16.07.2021

Das Stehaufmännchen

Juniorentrainer, Ernährungsberater, Kolumbien-Reisender – wie die lange Verletzungspause Nicolas Lüchinger geprägt hat.

Von Patricia Loher
aktualisiert am 03.11.2022
Es ist fast so, als sei Nicolas Lüchinger nie fortgewesen. Der 26-jährige Rheintaler rennt und grätscht in dieser Saisonvorbereitung wie eh und je. Zwei Jahre mit Schweiss und Tränen – sie scheinen wie weggewischt. Lüchinger geniesst jedes Training, jedes Testspiel. Er sagt: «Die Knie halten.» Der Verteidiger hat eine aufwühlende Zeit mit vielen gesundheitlichen Rückschlägen hinter sich. Als ihm St. Gallens Verantwortliche vor wenigen Wochen mitteilten, den Vertrag mit ihm trotzdem gleich um vier Jahre bis 2025 verlängern zu wollen, wusste er kaum, wie ihm geschah: «Das war ein unglaubliches Bekenntnis des Klubs.» Der Oberrieter gilt als integrative Persönlichkeit, als ein Fussballer also, der wichtig ist für den Zusammenhalt einer Mannschaft sowie die Integration neuer Spieler. Und natürlich auch als Vorbild, sich während der langen Verletzungszeit Ausbildungen gewidmet und dann auf den Platz zurückgekämpft zu haben. Als er im vergangenen März beim 2:2 gegen die Young Boys erstmals nach 680 Tagen eingewechselt wurde, überreichte ihm Jordi Quintillà die Captainbinde – es war ein Zeichen mit Symbolcharakter.«Natürlich gab es einen Plan A, B und C»Fast 24 Monate lang musste Lüchinger zusehen, wie andere Spieler auf seiner Position an ihm vorbeizogen. Doch der Rheintaler dachte nie daran, aufzugeben. «Natürlich, es gab einen Plan A, B und C», sagt er. Ganz verschliessen mochte er die Augen vor der Realität und einem möglichen Karriereende nicht. «Aber die Aussicht, auf den Platz zurückzukehren, war immer mein Anker. Ich habe stets dran geglaubt, es nochmals zu schaffen», so Lüchinger. Dafür half es, zwischenzeitlich den Kopf zu lüften, sich von den Kollegen zurückzuziehen und zu verreisen. So flog Lüchinger noch vor der Pandemie für zweieinhalb Wochen nach Kolumbien, bereiste auf eigene Faust Bogotá, Medellín und Guatapé: «Es war die coolste Zeit meines Lebens», sagt er. «Man ist unabhängig und lernt sich gut kennen, weil niemand sonst da ist, der einen ablenken kann.» Lüchinger hat die Zeit ohne Spitzensport genutzt und sich anderen Themen gewidmet. So sicherte er sich auch das Uefa-C-Diplom, dreiviertel Jahre war er zuletzt Co-Trainer der U13 bei Future Champs Ostschweiz (FC0). «So schnell wie möglich», soll nun das B-Diplom folgen, das dazu berechtigt, Teams in der 2. Liga interregional zu trainieren. Bald wird sich entscheiden, bei welcher FCO-Mannschaft Lüchinger als nächstes einsteigen wird. «Das Ziel ist es, so lange wie möglich zu spielen, und dann ganz als Jugendtrainer zu arbeiten», sagt er.  Lüchinger, gross geworden beim FC Montlingen, hat sich in den vergangenen Jahren aber nicht nur mit dem Nachwuchs-Spitzenfussball auseinandergesetzt, sondern auch eine Ausbildung zum Ernährungsberater begonnen. Die faszinierenden Mechanismen der ErnährungNachdem Anfang Mai 2019, nach der Operation des rechten Knies wegen eines Meniskusschadens, keine Besserung eingetreten war, wurde, nebst eines Knorpelschadens als Spätfolge, auch noch ein hartnäckiger Keim festgestellt. Viermal musste das Knie des Fussballers aufgeschnitten, mit Wasser gespült und zusammengenäht werden. Antibiotika waren für Lüchinger an der Tagesordnung. Doch die Infektion ging nicht zurück. Mit der Hilfe eines Ernährungsberaters gelang es dem Fussballer schliesslich doch, dem Keim beizukommen. Lüchinger isst kein rotes Fleisch mehr, keine Stärke, keinen Weizen. «Wir achten sehr genau darauf, was das Knie schützt und was ihm schadet», sagt er. Als Spitzensportler war ihm sehr wohl bewusst, wie sich die Ernährung auf den Körper auswirkt. Doch die Mechanismen faszinieren ihn nun noch mehr. «Mein Körper fühlt sich anders an als vorher. Ich bin fitter und auch vifer im Kopf.»Doch auch nach dem Keim war die Welt noch lange nicht in Ordnung für Lüchinger. Ende August 2020, nach dem Comeback in einem Testspiel gegen Austria Lustenau, stellten sich Meniskusprobleme und ein Knorpelschaden ein, diesmal im linken Knie. Es schien, als stehe die Zeit des Einheimischen beim FC St. Gallen unter keinem guten Stern. Nun aber sagt er: «Ich habe noch einige gute Jahre vor mir.»

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