08.08.2021

Das neue Nest der Wellblechflieger

Es ist ein grosser Name in der Luftfahrt: Die Junkers Flugzeugwerke sind vor kurzem in Altenrhein eingezogen. Hinter der Firma steht ein Industrieller mit einem hohen Ziel: Fliegen wie anno dazumal – aber nach modernen Standards.

Von Adrian Vögele
aktualisiert am 03.11.2022
Blitzblank glänzt das Aluminium. Überhaupt wirkt alles sauber und aufgeräumt im Hangar C5 am Flugplatz Altenrhein. Es weht der Geist der modernen Luftfahrt, doch er trifft auf Boten aus einer anderen Zeit: Die beiden Maschinen, an denen an diesem windigen Sommertag konzentriert gearbeitet wird, sind Nachbauten der Junkers F13 – des ersten Ganzmetall-Passagierflugzeugs der Welt.Im Jahr 1919, als der Erste Weltkrieg gerade erst vorüber war und auf den Strassen die Pferdefuhrwerke noch zahlreicher waren als die Autos, startete die F13 im sächsischen Dessau zu ihrem Jungfernflug. Damals wurden Flugzeuge gemeinhin noch hauptsächlich aus Holz und Stoff konstruiert. Die Idee des Flugzeugbauers Hugo Junkers und seiner Mitarbeiter, das leichte und zugleich widerstandsfähige Duraluminium-Wellblech für Luftfahrzeuge zu verwenden, war revolutionär. Die F13 wurde zum Archetyp aller Verkehrsflugzeuge. Sie war eine Vorgängerin der bekannten und deutlich grösseren Junkers Ju52 («Tante Ju»). Die kleine Schwester sozusagen – die auffällt mit ihrer verblüffenden Marotte, die Besatzungen im offenen Cockpit der Witterung auszusetzen, während die vier Passagiere dahinter in einer geschlossenen, kutschenähnlichen Kabine mitreisen. Berichten zufolge handelte es sich aber um einen Wunsch der damaligen Piloten: Dass man ein Flugzeug in einer geschlossenen Kanzel anständig steuern kann, schien im Jahr 1919 einfach noch nicht plausibel.Nach vielen Jahrzehnten Pause wird die F13 jetzt in einer weitgehend originalgetreuen und zugleich technisch modernisierten Version wieder produziert. In einer Kleinserie, in Handarbeit, nach höchsten Qualitätsstandards. Rund 2,5 Millionen Franken kostet das Stück. Die Herstellerfirma, die Junkers Flugzeugwerke AG, hat ihren Sitz im vergangenen Jahr von Dübendorf in die Ostschweiz verlegt. Den Hauptstandort hat das Unternehmen in Widnau – momentan befinden sich dort etwa Ingenieurbüros und Administration, in Altenrhein findet die Endmontage statt.Eine Wiedergeburt, die zu Tränen rührteIm Hangar wird an diesem Tag gerade eine Maschine sorgfältig zerlegt für den Transport in die USA. Die Flügel sind schon demontiert, der Container steht draussen bereit. Das Verladen sei eine heikle Prozedur – dafür müsse das Wetter stimmen, sagt Peggy Walentin, Mediensprecherin des Unternehmens und selber Pilotin. Eine weitere F13 befindet sich kurz vor der Fertigstellung.Die ganze Geschichte grenzt an ein aviatisches Wunder. Weltweit gibt es schon lange kein flugfähiges Original der F13 mehr. Dass sie auferstehen würde, glaubten in der Luftfahrtbranche nur die kühnsten Träumer. Zu hoch schienen die technischen, finanziellen und administrativen Hürden, um eine Konstruktion, die vor einem Jahrhundert entworfen worden war, wieder in die Luft zu bringen.Doch dann, an einem Septembertag 2016, hob der Prototyp des Nachbaus am Flugplatz Dübendorf zum Erstflug ab. Bernd Junkers, der Enkel von Hugo Junkers, stand in der Zuschauermenge und konnte sein Glück kaum fassen. «Mir sind fast die Tränen gekommen, als ich das Flugzeug hier fliegen sah», sagte er in die Fernsehkameras. Neben ihm der deutsche Unternehmer, Pilot und Luftfahrtenthusiast Dieter Morszeck: «Wir haben so lange daran gearbeitet – ich bin einfach stolz.»Die Grundlage: Ein Vermögen, verdient mit ReisekoffernMorszeck ist die treibende Kraft hinter der Wiederbelebung der F13. Mit Hugo Junkers verbindet ihn eine geschäftliche Gemeinsamkeit: das Aluminium. Morszecks Vater Richard hat den Leichtmetall-Reisekoffer erfunden, mit den typischen Rillen, die an die Aussenhaut der Junkers-Flugzeuge erinnern. Rimowa heisst das Familienunternehmen. 2016 verkaufte Dieter Morszeck 80 Prozent der Firmenanteile an den französischen Luxusgüterkonzern Moët Hennessy-Louis Vuitton (LVMH) – für 640 Millionen Euro. 2018 trat er aus der Unternehmensleitung von Rimowa aus. Im selben Jahr erhielt die neue Junkers F13 nach einem umfangreichen Testprogramm die Verkehrszulassung des Schweizer Bundesamts für Zivilluftfahrt. Die Junkers Flugzeugwerke AG wurde neu gegründet – mit der Erlaubnis der Junkers-Erben zur Verwendung des Markennamens für die F13-Produktion.Ein Fluggefühl «wie in einer Kutsche»: Der Unternehmer und Pilot Dieter Morszeck hat die Neuproduktion der F 13 initiiert. (Bild: pd)Die Rekonstruktion der Maschine war ein extrem kompliziertes Unterfangen – die Vorarbeiten begannen bereits 2010. Ein Projektteam suchte Tausende von historischen Dokumenten zur F13 zusammen. Die kompletten Baupläne waren aber nirgends finden. Schliesslich wurde ein Originalexemplar der Maschine in einem Museum in Paris mittels Lasertechnik vermessen. Auf Basis dieser Daten konstruierten Fachleute die Bestandteile der neuen F13. An vorderster Front arbeitete hier der Innerschweizer Flugzeugbauer Dominik Kaelin. In seiner Firma Kaelin Aero im Schwarzwald entstand der Prototyp. Auch für die nachfolgenden Exemplare der F13-Kleinserie liefert Kaelin die vorgefertigten Teile.Da und dort wichen die Konstrukteure vom Original ab, um das Flugzeug sicherer und alltagstauglicher zu machen. So wurde als Triebwerk ein amerikanischer Sternmotor gewählt, das Fahrwerk wurde verbessert und die Cockpitinstrumente an heutige Bedürfnisse angepasst. Die neue F13 sei das Werk der «weltbesten Flugzeugbauer», heisst es bei Junkers. Es mache grossen Spass, mitzuverfolgen, mit welchem Enthusiasmus das Team die Maschine zusammenbaue, sagte Dieter Morszeck in einem Dokumentarfilm.Höchste Qualität: Eine Antwort auf Kritik an der «Tante Ju»Dieser Spirit ist auch im Hangar in Altenrhein spürbar. Das Team sei sehr motiviert, sagt der verantwortliche Betriebsleiter und Maintenance Manager Andreas Züblin. Rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei Junkers tätig. Im Winter erhielt Junkers vom Bund ein Wartungszertifikat nach der Norm der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA Part 145). «Somit arbeiten wir nach denselben Standards, die beispielsweise auch für Lufthansa Technik gelten», erklärt Züblin. CEO Dieter Morszeck habe diese hohe Qualifikation bewusst angestrebt.Das ist ein deutliches Signal, insbesondere im Nachgang zum Absturz einer (originalen) Junkers Ju52 der Dübendorfer Ju-Air im Jahr 2018 in Graubünden. «Viele Leute betrachten historische Flugzeuge wie die Tante Ju als Risiko», stellt Züblin fest. Die Behörden haben die Vorschriften für Oldtimerfliegerei verschärft. Mit dem EASA-Zertifikat laufe Junkers weniger Gefahr, durch Gesetzesänderungen in diesem Bereich eingeschränkt zu werden, sagt Züblin. Und: Die F13 als moderner Nachbau soll zeigen, dass sich das Fluggefühl von anno dazumal mit den Qualitäts- und Sicherheitsstandards von heute kombinieren lässt.Dass Junkers nun in der Ostschweiz beheimatet ist, ist eine Folge der Veränderungen und Reorganisationen am Flugplatz Dübendorf nach dem erwähnten Absturz. «Uns wurde gekündigt», sagt Züblin – «innert drei Wochen mussten wir umziehen.» Glücklicherweise habe sich die Option in Altenrhein ergeben. «Die Zusammenarbeit mit dem Flugplatz funktioniert sehr gut und die Infrastruktur ist optimal für uns», sagt Walentin. Das benachbarte FFA-Museum hatte die Neuzuzüger ebenfalls mit offenen Armen empfangen. Gemeinsame Anlässe mit Publikum seien wegen der Coronapandemie bislang kein Thema gewesen, so Züblin. «Wir erhalten aber sehr viele Anfragen, etwa für Rundflüge mit der F13. Das Interesse ist riesig.» Ob das künftig möglich wird, ist derzeit offen. Züblin kann den Wunsch, mitzufliegen, gut nachvollziehen: Das Fluggefühl sei fabelhaft, sagt er. Die F13, von Beginn weg als Verkehrsflugzeug konzipiert, fliege sehr stabil. Und: Auf den Pilotensitzen sei man vor Wind gut geschützt, trotz des offenen Cockpits. «Man wird bei Regen auch nicht nass – bis zur Landung.»Bliebe nur noch eine Frage. Was ist mit der grossen Schwester? Beim Umzug von Dübendorf nach Altenrhein brachte Dieter Morszeck auch eine Ju52 mit – per Helikopter, zerlegt in Einzelteile. Das Ziel sei, sie in Altenrhein zu restaurieren, hatte er nach dem Transport gesagt. Zur Ju52 gebe es aktuell keine Neuigkeiten, sagen Walentin und Züblin. «Nur so viel: Wir arbeiten daran», sagt Züblin. Informationen würden zu gegebener Zeit folgen.Einstweilen hat die Firma das nächste Projekt lanciert: Die Junkers A50, ein zweiplätziges Sportflugzeug von 1928, wird ebenfalls neu aufgelegt. 2022 sollen die ersten Exemplare ausgeliefert werden, für rund 194'000 Franken pro Stück. Aus Wellblech natürlich, und sanft modernisiert. Piloten erzählen: «Die F13 hat mich nie enttäuscht»Vor hundert Jahren war das Fliegen in den Augen vieler Menschen noch eher eine Zirkusnummer als eine Art des Reisens. Dass man als Fluggast in einem Flugzeug mitfliegen konnte, ohne mit Sturmhaube und Schutzbrille im Freien zu sitzen, war kaum vorstellbar. Mit der Junkers F13 und ihrer geschlossenen, geheizten und beleuchteten Kabine für vier Personen änderte sich das. Als erstes «echtes» Verkehrsflugzeug der Welt wurde sie in den 1920er-Jahren zu einem regelrechten Kassenschlager. 1925 betrug ihr Marktanteil weltweit rund 40 Prozent.Auch in der Schweiz schrieb das deutsche Pionierflugzeug Geschichte. Die Fluggesellschaft Ad Astra, eine Vorgängerin der Swissair, setzte die F13 schon ab 1921 leihweise ein, 1922 wurden vier Maschinen des Typs gekauft. Die Ad Astra richtete einen Linienbetrieb zwischen Zürich, Genf und Städten im nahen Ausland ein.Nach heutigen Massstäben war die F13 gemächlich unterwegs, mit etwa 160 Kilometern pro Stunde. Allzu grosse Sprünge waren mit ihr nicht möglich. Dafür war sie vielseitig einsetzbar: Mit Schwimmern ausgerüstet, startete und landete sie auch auf Gewässern. Im Winter flog die Ad Astra mit der F13 gut betuchte Gäste ins Engadin, als Piste diente der gefrorene St.Moritzersee.«Sie verlor zusehends von ihrer unheimlichen Grösse»Für damalige Piloten war die F13 eine neue Dimension. Der Zürcher Walter Ackermann, der 1927 als Linienpilot bei der Ad Astra einstieg, beschreibt seinen ersten Flug mit der Maschine in seinem «Bordbuch eines Verkehrsfliegers» (1934): «Alles war ganz anders als auf den Maschinen, die ich bis jetzt geflogen. Bei unserem ersten Flug hatte ich am Steuer ein linkisches Gefühl. Wenn ich längs der grossen Tragflächen schaute, kam ich mir ganz verloren vor. (…) Spürst du sie, fragte mein Begleiter nach drei Landungen. – Ich glaube ja, sagte ich. Dann stieg er aus, ich setzte mich auf die linke Seite und flog allein einige Runden. Mit jedem Male steuerte sich die Maschine leichter. Sie verlor zusehends von ihrer unheimlichen Grösse. Es machte jetzt Freude, einen solch schweren Kahn in Händen zu haben.»Kurz darauf beginnt Ackermann seinen Einsatz auf der Strecke Zürich–Stuttgart. Geflogen wird auf Sicht, der Pilot beobachtet das Gelände aus dem offenen Cockpit. Ackermann schreibt: «Flüsse, Bahnen, Ortschaften und Städte waren meine Richt- und Anhaltspunkte. (…) Alle drei Minuten griff ich zur Karte, verglich ihr Bild mit dem Gelände. (…) Selten nur schaute ich nach dem am Fussboden eingebauten Kompass (…). Aber ich glaubte nicht daran, ich hatte kein Vertrauen zur Magnetnadel. (…) An der Rückwand des Führersitzes befand sich ein kleines Schiebefensterchen. Wenn ich den Kopf wandte, konnte ich die beiden Passagiere sehen. Manchmal winkten sie mir zu. (…)»Zürich-Stuttgart bei Regen: Im Tiefflug den Bahngleisen entlangDeutlich weniger entspannt geht es zu und her, als Ackermann mit der F13 erstmals bei sehr schlechtem Wetter auf die Strecke muss. In Zürich prasselt der Regen. Vier Fluggäste sitzen in der Kabine, manche sind schon vor dem Abflug nervös. Ein Passagier fragt den Piloten vor dem Start, wie lange er denn schon fliege. «Seine Blicke hatten etwas Suchendes, Fragendes, als müsse er aufkeimende Angst überwinden.»Ackermann startet und gerät sogleich in Schwierigkeiten. Die Wolken hängen tief, der Pilot fliegt nah am Boden, «in Kirchturmhöhe» folgt er Bahngeleisen und versucht, sich nach Stuttgart durchzuschlagen. Ein Hügelzug versperrt ihm den Weg ins Donautal. «Das Gleis schlüpft ins Loch eines Tunnels. Ich bin dicht vor der höchsten Stelle. Nach zehn Sekunden wäre ich drüben. Aber vor und links und rechts fliesst der Nebel in die Bäume. Im letzten Augenblick reisse ich mit Vollgas eine Kurve...» Mit Mühe zwängt sich Ackermann schliesslich durch, findet den Weg zum nächsten grösseren Fluss. «Zum ersten Mal während dieses Fluges schaute ich in die Kabine zurück. Sogleich riss einer das Schiebefenster auf und brüllte, wo wir seien? ‹Neckar!›, rief ich zurück und machte ein Gesicht, als wären wir bis jetzt bei wolkenlosem Himmel in tausend Metern gegondelt. Der Frager nickte befreit zurück. (…) Er sah etwas blass aus.»Mit ihr reisten gut Betuchte von Stadt zu Stadt – oder in die Berge: Eine F13 in den 1920er Jahren auf dem gefrorenen St.Moritzersee. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)Als die Fluggesellschaft Ad Astra vier Jahre später in der neu fusionierten Swissair aufging, flog Ackermann längst auf grösseren und moderneren Maschinen, Blindflüge bei schlechtem Wetter gehörten bald zum Alltag. Die F13 aber wurde noch Jahrzehnte später für ihre Zuverlässigkeit gelobt. «Sie war ein tolles Flugzeug», erinnerte sich der brasilianische Pilot Rubens Bordini 2017 im Gespräch mit dem Magazin «Aerotelegraph». Sie sei robust gewesen und daher ideal für holprige Pisten im Südamerika der 1940er-Jahre. «Die Junkers F13 hat mich nie enttäuscht.»

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