16.10.2021

"Das tut weh. Nicht finanziell, sondern seelisch."

Fellhändler Rolf Schmid aus Montlingen ist enttäuscht. 100 Krämerinnen und Krämer haben eine Absage für den Herbstjahrmarkt an der Olma kassiert. Auch er. In diesem Jahr waren nur 30 statt 200 Markthändler zugelassen.

Von Melissa Müller
aktualisiert am 03.11.2022
Am Olma-Jahrmarkt duftet es nicht nur nach Raclette und Zuckerwatte, sondern auch nach Elfenwald und Liebeszauber. Beim Duftschloss-Stand stehen zahlreiche Fläschchen mit Duftmischungen. Sie tragen verführerische Namen wie Herbststurm und 1001 Nacht. Hinter der Theke steht Aromaberater Sam Bovey, ein Mann mit ­buschigen Augenbrauen, silbergrauem Spitzbart und einladendem Lächeln. «Einmal Vögeli­wohl, bitte», sagt eine junge Frau und reicht ihm eine Geldnote. Eine andere Kundin kauft sich ein Fläschchen Lebensfreude. Die hat Sam Bovey bereits im Überfluss: «Ich bin glücklich, dass ich am Herbstjahrmarkt geschäften darf.» Das sei nicht selbstverständlich. Aufgrund der Abstandsvorschriften durften in diesem Jahr nur rund 30 Markthändlerinnen und Händler ihre Häuschen im Museumsquartier aufstellen. Normalerweise sind es über 200.Kunden fragen: «Warum bist du nicht an der Olma?»Der Marktverband musste über 100 Händlerinnen und Händlern eine Absage erteilen. So auch dem Montlinger Fellhändler Rolf Schmid und seiner Frau Claudia. «Dieses Jahr bekam ich meine erste Absage – ohne Begründung», sagt er. Im Brief stand: «Für Sie haben wir dieses Jahr keinen Platz.» Schmid sagt: «Das tut weh. Nicht finanziell, sondern seelisch.» Sein Geschäft stehe seit 65 Jahren jährlich am Olma-Jahrmarkt. Ohne Unterbruch. Er selbst ist seit 40 Jahren dabei und verkauft Babyfelle, Fellfinken, Krippenfiguren. 35 Kundinnen und Kunden hätten ihn angerufen und gefragt: «Warum bist du nicht an der Olma?» Die Olma sei sein Highlight des Jahres. Die Absage sei «unterste Schublade». «Wenn wenigstens eine Begründung dabei gewesen wäre, wie eine Baustelle oder eine höhere Gewalt», sagt der 70-Jährige. «Ich habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen. Ich hatte immer einen Topauftritt.»  Er finde es unfair, dass der «Billige Jakob» zwei Stände bekommen hat. Hiltrud Frei, Präsidentin der Sektion Ostschweiz vom Schweizerischen Marktverband, sagt dazu: «Letztes Jahr hatten wir zu wenig Anmeldungen und der billige Jakob hat uns da mit Marroni ausgeholfen. Deshalb hat der billige Jakob den zweiten Stand.» Pferdefleisch und Büezergwändli142 Schausteller und Markthändlerinnen hätten sich um einen Stand beworben, 62 hätten eine Zusage erhalten. Die eine Hälfte seien Markthändler, die andere Schausteller. Das OK des Marktverbands habe bei der schwierigen Auswahl auf einen guten Händlermix und hochwertige Produkte geachtet. Fast alle, die berücksichtigt wurden, sind Olma-Urgesteine, die schon seit Jahrzehnten Magenbrot, Pferdefleisch oder Büezer­gwändli feil bieten. Wie Peter Hutter aus Kriessern, der Walliser Magenbrot verkauft, seit er 15 ist. Zu den Vorwürfen von Fellhändler Schmid sagt die Präsidentin: «Er hat sich nicht um einen Stand beworben.» Man habe bei ihm nachgefragt: «Was ist los?» Denn Schmid habe ein schönes Geschäft und ein gutes Produkt. Der Fellhändler habe zu ihr gesagt: «Wenn ihr einen Platz für mich habt, komme ich gern.» Natürlich hätte man gern mehr Stände aufgestellt. Doch die strengen Vorgaben des Kantons liessen es nicht zu. Schmid widerspricht: Er habe sich beworben.  Verführerli und SiitesprüngliSam Bovey vom Duftschloss findet es schade, dass zahlreiche gute Markthändlerkollegen wie Rolf Schmid dieses Jahr fehlen. Der Rubel rollt, das prächtige Herbstwetter befeuert die Kauflust: Duftfläschchen und Geldnoten fliegen hin und her und wechseln die Besitzer. Eine Mutter und eine Tochter decken sich mit sechs Fläschchen Herbststurm fürs ganze Jahr ein. Sogar ein Siitesprüngli ist für 27 Franken zu haben. Der Flacon enthält Sandelholz, Jasmin und Tuberose. «Ich hätte es lieber Verführerli genannt, aber der Chef wollte es anders», sagt Sam Bovey. Die aphrodisierenden Duftstoffe seien eigentlich zu kostbar für einen Namen, über den man sich lustig macht.Bovey selbst parfümiert sich gern mit Ritterwasser, «ein männlicher Duft mit Zeder und Vetiver». Mit einer anderen Kundin fachsimpelt der Aromaberater darüber, mit welcher Räuchermischung man Geister verbannen kann. Kampfer habe eine reinigende Wirkung, verbreite aber einen etwas strengen Geruch. «Kein Problem, ich wohne allein mit meiner Katze», sagt die Kundin. Währenddessen sitzt der Rheintaler Rolf Schmid zu Hause auf seinen Fellen. «Ich hoffe, dass es nächstes Jahr runder läuft und ich wieder dabei bin.» Wenigstens für den Weihnachtsmarkt im Waaghaus ab dem 25. November hat er eine Zusage: «Ich bin der älteste Krämer dort.»

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