Seit zwei Jahrzehnten kennt der Steuerfuss nur eine Richtung: Er bewegt sich konsequent nach unten. Eine kleine Korrektur noch oben, wie 2018 in Berneck, ist die grosse Ausnahme.In den 14 Gemeinden von Rüthi bis Thal haben 2018 und 2019 je neun Gemeinden ihren Steuerfuss gesenkt, 2020 ist er in zwölf Gemeinden gesunken. Letztes Jahr hingegen sank die Steuerlast trotz vielerorts sehr guter Rechnungsabschlüsse nur in fünf Gemeinden. Diese Zurückhaltung hatte zum Teil mit Corona zu tun.Immer wieder sehr hohe ÜberschüsseDass Kommunen immer wieder sehr hohe, wenn nicht gar exorbitante Gewinne ausweisen, ist zur Gewohnheit geworden. Musterbeispiel ist Balgach, wo das Plus gegenüber dem Budget wiederholt Aufsehen erregte: in den Jahren 2018 bis 2020 wurden – in dieser Reihenfolge – Gewinne von 5,54 Mio., 8,5 Mio. und 6,45 Mio. Franken gemeldet.Auch Thal feierte für 2019 mit 8,1 Mio. Franken ein besonders hohes Plus. Thal ist im St. Galler Rheintal die Gemeinde, die den Steuerfuss seit 2010 am stärksten senken konnte, von 142 auf 89 Prozentpunkte im letzten Jahr.Seit 2010 haben Schwächere aufgeholtZu Beginn des neuen Jahrtausends waren die sechs Gemeinden des oberen Rheintals für Höchstwerte berüchtigt; in Rüthi, Oberriet, Eichberg, Altstätten, Marbach und Rebstein lag der Steuerfuss entweder bei (maximal möglichen) 162 Prozentpunkten oder unwesentlich tiefer. Damals hatten auch die fünf Gemeinden des mittleren Rheintals noch einen deutlich höheren Steuerfuss; in Berneck lag er am tiefsten (123), in Widnau am höchsten (140). Die damaligen Werte haben alle Rheintaler Gemeinden weit hinter sich gelassen, wobei die Mittelrheintaler Gemeinden zunächst überdurchschnittlich davonzogen.Dann aber haben die «teureren» Gemeinden gegenüber dem Mittelrheintal etwas aufgeholt. Im Zehnjahresvergleich zeigt sich, dass Thal, Rheineck und St. Margrethen besondere Fortschritte gemacht haben. Während der Steuerfuss im Mittelrheintal seit 2010 im Durchschnitt «nur» um 20,2 Prozentpunkte sank, ging er nördlich davon um durchschnittlich 38 Prozentpunkte zurück. Im oberen Rheintal schrumpfte der Steuerfuss im gleichen Zeitraum ebenfalls beträchtlich, mit Blick auf alle sechs Gemeinden um durchschnittlich 30 Prozentpunkte.Senkung dürfte hier und da zum Thema werden Für 2021 wurden bereits erste sehr gute Rechnungsergebnisse aus den Gemeinden gemeldet. Der weiterhin sehr positive Trend dürfte mancherorts zur Diskussion über eine weitere Senkung des Steuerfusses führen, nachdem die Gemeinden sich letztes Jahr grösstenteils in Zurückhaltung geübt hatten.Die Stadt Altstätten, die im letzten Jahr gegenüber dem Budget fast 4 Mio. Franken Mehreinnahmen erzielt hat, erlebte vor zwei Jahren, was eine finanziell gute Stellung mit einem zudem guten Abschluss bewirken kann. Damals wurde – entgegen dem Willen des Stadtrats – von einem Bürger der Antrag um eine Senkung des Steuerfusses um 7 Prozentpunkte gestellt – und deutlich gutgeheissen.Wie Gemeinden budgetieren, ist bekannt: Tendenziell wird schwarzgemalt, und Überschüsse werden gern dem Eigenkapital zugeschlagen. Vorsicht ist bei Gemeinderäten beliebt, weil ein gleichbleibender Steuerfuss bedeutend leichter zu begründen ist als die Notwendigkeit einer Erhöhung. In Berneck war 2018 gegen den Trend zu handeln, nachdem die Gemeinde ihr Eigenkapital mehr und mehr abgebaut hatte.Ein gewisses frei verfügbares Eigenkapital ist natürlich wichtig, doch sollte es nicht den Anschein des Geldhortens erwecken. Roman Ammann, Firmeninhaber und 1. Vizepräsident im Oberrieter Gemeinderat, pflichtet der verbreiteten Meinung bei, das frei verfügbare Eigenkapital einer Gemeinde habe der jeweiligen Situation angemessen zu sein. Sei es sehr hoch, gebiete es die Glaubwürdigkeit, den Steuerfuss zu senken.Viel Geld birgt Gefahr des eher lockeren GebrauchsAber was heisst angemessen? Obschon Gemeindepräsidenten sich ungern auf eine bestimmte Zahl festlegen, sagt Rebsteins Chef Andreas Eggenberger, fünf bis sechs Millionen sollte Rebsteins frei verfügbares Eigenkapital sicher betragen. Auch etwas mehr sei sinnvoll, um das Risiko einer plötzlich nötig werdenden Steuerfusserhöhung gering zu halten. Zeichne sich ein Trendwechsel ab, könne darunter erfahrungsgemäss das Budget leiden, indem Ausgabenkürzungen zum Thema würden.Umgekehrt «birgt die Anhäufung von unnötig viel Eigenkapital die Gefahr, dass vielleicht auch überflüssige Projekte angerissen werden», meint der frühere Arbeitgeberpräsident und langjährige Geschäftsführer René Wuffli. Je besser eine Gemeinde finanziell dastehe, umso grösser sei die Versuchung, halt etwas lockerer mit dem Geld umzugehen. Statt über eine gewisse Eigenkapitalreserve hinaus weiter Geld zu horten, sollten Überschüsse an ihren Ursprung zurückfliessen, also zu den Steuerzahlenden, von denen jeder Überschuss letztlich stammt.Immer noch grosse Differenzen im TalRoman Ammann richtet den Blick weniger auf einen einzelnen Steuerfuss als auf die im Rheintal immer noch grossen Unterschiede auf engstem Raum. Ein Steuerwettbewerb sei sinnvoll, eine Differenz von 55 Prozentpunkten zwischen dem höchsten Steuerfuss (in Altstätten) und dem Tiefstwert (in Balgach) hingegen nicht wünschbar. Zwar könnten die einzelnen Gemeinden mit einer vorausschauenden und durchdachten Finanzpolitik den eigenen Finanzhaushalt positiv beeinflussen, doch gewisse Standortvorteile seien nicht das Verdienst bloss einer einzelnen Kommune, sondern einer ganzen Region.Ein allgemeiner Konsens herrscht darin, dass der Steuerfuss nicht überzubewerten, sondern als einer von vielen Aspekten zu sehen sei. So zählt denn auch für Roman Ammann das «Gesamtpaket», das eine Gemeinde bietet, ihre Lage, ihre Bodenpreise, ihr Angebot, die Höhe der Gebühren und besonders auch die Schule. So sei heute für viele Eltern der soziale Mix in der Schule ein vorrangiges Thema. Nicht der Steuerfuss.