25.02.2022

«Das ist Kriegsrhetorik vom Übelsten»

Der Oberrieter SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel ist Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Russland. Wie beurteilt er den Ukraine-Konflikt?

Von Interview: Meret Bannwart
aktualisiert am 02.11.2022
Kremlchef Wladimir Putin hat Donnerstag frühmorgens offiziell einen Militäreinsatz in den ukrainischen Gebieten angeordnet. Was war Ihre erste Reaktion?Roland Rino Büchel: Wie viele, auch ausgewiesene Experten, war ich überrascht. Es ist kein guter Tag für die Eintracht auf dieser Welt. Der Westen hat erste Sanktionen gegen Russland ausgesprochen. Die EU steht bereit mit einem umfassenden Sanktionspaket, beschlossen von allen 27 Mitgliedstaaten. Die Schweiz hat sich den Sanktionen nicht angeschlossen. Was ist Ihre Meinung dazu? Die Schweiz handelt richtig. Man muss immer aufpassen in solchen Momenten, dass man nicht voreilig aktiv wird. Wir sind nicht Mitglied der EU und müssen uns darum an den Sanktionen nicht beteiligen. Es darf hingegen nicht sein, dass Sanktionen via Schweiz umgangen werden können. Wenn die UNO Sanktionen verhängen würde, wären diese selbstverständlich mitzutragen. Dass es dazu kommt, ist jedoch kaum wahrscheinlich, denn Russland hat ein Vetorecht, wie die anderen vier Vollmitglieder des Sicherheitsrats auch.Russland verstösst mit der Entsendung von Truppen gegen internationales Völkerrecht und streitet der Ukraine das Recht auf nationale Souveränität ab. Sollte die Schweiz nicht ein Zeichen setzen und sich den EU-Sanktionen anschliessen? Nein, das wäre der falsche Weg. Man muss aufpassen, dass man nicht versucht, einfach irgendwie «Zeichen zu setzen». Wir müssen jetzt zwei Dinge tun. Und zwar bei uns. Erstens brauchen wir eine gestärkte Armee. Denn der Friede in Europa ist nicht so stabil, wie das viele dachten.Und zweitens? Die Schweiz gehört nicht in den UNO-Sicherheitsrat. Dort wird sie über Krieg und Frieden mitentscheiden. Die Rolle der Vermittlerin, welche unser Land seit Jahrzehnten übernimmt, würde durch den Einsitz wesentlich erschwert.Ihr Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Russland, Fabian Molina, fordert, dass die Schweiz – anders als 2014 – die EU-Sanktionen mitträgt. Dieser Forderung schliessen sich alle Parteien ausser die SVP an. Jeder soll als Parlamentarier das sagen können, was er denkt. Fabian Molina ist jedoch nicht die offizielle Schweiz. Was ich noch interessant finde: Bei Venezuela hatte Fabian Molina auf unsere Neutralität gepocht. Doch zurück zu diesem Konflikt: Die Welt ist nicht so einfach, wie viele sie sehen wollen. Also: Die eine Seite ist böse, die andere Seite gut. In beiden Lagern gibt es Kriegsrhetorik vom Feinsten. Wo sehen Sie die Handlungsmöglichkeiten der Schweiz? Es gibt zwei Gremien, die wichtig sind: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Europarat. In beiden Gremien ist Russland auch vertreten. Jeder verpflichtet sich, die dort geltenden Regeln zu respektieren. Da können wir uns einbringen.Sie sind vergangenes Jahr in die Ukraine gereist. Erzählen Sie. Ja, zusammen mit dem damaligen Nationalratspräsidenten Andreas Aebi auf seiner offiziellen Präsidialreise. Wir waren auch beim «offiziellen» Übergang zwischen dem Landesteil unter ukrainischer Kontrolle und den Gebieten im Osten, wo Russland die Separatisten unterstützt. Das war zugleich eindrücklich und beklemmend. Man muss sehen: Der Konflikt schwelt seit Jahren. Und nicht erst seit dieser Woche.Sie halten sich mit Kritik an Russland zurück. Was missbilligen Sie? Russland hat Luhansk und Donezk als unabhängig erklärt. Nehmen wir ein Beispiel bei uns: 1919 wollte sich das Vorarlberg der Schweiz anschliessen. Auch bei uns gab es durchaus Sympathien für einen Zusammenschluss. Doch schon damals war klar: Grenzen werden nicht verändert. Auch heute, mehr als hundert Jahre später, wird kein westlicher Staat Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten anerkennen. Die Schweiz wird von den Folgen wohl kaum verschont bleiben, auch wenn sie keine Sanktionen verhängt. So könnten die USA beispielsweise Schweizer Unternehmen mit engen Beziehungen zu Russland sanktionieren. Wäre es daher nicht besser für die Schweiz, klar Stellung zu beziehen? Wir werden sowieso betroffen sein. Da führt kein Weg daran vorbei. Aber: Die USA und die EU sind nicht die Weltgemeinschaft. Wir sind nicht Mitglied der EU oder der USA. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir ihre Sanktionen mittragen.Die Schweiz ist Drehscheibe für russisches Geld und für Unternehmen, insbesondere im Rohstoffhandel. Welche Rolle spielen die engen Verstrickungen zwischen russischem Kapital und in der Schweiz tätigen Finanzinstituten? Nicht zu vergessen: Unsere Abhängigkeit von russischem Gas und Öl. Abhängigkeiten bestehen. Das ist so. Sie werden mit der beschlossenen Energiestrategie, die schlussendlich auf Gaskraftwerke setzen muss, sogar noch zunehmen.Also haben Sie das Gefühl, indirekt spielen diese Abhängigkeiten schon eine Rolle bei der Positionierung der Schweiz? Ja. Aber jeder Entscheid muss sich nach der Frage richten: Was ist das Beste für die Interessen unseres Landes und unserer Bürger? Und zwar nicht nur für heute und morgen. Sondern auch für die nächsten Generationen. Das muss unsere Richtschnur sein.Der Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, Franz Grüter, erklärte, die Krise sei nur zu lösen, wenn der Westen die wichtigste Forderung Russlands akzeptiere, dass die Ukraine nicht Nato-Mitglied werden könne. Was sagen Sie als ehemaliger Präsident der Kommission dazu? Das ist eine nüchterne Lagebeurteilung aufgrund dessen, was Russland wiederholt gesagt hat.Wie sehen Sie es, wenn Russland seine Aggressionen nun auch auf weitere Teile der Ukraine ausweitet? Jetzt gilt es, genau zu beobachten: Was passiert in den nächsten Tagen wirklich? Sollte sich bestätigen, dass Russland seine militärischen Aktivitäten nachhaltig auf die ganze Ukraine ausweitet, dann nimmt der Konflikt definitiv eine neue Dimension an. Dann wird die Schweiz als Vermittlerin wohl bald schon eine sehr wichtige Rolle haben.

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