichzeitig überlegt er sich bis heute, das Elternhaus in Heerbrugg zu einem Bed and Breakfast umzubauen. Eigentlich war Thomas Schmid­heiny innerhalb der Familie immer verantwortlich für die Zementsparte. Aber in den Achtzigerjahren kam er dennoch zur Leica – der Vater zog sich zurück, seine Brüder konnten nicht einspringen. Das Unternehmen war immer noch innovativ, aber es war unübersichtlich geworden. Als Thomas Schmidheiny eine konsolidierte Bilanz über alle Unternehmensteile erstellte, merkte er, dass das riesige Warenlager vor allem aus alten Maschinen bestand. «Die konnte man im Bodensee versenken!» Die Zeit der Mechanik war vorbei, es begann die Zeit der Elektronik.Die Aufgabe des letzten Patrons war es, ein patronal geführtes Unternehmen abzulösen. Das ist die Ironie seiner Geschichte. Thomas Schmidheiny kaufte den Rest der Anteile an Leitz Wetzlar und integrierte sie in die Wild Heerbrugg, er bereitete die Firma auf eine neue Zeit vor. Sie sollte bald Leica heissen.II. Hans Hess und die Schnellboot-StrategieIn den Neunzigerjahren ging nicht nur das alte Jahrtausend zu Ende, sondern auch die alte Schweiz. Der Niedergang der Armee setzte ein, die FDP erodierte – und als im Jahr 2001 mit der Swissair jene Firma groundete, die in ihrem Verwaltungsrat die Elite versammelte (dazu gehörte auch Thomas Schmidheiny), lief bereits die Abdankung. Als die Mauern zwischen Ost und West fielen, mussten sich unzählige Unternehmen neu orientieren. Der Handel wurde global, die Preise sanken, der Konkurrenzdruck stieg. In der Schweiz entstanden Industriebrachen: Escher-Wyss in Zürich, Sulzer in Winterthur.In Heerbrugg arbeitete ein junger Manager aus dem Zürcher Oberland daran, die Leica in die Zukunft überzuführen. Es war die Zeit jener Figuren, die nicht mehr das alte und noch nicht das neue Jahrhundert verkörperten. Hans Hess, 66, ist Oberst im Generalstab, aber er hat einen MBA der Uni­versity of Southern California. Er sagt nicht Lauf, sondern Run, aber er spricht es «Rön» aus. Als Hans Hess im Jahr 1996 der CEO von Leica Geosystems wurde, bilanzierte er nach zwei Monaten einen Verlust von zehn Millionen Franken. Im Rückblick sagt er: «Wir waren ein Öltanker, der auf eine Küste losfuhr und da auseinanderbrechen würde.»Hess entwickelte das, was er heute «eine Flotte von Schnellbooten» nennt. Er spaltete den grossen Optikkonzern auf in kleinere, selbstständige Tochterfirmen. An der Stelle des allumfassenden Unternehmens standen nun Zu­lieferfirmen, die alle für sich wettbewerbsfähig sein mussten – die rasch wuchsen und Marktanteile gewannen. Die Mechanikabteilung hiess jetzt Polymeca, die Optikabteilung hiess Swiss­optic. So, muss man sich gedacht haben, klingt die Zukunft.Der Umbruch traf die Familie Weinbuch gleich doppelt. Denn inzwischen arbeitete auch Hans Weinbuchs Sohn für das Unternehmen. Als Robin Weinbuch, 51, damals mit der Lehre begann, hiess die Firma noch Wild Heerbrugg. Während der Lehre hiess sie Wild-Leitz. Nach der Lehre hiess sie Leica. In seiner Kindheit hatte er einen Freund, dessen Grossvater in einem riesigen Haus mit einem Swimmingpool wohnte. Dort badeten sie im Sommer. Der Grossvater war Max Kreis, der legendäre Direktor der Wild. In dieses alte Unternehmen war er eingetreten – jetzt wurde er als Erster von den Verwerfungen der neuen Welt getroffen. «Hans Hess hat alles zerstückelt», sagt Robin Weinbuch. Robin Weinbuch trägt einen Faserpelz mit einem Logo von Leica Geosystems, als wir ihn treffen. Das Unternehmen trägt jetzt seit vielen Jahren den gleichen Namen, aber es hat sich verändert. Weinbuch sagt, es gebe weniger Betriebsfeste als früher. Der Skitag wurde nach der Finanzkrise abgeschafft. Hans Weinbuch ist ein Anhänger der Leica, Robin Weinbuch ein stolzer Angestellter. Er hatte eigentlich Hochbauzeichner lernen wollen, aber er bekam keine Lehrstelle. Das Rheintal verlangte keine Zeichner, sondern Feinmechaniker.Das war das Rheintaler Ökosystem: Das Unternehmen brauchte Mechaniker, also baute es Schulen, die Mechaniker ausbildeten – die Rheintaler begannen, im Tausendstelbereich zu denken, und sie machten Karriere als Mechaniker. Das Rheintal ist bis heute eine Gegend, die von Menschen geprägt ist, die nicht primär visionär, sondern praktisch denken. Hans Hess sagt es so: «Die Rheintaler sind Chnübler, Dreher und Schleifer, aber sie sind auch sehr weltoffen. Sie haben einen Stamm mit tiefen Wurzeln, aber mit langen und offenen Armen, die die internationalen Business-Chancen packen.»Seine Aufgabe war es, dieses stark verwurzelte Unternehmen an die Börse zu bringen. Die Schmidheinys wollten verkaufen. Eine Private-Equity-Firma bescherte ihm ein breit gestreutes, internationales Aktionariat. «Das sollte uns später zum Verhängnis werden», sagt Hans Hess. Nach der Jahrtausendwende platzte zuerst die Dotcom-Blase, zu hoch gehandelte Internetfirmen rissen die Börsen weltweit nach unten. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und einer Gewinnwarnung brach die Aktie der Leica um die Hälfte ein.In den Jahren danach versuchte Hans Hess, die Leica wieder aufzurichten. Der Aktienkurs stieg sogar über den Ausgabepreis, aber als er an dem Abend im Jahr 2005, auf der Fahrt ins Zürcher Opernhaus, den Anruf seines Verwaltungsratspräsidenten bekam, ahnte er, dass es zu spät war. Die schwedische Hexagon machte den Aktionären der Leica ein aggressives Angebot. «Wir hatten damals einen tollen Run», sagt Hess, «aber an der Börse glaubte man uns nicht.» Hans Hess reiste um die Welt, nach London, nach Paris, zu den Anlegern. «In den ersten Tagen trafen wir noch Leute, die wir kannten», sagt er, «aber bald sassen Hedge-Funds-Manager am Tisch, deren einziges Ziel war, unsere Aktie möglichst rasch für einen möglichst hohen Preis zu verkaufen.» In einem Bieterkampf duellierte sich Hexagon mit der amerikanischen Danaher und entschied den Kampf für sich. Wild Heerbrugg wurde Hexagon Leica Geosystems. Die Gegenwart begann, Hans Hess kündigte. III. Die komplizierte Welt des Thomas HarringHeute gibt es am Eingang des Leica-Areals einen Wegweiser, der zu mehr als zehn Unternehmen führt. Sie gehö­ren Aktionären in Schweden, Malaysia und den USA. Für das Jubiläum versuchte ein Historiker, das ganze Geflecht abzubilden. Das Buch heisst «Brennpunkt Heerbrugg», es war eine jahrelange Arbeit. Das Zentrum des Areals ist Leica Geosystems, es wird von einem Betriebswirt aus Deutschland geführt. Thomas Harring, 50, ist ein schwerer Mann mit einem nervösen Lachen, als fehlte ihm die Zeit, um einmal richtig Luft zu holen. An einem Dienstag im April findet er dennoch zwei Stunden, uns seine Firma zu zeigen. Er hält sich streng an das «Visitors Program», das seine Assistentin erstellt hat.Früher gab es die Leica, heute ist es komplizierter. Harring, ein ehemaliger Unternehmensberater, kam vor achtzehn Jahren als Abteilungsleiter zur Leica. Er wurde COO, CFO und ist jetzt CEO. Thomas Harring muss versuchen, den globalen Player Hexagon mit der regionalen Marke Leica zu verbinden. Harring ist kein Patron, wie Sir Max es war, niemand verlangt das von ihm. Er wohnt in der Innerschweiz, in Heerbrugg ist er ein bis zwei Tage pro Woche, so viel es eben sein muss. Er arbeitet dann in Meeting-Räumen, ein Büro hat er nicht, sein Namensschild hängt beim Sekretariat. Harrings Metier sind Meetings, Konferenzen, Powerpoint-Präsentationen. Er referiert vor Hexagon-Folien, spricht von «value creation» und «reality capture».Timo Weinbuch kennt nur diese Leica. Seit zwei Jahren arbeitet er in der Lehrlingsabteilung, die sich die Leica mit anderen Unternehmen auf dem Areal teilt. Sein Vater und sein Grossvater lernten Feinmechaniker, Timo lernt Polymechaniker. Es ist der gleiche Beruf, aber der Name hat gewechselt. Die Leica ist für ihn keine Rundumversorgerin mehr, sondern seine Ar­beitgeberin. Im Pool des Direktors hat er nie gebadet. In seiner Freizeit fährt er Motocross, mit der Leica hat das nichts zu tun. Und Thomas Harring, den CEO? «Kenne ich nicht persönlich», sagt Timo Weinbuch, «aber ich hab ihn schon auf Bildern gesehen.»[caption_left: Thomas Harring kam vor 18 Jahren zur Leica. (Bild: pd)]Das Rheintal hat ein Unternehmen verloren und ein neues gewonnen: Seit der Übernahme der Leica durch Hexagon stiegen der Umsatz und die Zahl der Angestellten – weltweit sind es 6000, ungefähr ein Viertel arbeitet in Heerbrugg. Hexagon hat den Standort nicht geschlossen, Neubauten sind geplant.Als Thomas Harring im Januar dieses Jahres ans Rheintaler Wirtschaftsforum geht, kann er von dieser Erfolgsgeschichte erzählen. Neben ihm auf dem Podium sitzen Thomas Schmidheiny und Hans Hess, die die Entwicklung des Unternehmens sehr loben. Sie sehen aus wie die Gesandten dreier Welten. Schmidheiny vertritt das Erbe der alten Leica, Hess den Wandel. Harring hört zwei Veteranen der Schweizer Wirtschaft zu. Hess war zuletzt Präsident von Swissmem und wurde Mister Werkplatz genannt. Sein abrupter Abgang bei der Leica nimmt ihn auch an diesem Tag wieder emotional mit. Thomas Schmidheiny erzählt von den Krisen, die das Rheintal durchgeschüttelt haben. Je länger sie reden, desto mehr wird aus der Leica wieder Wild Heerbrugg.Thomas Harring erzählt keine Anekdoten, er erzählt vom Geschäft. Er ist der Gesandte der Moderne.Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst in der NZZ erschienen.

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