Dunst liegt am Mittwochmorgen über dem Bodensee bei Rorschach. Am Ufer steht Christian Baumann. Er schaut auf den See hinaus in Richtung Staader Bucht. Es ist fast windstill und die Wasseroberfläche rührt sich kaum. Wer weiss, was sich hier in der letzten und vorletzten Woche ereignet hat, ahnt, worüber der Polizist sinniert.[caption_left: Christian Baumann weiss genau, wo das Flugzeug in der Staader Bucht in 84 Metern Tiefe liegt.]Gedanklich spielt der Tauchgruppenleiter der Kantonspolizei St. Gallen mögliche Szenarien durch, wie und wann die Piper aus 84 Metern Tiefe geborgen werden könnte. Knapp eine Woche ist seit dem ersten Versuch vergangen. Nach dreizehn Stunden im Einsatz hatte die Einsatzleitung das Unterfangen vertagt.Der Absturz wird genau untersuchtDie Geschichte, die noch nicht zu Ende geschrieben ist, begann am 18. Februar. Ein Flugzeug war auf dem Weg von Locarno nach Altenrhein. Beim Landeanflug auf den Flughafen stürzte es in den See. Der unterkühlte Pilot hatte aus dem Wasser gerettet werden können. Das Flugzeug sank auf den Seegrund. Es steckt seither in einem Winkel von 45 Grad und mit der Nase voran im Schlick fest.Der Bodensee ist Trinkwasserspeicher der drei Anrainerländer. In ihm möchte man weder Schrott noch brennbare Flüssigkeiten wissen. Weiter betrachtet die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) Unfallort und -ursache. Damit trägt sie dazu bei, künftig Abstürze zu verhindern. Zudem haben Bundesanwaltschaft (BA) und Bundeskriminalamt des Fedpol (BKP) die Ermittlungen von der Kantonspolizei St. Gallen übernommen.Chronologie des ersten BergungsversuchsZwischen dem Absturz und der geplanten Bergung am 25. Februar war eine Woche Zeit, um den Ablauf am Tag X festzulegen und alle Akteure auf den Einsatz vorzubereiten.Am Dienstag stand die genaue Ortung des Wracks auf dem Plan. Da eine Positionierung mittels GPS unter Wasser nicht möglich ist, setzte man ein Sonar zur Navigation mittels Schall ein. Eine Boje markierte an der Wasseroberfläche den Punkt, unter dem das Flugzeug liegt. Am Tag danach nahm ein ROV, ein Unterwasserroboter mit Kameras und Greifarm, Fotos vom Wrack auf.«Am Vorabend war ich angespannt», sagt Christian Baumann. Die Details waren geplant. Es stand fest, wie das Flugzeug befestigt wird. «Besondere Beachtung schenkten wir den Abläufen und dem Material.» Die Bergegurten durften nicht zu lang und ihr Gewicht im Wasser nicht zu hoch sein. «Alle Abläufe waren so getaktet, dass sie in den Zeitplan passten.»Am Einsatzmorgen war der Leiter der Polizeitaucher um 7 Uhr am Platz. Er war zuständig für mehrere Teams – die Westschweizer Profis unterstützten die St. Galler Milizionäre. «Ich kümmerte mich um die Sicherheit der Unterwasserarbeiten. Die Praxis überliess ich aber den Tauchern», sagt Christian Baumann. Die Sust leitete die Bergung.Es folgte ein 13-stündiger Einsatz. Alle Akteure (siehe Kasten) mussten ständig bereit sein, sofort zu agieren. Eine erholsame Pause einzulegen, war nicht möglich. So sehr forderte der nicht alltägliche Einsatz alle Beteiligten. Um 18 Uhr verkündete die Einsatzleitung den Abbruch des Versuchs. Es wurde dunkel, die Menschen im Einsatz wurden müde, ihre Konzentration drohte nachzulassen. Feierabend war um 20 Uhr.Optimistisch bis zum Schluss und darüber hinaus«Bis fünf Minuten vor Schluss glaubte ich daran, dass wir alle Probleme lösen und den Flieger noch heben könnten», sagt Christian Baumann. Dass dies nicht gelang, enttäuschte ihn. «Es konnte niemand etwas dafür. Am Mittag hatte sich die Boje über dem Wrack mit dem Haken des Krans verheddert. Um 16 Uhr waren wir parat für einen neuen Versuch. Ein technischer Defekt verhinderte den Erfolg.»Die Ausgangslage bleibe gleich, sagt Christian Baumann. Er ist davon überzeugt, das Flugzeug bergen zu können. «Ich setze auf die Strategie langsamer Erfolge.» Anders als beim ersten Mal, wird nicht alles an einem Tag geschehen. Es war schwieriger als erwartet, die Positionen der Fähre und Boje zu halten sowie den Kranhaken exakt auszurichten. Nicht absehbar war, wie das träge zu navigierende Schiff auf die Strömung reagieren würde. Sind gewisse Arbeitsschritte erledigt, nimmt dies Zeitdruck von der eigentlichen Bergung. Taucher könnten die Gurte zum Beispiel schon vorher am Flugzeug befestigen.[caption_left: Christian Baumann bespricht mit den Seepolizisten Roman Balmer und Hansruedi Heeb (von links) den nächsten Tauchgang.]«Das Flugzeug zu bergen, muss klappen», sagt Christian Baumann.Zehn Minuten Zeit, am Wrack zu arbeitenDamit die Taucher die Hebegurten am Wrack befestigen können, müssen sie 84 Meter tief in den See absteigen. In acht Minuten erreichen sie das Ziel. Ihnen bleiben zehn Minuten, um den Auftrag am Seegrund zu erfüllen. Den Rest des 90-minütigen Tauchgangs benötigen sie zum Auftauchen mit Pausen (Dekompressionsstopps). Verlängert sich die Arbeitszeit um fünf Minuten, wäre der Aufstieg um zwanzig Minuten länger.Die Kälte ist nicht das einzige Problem. Ein beheizter Trockenanzug, der nur das Gesicht freilässt, verlangsamt das Auskühlen des Tauchers ausreichend. Auch die Psyche spielt eine Rolle. Der Taucher weiss, jeder Fehler kann schwerwiegende Folgen haben. Christian Baumann vergleicht es mit dem Balancieren über ein 0,5 Meter breites Brett. «Liegt es auf dem Boden, hat kaum jemand ein Problem damit. In luftiger Höhe aber wohl», sagt er.In 84 Metern Tiefe ist der Umgebungsdruck, der auf den Taucher wirkt, etwa 9,5-mal höher als an der Wasseroberfläche. Die variierenden Drücke während des Ab- und Aufstiegs wirken sich auf die Gesundheit und Urteilsfähigkeit des Tauchers aus. Mit einer ausgeklügelten Zusammensetzung des Atemgases (Sauerstoff, Helium, Stickstoff) im Tauchgerät werden ein Tiefenrausch (Stickstoffnarkose) sowie eine Sauerstoffvergiftung (Hyperoxie) verhindert.Mit zunehmender Tiefe steigt der Gasverbrauch. Anders als Sport- setzen Polizeitaucher Kreislaufgeräte ein, um das Atemgas aufzubereiten. Der verbrauchte Sauerstoff wird dem Kreislauf wieder zugeführt. Das Gewicht des Atemgeräts ist geringer. Es wird aber schwieriger, sich in der Schwebe zu halten. Wegen kleinster Schwankungen gegenüber dem Wasser wird man zu leicht oder zu schwer – zum Beispiel, in dem man einen Gurt in die Hand nimmt oder ablegt. Der Taucher gleicht dies aus. Er lässt Gas in die Tarierweste aus und ein . Das kostet Zeit.Grossaufgebot auf dem WasserEtliche Mannschaften und Infrastruktur waren beim Bergungsversuch auf dem See zugegen. Von der grossen Fähre aus sollte das Flugzeug per Kran an die Oberfläche gehievt werden. Die Chemie- und Ölwehr sowie die Sanität waren hier stationiert.Christian Baumann verbrachte die meiste Zeit auf der «Gallus 3», dem Patrouillenschiff der St. Galler Seepolizei. Mit ihm auf dem Schiff waren Vertreter der Sust – mit Bergungschef und Technikspezialisten – sowie das ROV-Team aus Genf. Die Taucher hatten ein eigenes Boot und somit die Ruhe, um sich auf den aussergewöhnlichen Tauchgang vorzubereiten.Ein Boot diente den Sicherungstauchern. Sie hätten das gehobene Wrack mit einem Netz gesichert. Die Einsatzleitung verschaffte sich die Übersicht vom Seerettungsschiff aus. Von ihm aus wurden auch weitere Aufträge erfüllt.