18.03.2022

Das Leben mit Einbrüchen finanziert

Ein Rheintaler soll in rund 60 Fahrzeuge eingebrochen sein. Gestohlenes Geld verjubelte er aber nicht – stattdessen kaufte er Lebensmittel aus Selecta-Automaten sowie Ostwind-Tageskarten. Gestern stand er vor dem Kreisgericht.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 02.11.2022
Rund zehn Privatklägerinnen und -kläger warteten am Freitagmorgen vor den Türen des Gerichtssaals im Altstätter Rathaus und diskutierten über Sinn und Unsinn, der Verhandlung beizuwohnen. «Wir können ja doch nichts ausrichten», sagte ein Rheintaler Unternehmer, die Frustration  ins Gesicht geschrieben. Dennoch überwog bei den meisten die Neugier: Sie hofften darauf, mehr über die Motive des Mannes zu erfahren, der sie um beträchtliche Geldsummen gebracht hatte.Das taten sie vergeblich. Der in Fussfesseln gelegte Rheintaler, der im grauen Jogginganzug und Crocs vor dem Kreis­gericht Platz nahm, verweigerte wie bereits im gesamten Untersuchungsverfahren jede Aussage, fast als wäre ihm das bevorstehende Urteil des Kreisgerichts gleichgültig. «Ich mache nur von meinem Verweigerungsrecht Gebrauch», betonte er mehrmals, «und sollte das gegen mich verwendet werden, dann ist es halt so.» Einzig mit Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen war er einverstanden. Diese lassen auf eine zerrüttete Jugend schliessen, die unter anderem wegen Drogenkonsums, Körperverletzung, versuchter Tötung, Brandstiftung oder Diebstählen schon Anfang 20 in einer zehnjährigen Haftstrafe respektive im stationären Massnahmenvollzug mündete. Drei kalte Entzüge habe der gelernte Handwerker mit seinen 40 Jahren schon hinter sich, wobei Heroin, Amphetamin, Kokain, MDMA und Cannabis jeweils eine Rolle spielten. Die Freizeit verbringe er heute lieber für sich, Besuch empfange er, derzeit in Sicherheitshaft, keinen, nicht einmal aus der Familie und aus dem Freundeskreis. Gearbeitet hatte er während seiner Zeit in Freiheit immer wieder, zeitweise schwarz, manchmal nur für Kost und Logis. «Zuletzt wurde ich von meinem Arbeitgeber über den Tisch gezogen», sagte der Angeklagte.Stehlen, aber nicht schwarzfahrenDie Liste der Vergehen, die der Staatsanwalt dem Angeklagten zur Last legt, ist lang. Rund 50 Einbruchdiebstähle respektive Versuche soll er zwischen März und Juli 2020 begangen haben, unter anderem in Altstätten, Oberriet, Rebstein, Heerbrugg, St. Margrethen, Buchs, Eichberg und St. Gallen. «Der Modus Operandi war immer gleich und äusserst professionell», führte der Staatsanwalt aus. Der Angeklagte schlug in der Regel die Beifahrerscheibe eines Fahrzeugs mit einem Stein ein und durchsuchte den Wagen nach Wertsachen. Sofern er erfolgreich war und Bank- oder Kreditkarten fand, begab er sich gleich darauf an Selecta-Automaten in Bahnhofsnähe, an denen er Lebensmittel auf Kosten der Bestohlenen kaufte. Ausserdem bezog er an SBB-Automaten jeweils mehrere Ostwind-Tageskarten. «Bemerkenswert ist, dass er zwar in Fahrzeuge eingebrochen war, offenbar aber nicht schwarz öV fahren wollte», stellte der Staatsanwalt fest. Auch Bargeldbezüge tätigte der Angeklagte mit den gestohlenen Debit- und Kreditkarten, wobei er, mit einer Totenkopfmaske vermummt, immer wieder gefilmt worden war. «Die Aufnahmen liessen trotzdem nie einen Zweifel daran, um wen es sich handelte», sagte der Staatsanwalt.Rückfällig während des laufenden VerfahrensIm Juli 2020 konnte ihn die Polizei schliesslich festnehmen. Der Angeklagte hatte während der Verkehrskontrolle Amphetamin, Haschisch und Marihuana bei sich, ausserdem wurden ebendiese Drogen in einer Blutprobe festgestellt. Das Zwangsmassnahmengericht ordnete schliess­lich eine Ausweis- und Schriftensperre an, ebenso die Auflage, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden. Doch noch während des laufenden Verfahrens wurde der Mann erneut straffällig: Ende Januar 2021 begann die nächste Einbruchserie, die nach demselben Muster ablief. Bis zur Festnahme im Juli soll er gemäss Anklageschrift weitere zehn Diebstähle und Sachbeschädigungen respektive Versuche unternommen haben. Gemäss Staatsanwaltschaft im gewerblichen Rahmen, zumal er das gestohlene Geld mangels geregelten Einkommens in seinen Lebensunterhalt inves­tierte. Die Deliktsumme aller Diebstähle beträgt rund 49'000 Franken, die polizeilich geschätzte Schadensumme rund 17'000 Franken. Neben der Staatsanwaltschaft klagen 47 geschädigte Privatpersonen und Rheintaler Firmen, teilweise auch auf  Schadenersatz und Genugtuung.Angeklagter soll vier Jahre hinter GitterDie Staatsanwaltschaft beantragt dem Kreisgericht, den Angeklagten des mehrfachen gewerbsmässigen Diebstahls (und des Versuchs), der mehrfachen Sachbeschädigung, des mehrfachen gewerbsmässigen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage (und des Versuchs), des Hausfriedensbruchs, des Fahrens in fahrunfähigem Zustand sowie der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes schuldig zu sprechen. Gefordert wird eine unbedingte Freiheitsstrafe von 48 Monaten; angerechnet werden soll ihm die bereits abgesessene Untersuchungs- und die derzeitige Sicherheitshaft. Hinzu kommt eine Busse von 400 Franken. Bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmte Waffen seien der Kantonspolizei zu übertragen, die in einem verwaltungsrechtlichen Verfahren darüber entscheiden wird, wie damit zu verfahren ist. Die Horror-Maske, die Drogen sowie Diebesgut wie die Ostwind-Tageskarten seien zu vernichten, die Kosten des Verfahrens dem Angeklagten aufzubürden.Der Verteidiger forderte im Wesentlichen, die Privatklägerinnen und -kläger auf den Zivilweg zu verweisen und die beantragte Freiheitsstrafe auf 30 Monate herunterzusetzen. Dies einerseits, weil die Gewerbsmässigkeit des Diebstahls nicht gegeben sei, andererseits, weil mehrere Fahrzeugeinbrüche nicht eindeutig seinem Mandanten zugeordnet werden könnten.Der Angeklagte selbst schwieg bis zum Ende der Verhandlung, auch angesichts der happigen Vorwürfe. Selbst auf das Schlusswort verzichtete er: «Ich glaube, heute wurde schon mehr als genug gesagt.»HinweisDas Urteil des Kreisgerichts steht noch aus.

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