30.03.2018

Das Gemüse im Abo

Kaum etwas, das sich heute nicht bequem bestellen und vor die Haustür liefern liesse. Regionale Landwirtschaftsbetriebe ziehen mit und bedienen damit gleichzeitig die Nachfrage nach umweltbewusster Kost.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
Seraina HessSeit ein paar Wochen bekommt Sarah Zingerli ihr Gemüse ge­liefert. An ihren Arbeitsplatz in Widnau. Produziert wurde es – abgesehen vom Rosenkohl und der Mango, die in jener Woche Anfang März mit in den Korb gelegt wurden – auf Feldern, die sich im dreieinhalb Kilometer entfernten Balgach befinden. Eine sogenannte «Gmüasbox», wie sie im Angebot der Landwirte-Familie Rohner heisst, bekommt die 25-Jährige jeden Donnerstag, angereichert mit Früchten und sechs Eiern; und nach einem ersten Augenschein sollte die Box in ihrem Single-Haushalt auch ziemlich genau innerhalb einer Woche aufgebraucht sein. Das Interesse an regionalen Produkten habe ein kürzlich besuchter Vortrag eines Ernährungsberaters ausgelöst: «Ich möchte qualitativ hochwertige Lebensmittel essen, von denen ich weiss, woher sie kommen. Vor allem die Verpackungsflut im Supermarkt hat mich nachdenklich gestimmt.» Zingerli geht davon aus, dass sich die Anzahl ihrer Einkäufe bei Migros oder Coop verringern wird, zumal sie durch die Gemüse-Lieferung einen Grossteil an frischen Lebensmitteln abgedeckt hat. Obschon die Kauffrau annimmt, durch die Bestellung mehr für Gemüse und Früchte zu bezahlen (siehe Zweittext), ist sie überzeugt, unter dem Strich doch Geld zu sparen.Abbestellungen gehören zur TagesordnungSo wie die junge Widnauerin denken inzwischen einige Rheintaler – zumindest zeigen das die Zahlen der Familie Rohner. Vor zwei Jahren haben sie den Hofladen in Balgach und den Gemüse-Vertrieb an Altersheime, Restaurants und Grossverteiler durch das Lieferangebot für Private ergänzt, nachdem sie das Konzept bei einem Schaffhauser Betrieb entdeckt hatten. Mit dem Bau einer Halle entstand genug Platz für das Projekt, für das an der Rhema erstmals geworben wurde. Mit 60 Bestellungen startete der Lieferservice, inzwischen werden donnerstags 110 Single- oder Familienboxen, mit oder ohne Früchte, verteilt. «Kapazität hätten wir aber für bis zu 1000 Boxen, auch wenn wir dann einen zweiten Liefertag einführen müssten», sagt Landwirtin Carina Rohner. Abbestellungen gehörten allerdings zur Tagesordnung – vor allem aus einem Grund: «Unflexibilität beim Kochen.»Die Winterbox ist besonders kniffligFlexibilität wird bei der Gmüasbox aber vorausgesetzt. Im Ge­gensatz zu den Webshops von Grossverteilern setzt Rohners Konzept – derzeit das einzige dieser Art im Tal – nicht auf eine möglichst individuelle Auswahl, sondern auf Saisonprodukte: In die Box kommt (mehrheitlich), was im Rheintal wächst, auf den eigenen Feldern oder jenen der Nachbarlandwirte. Carina Rohner, die das Projekt zusammen mit ihrer Schwester leitet, sieht es stets als grosse Herausforderung, die Kiste möglichst abwechslungsreich zu füllen. Gerade im Winter, vor allem aber im Monat März, sei das schwierig. Weil Rohner der Kundschaft nicht über Wochen hinweg gelbe Räben, Wirsing, Kohl, Lauch und anderes Suppengemüse liefern möchte, werden die Kisten durch zugekaufte Produkte ergänzt, oder durch bereits verarbeitete wie Sauerkraut oder Dörrbohnen. Im Winter besteht die Box zu 50 bis 60 Prozent aus eigenen Produkten, im Sommer zu 80 bis 90 Prozent. Der Anspruch der Kundschaft sei geprägt von einer falschen Vorstellung von Saisongemüse, sagt Gatte Heinz Rohner: «Grossverteiler und deren Magazine stellen zu diesem Zeitpunkt etwa Rosenkohl als Saisongemüse dar – dabei ist diese in der Schweiz längst zu Ende.»Und doch: Wer damit leben kann, im Winter auf Tomaten, Erdbeeren und Gurken zu verzichten, sei gut bedient, findet Sarah Zingerli. Vor allem, weil Kreativität gefragt sei: So wird der Federkohl, der übrig bleibt, rasch einmal zu Kale-Chips verarbeitet.Ein Profi in der Lebensmittel-Direktvermarktung ist René Bänziger vom Geflügelhof Schönbühl in Wolfhalden, den er in dritter Generation führt. Während Familie Rohner aus Kapazitätsgründen einen Teil der Gemüse-Lieferungen an die Post ausgelagert hat, fahren er und sein Personal vier Touren pro Woche selbst. Der ausgebildete Geflügelzüchter liefert von St. Gallen bis ins Rheintal gut die Hälfte der produzierten Eier – seine 6000 Hennen legen insgesamt 1,9 Millionen pro Jahr – an gut 2000 Kunden. Damit begonnen hatte er Mitte der 1990er-Jahre. Schon damals kam das Angebot gut an, zumal es wenig verbreitet war. Herkunft ist auch auf dem Land wichtigGrosses Thema war und ist die Tierhaltung. Der Hof wirbt damit, den Kunden unangemeldet jederzeit zur Besichtigung offen zu stehen. «Nur kommt kaum jemand, das Vertrauen scheint gross zu sein», sagt der Geflügelzüchter. Bänziger setzt nicht nur auf Freilandhaltung. Die normale Legedauer von 13 Monaten verlängert er auf eine fast zweijährige Lebenszeit der Hühner, indem sie sich nach zehn Monaten während der Mauser regenerieren dürfen und danach wieder acht bis zehn Monate Eier legen. Damit spart sich Bänziger alle zwei Jahre eine Aufzucht, was wiederum bedeutet, dass weniger männliche Legehennen-Küken ihr Leben lassen müssen. Haben die Hühner tatsächlich ausgedient, werden sie, obschon nicht mit einem Mastpoulet vergleichbar, zu geräucherter Geflügelbrust oder Pantli verarbeitet. Es sind Argumente, die bei einer sich immer umweltbewusster ernährenden Gesellschaft ziehen, weiss auch Bänziger, der auf Werbung fast ganz verzichtet und auf Mund-zu-Mund-Propaganda setzt. Das Wissen um die Herkunft der Eier sei sowohl in der Stadt als auch auf dem Land wichtiger geworden. Die flexibelste Kundschaft, sagt René Bänziger, befinde sich aber definitiv im Rheintal. Keine Reklamationen, wenn das Ei nicht aussehe wie aus dem 3D-Drucker, grössere Lieferumfänge, weil man die Ernährung flexibel plane. «Hat man einmal ein paar Eier zu viel, gibt es halt Rührei zum Znacht – so funktioniert der Rheintaler Kunde.»Preise im Vergleich Lebensmittel Gemüse und Eier direkt vom Bauern in der Region beziehen, um lange Importwege zu vermeiden und die Küche der Saison anzupassen: Die Idee leuchtet ein. Doch sind Hofprodukte teurer als jene aus dem Supermarkt? Ein Vergleich einer beliebigen Single-Gmüasbox der vergangenen Wochen mit dem Angebot des Detailhändlers Migros zeigt: Für 500 Gramm Rüebli, eine Sellerieknolle, zwei Lauch- stangen, einen Wirz, einen gedämpften Randen, zwei Zwiebeln, einen Knoblauch, einen Kopfsalat, eine Schale Nüsslisalat, zwei bis drei Stück Chicorée, vier Äpfel, zwei Birnen und vier Kiwis zahlt der Gmüasbox-Abonnent 32 Franken, inklusive Lieferpauschale von fünf Franken. Bei einem Testeinkauf der gleichen Produkte bei Migros kommt die Redaktion auf 31.10 Franken – ohne Lieferkosten. Unumstösslich ist der Testkauf allerdings nicht, da Aktionen das Ergebnis verändern können und die Preise je nach Tag variieren. Auch das Gewicht konnte bei der Stückzahl nicht berücksichtigt werden. Aussagekräftiger ist die Lieferung einer Sechserpackung Freilandeier: Sie kostet beim Geflügelhof Schönbühl 4.20 Franken. Bei Coop, neben der Direktvermarktung Hauptabnehmer von Bänzigers Eiern, kostet die Packung 3.95 Franken. (seh)

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