Gert BrudererNächteweise haben Bernd Schützelhofer und Jackie Pedregal sich den Kopf zerbrochen. Wann aufmachen? Wie der Situation am besten gerecht werden? Was tun? Die Pandemie zehrte nicht nur an ihren Nerven, sondern liess sie auch von den Ersparnissen zehren. Als Bernd Schützelhofer ein zufällig mitgehörtes Telefongespräch führt, fällt irgendwann der Satz: «Do müend mir jetz halt luege.» Eine Standardaussage des letzten Jahres.Eigentlich hatten Bernd Schützelhofer und Jackie Pedregal das «Bad Balgach» im vierten Quartal des letzten Jahres neu eröffnen wollen. Sie sind dankbar, dass sie bisher weder Pacht noch Miete für die Wirtewohnung zahlen mussten. Auch sonst hätten sie die «maximale Unterstützung durch die Eigentümerschaft» erfahren, sagt der Spitzenkoch.Das «Bad Balgach» ist ja nicht irgendein Beizli. Mit einem Patent für 280 Gäste, neuerdings einer riesigen Terrasse auf der Rückseite des Restaurants (und einer kleineren beim Saal im ersten Stock) ist der Betrieb sehr anforderungsreich.Dazu kommt die Geschichte dieses Hauses. Viele Menschen haben hier die Verlobung gefeiert, das Hochzeitsfest durchgeführt, wichtige Sitzungen überstanden, denkwürdige Versammlungen stattfinden lassen, an Abdankungsessen teilgenommen.«Alle Augen sind auf uns gerichtet»«Alle Augen sind auf uns gerichtet», fasst Bernd Schützelhofer die Erwartung der Öffentlichkeit zusammen. Will heissen: Nur eine Topleistung ist gut genug. Schon als Gastgeber im Widnauer «Paul’s» hatten der Fünfzigjährige und seine um drei Jahre ältere Partnerin, eine gebürtige Mexikanerin, mit 16 Gault-Millau-Punkten und einem Guide-Michelin-Stern viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen.Bei einem Rundgang durch das grosse Haus gerät Bernd Schützelhofer gleich ins Schwärmen.Die früher versiegelten Eichenböden: geschliffen, abgelaugt, geölt!Im grossen Saal: bis auf eine Wand alles neu!Das frisch getaufte Grünen-steinstübli: der «Raum mit dem schönsten Boden» und einer Hanftapete, über deren Preis besser Stillschweigen gewahrt wird.Oder das neuerdings riesige Restaurant: Jedes einzelne der schmalen Lättli an der Decke wurde separat verlegt. Die umlaufende Schiene für den Raumteiler war mit zweiwöchiger Arbeit verbunden, denn die Schiene ist in jedes Lättli eingefräst.Es schwingt viel Pathos mit, wenn die Wirtsleute von den Ereignissen der letzten Monate erzählen. Wie eine grosse Familie hätten sie sich zusammen mit den Handwerkern gefühlt, sagt Jackie Pedregal und wird prompt von den Gefühlen überwältigt. Es ist, als würde mit einem Mal alles Zermürbende von Augenwasser weggespült, das Leiden beim langen Warten, die Unsicherheit, die Sorgen ums Personal. Dieses habe sehr geduldig ausgeharrt. Hinter den Worten, die Bernd Schützelhofer ausspricht, ist Ehrfurcht erkennbar. Niemand sei abgesprungen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien ihm und seiner Partnerin sehr entgegengekommen, was «in keinster Weise selbstverständlich» sei. Immerhin hätten bereits im September oder Oktober die Arbeitsverträge vorgelegen.Mit einem Probelauf sich selbst getestetAm 17. Mai ging es endlich los, begann der zunächst auf Vorbereitungen beschränkte Arbeitsalltag. Gestern kamen die «Versuchskaninchen». So nennt Bernd Schützelhofer scherzhaft die Freunde und Lieferanten, die das Glück hatten, den «Probelauf» mitzuerleben.Sowohl am Mittag als auch am Abend servierten die Wirtsleute je einem Dutzend Gäste ein Menü, um sich selbst zu testen. Denn nun gilt es ernst. Ab Donnerstag, 27. Mai, ist das neue «Bad Balgach» wieder geöffnet – als historisch bedeutsames, rundum stilvoll erneuertes und von den Hotelzimmern befreites Haus, dem ein moderner Geist innewohnt.Per Handy steuerbares Licht statt alter, zum Vorschein gekommener Baumwollkabel zeugen von einem Schritt, für den die Eigentümerin Valrheno in kostspielige Meilenstiefel geschlüpft ist. Ein zufällig im «Bad Balgach» anwesender, unbeteiligter Unternehmer meint ungefragt: Die Investitionen ins Gebäude seien ganz bestimmt ein unwirtschaftliches Geschäft. So ist denn auch von einer Herzensangelegenheit die Rede.Die Harder Fahne soll ebenfalls wehenDie Pandemie haben die Wirtsleute genutzt, um bei der Detailplanung in ungeahnte Akribie zu verfallen und minutiös alles so vorzubereiten, dass immer neue Ideen zutage traten. Zum Beispiel der Gebrauch der Fahnen. Bernd Schützelhofer wird neben zwei Flaggen des Hauses nicht nur die Kantons- und die Gemeindefahne vor der Fassade im Wind wehen lassen, sondern auch die Harder Fahne. Denn was vielen unbekannt sein dürfte, freut den Wirt, einen gebürtigen Harder, besonders: Zwischen Balgach und Hard besteht bereits seit 26 Jahren eine «Rheinpartnerschaft».Im Halbschatten unter der Terrasse spriesst bereits das Kräuterleben. Wo Waldmeister, Ananasminze und Blutampfer wachsen, ist Bernd Schützelhofer kaum mehr wegzukriegen. Er spricht vom Olivenkraut für Fisch, Risotto oder Lamm, zupft peruanischen Sauerklee – «hier, probier mal; einfach hammermässig», und verrät, was er besonders schätzt: das Eisenkraut.Am Eröffnungstag herrscht kein Terrassenwetter. Dennoch hat Bernd Schützelhofer ein Gefühl des Glücks ergriffen. Selbst wenn niemand komme, sagt er frohgemut, als hätte es Corona nie gegeben: «Wir sind da.»