21.01.2022

Das Ja für die Frauen war überfällig

Ein einziger Bezirk lehnte vor 50 Jahren im Kanton St. Gallen das Frauenstimmrecht ab: das Oberrheintal.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 02.11.2022
In der Schweiz gibt es das Frauenstimmrecht auf nationaler Ebene seit der eidgenössischen Volksabstimmung vom 7. Februar 1971. Auf kantonaler und kommunaler Ebene im Kanton St. Gallen wurde das Stimm- und Wahlrecht für Frauen erst am 23. Januar 1972 eingeführt. 65,4 Prozent der Stimmberechtigten waren dafür.Nur im damaligen Bezirk Oberrheintal gab es ein Nein. Die grossen Gemeinden Altstätten und Oberriet, aber auch Eichberg wollten die Frauen von der Politik weiterhin ausgeschlossen wissen – Oberriet mit einem besonders hohen Nein-Stimmenanteil von 63 Prozent. Bloss Rebstein sagte deutlich Ja, in Marbach und Rüthi kam es zu (zustimmenden) «Zufallsresultaten», wie der «Rheintaler» nach der Abstimmung schrieb.«‘s Frauestimmrecht bruuched mer nöd»Der 84-jährige Altstätter Selin Loher, ein ehemaliger Lehrer und CVP-Exponent, hatte für die kantonale Initiative ein paar hundert Unterschriften zugunsten der Frauen gesammelt und erinnert sich an eine «positive Stimmung» in der Bevölkerung. Vor allem viele Jüngere hätten gemeint, es sei an der Zeit, die Frauen nicht mehr auszuschliessen. Unter Älteren habe es etwa geheissen: «Jetz mues me halt emol Jo säge.» Dies auch zum Glück für Lohers Tochter Itta, die heute in Gossau dem Stadtparlament angehört – als SP-Mitglied, ergänzt Selin Loher mit einem Lächeln.«Eine Frau ist eine Frau»Das Ergebnis einer kleinen Umfrage verdeutlicht rasch, dass die Erinnerung an das einst grosse Ereignis weitgehend verblasst ist. Der Altstätter Künstler Josef Ebnöther erinnert sich aber an viele ablehnende Stimmen und das oft gehörte (wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeinte) Argument: «‘s Stimmrecht för Fraue bruuched mer nöd. Dia säged dä Manne sowieso, wia’s stimme mönd.»Der Abstimmungskampf sei eher lau gewesen, schrieb der damalige «Rheintaler»-Redaktor Hans Müller nach dem Urnengang. In Leserbriefen war nur vereinzelt gegen das Frauenstimmrecht gewettert worden. Heute ginge ein Aufschrei durch breite Teile der Leserschaft, wäre ein Satz wie dieser zur Kenntnis zu nehmen: «Wir Sanktgaller dürfen unseren Frauen einfach nicht ohne weiteres eine Bürde aufladen, denn eine Frau ist eine Frau.» Die anderen Kantone hätten den St. Galler Frauen das Stimm- und Wahlrecht «aufgehalst».Ein anderer Leserbriefschreiber fand es «nun wirklich den Gipfel, was sich da bestimmte Herren mit uns Stimmbürgern erlauben, nachdem doch innert kurzer Zeit» wiederholt Nein gesagt worden sei. Der gute Mann beklagte vorausblickend ein «durchgewürgtes» Ja und fragte: «Wäre es nicht endlich an der Zeit, eine Initiative zu starten, die es verbietet, dass eine Abstimmungsvorlage, die abgelehnt wurde, früher als fünf Jahre nach der Verwerfung wieder vorgelegt werden darf?»Ein verbreitetes Argument gegen das Frauenstimmrecht lautete so: Die Lokale für die Gemeindeversammlung – zumeist Kirchen – wären zu klein, wenn auch die Frauen teilnehmen dürfen; das gefährde die direkte Demokratie.«Da stimmt etwas nicht»Die Befürworter (und Befürworterinnen) des Frauenstimmrechts warben mit originellen Inseraten für ihr Ja. So plädierte etwa die FDP Unterrheintal für ein «Ja zur Melioration Sennwald» (über die gleichentags abgestimmt wurde) – und fügte hinzu: «Ja aber auch zur ‹ Melioration› des sanktgallischen Männerstimmrechts – zu einem Erwachsenenstimmrecht.»Auch ein Cartoon brachte die Zeichen der Zeit, mit einer Konjugation, schön auf den Punkt: «Ich stimme, du stimmst, er stimmt, sie stimmt … nicht. Da stimmt etwas nicht, deshalb stimmen wir am Sonntag Ja.»Im Appenzellischen liess Mann sich viel ZeitDer damalige Bezirk Unterrheintal tat dies sozusagen geschlossen; keine Gemeinde scherte aus, alle nahmen das Frauenstimmrecht an, am klarsten die Gemeinde Thal, und knapp nur Berneck.Noch länger als im Kanton St. Gallen dauerte es in Appenzell Ausserrhoden, bis die Einsicht in die Notwendigkeit des Einbezugs der Frauen herangereift war. 1989 wurde auch dort das Stimm- und Wahlrecht für Frauen an der Landsgemeinde angenommen.Für Innerrhoden musste das Gericht entscheidenIn Appenzell Innerrhoden blieb die Einsicht aus. Schliesslich wurde das Frauenstimmrecht durchs Bundesgericht erzwungen. Das Gericht interpretierte den Wahlrechtsartikel der Innerrhoder Verfassung neu, indem es befand: Mit «stimmberechtigten Landsleuten», von denen im Gesetzestext die Rede ist, seien künftig auch Frauen gemeint. Punkt.

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