19.01.2020

Das Abenteuer seines Lebens

Der Appenzeller Lukas Hinterberger bestieg in Patagonien einen Berg, den noch keiner vor ihm erklommen hatte.

Von Stephanie Martina
aktualisiert am 03.11.2022
Der Astronaut Neil Armstrong und der Appenzeller Lukas Hinterberger haben eine Gemeinsamkeit: Sie beide waren die ersten Menschen, die je einen bestimmten Ort betreten haben. Armstrong den Mond und Hinterberger einen bislang noch unbestiegenen und namenlosen Berg in Chile.Anfang November brach der 26-Jährige gemeinsam mit den beiden Berner Bergsteigern Nicolas Hojac und Stephan Siegrist zum Abenteuer seines Lebens auf. Im nördlichen Inlandeis Patagoniens, einem der wohl letzten weissen Flecken der Welt, wollten die drei unbestiegene Berge erklimmen und neue Routen entdecken.Atemberaubende AussichtDoch weil das nördliche Inlandeis noch weitgehend unerforscht ist, war es schwierig, an Informationen zu kommen. Knapp ein Jahr lang bereiteten sich die drei Bergsteiger auf ihr sechswöchiges Abenteuer vor. In erster Linie nutzten sie Google Earth und schrieben Leute an, von denen sie wussten, dass sie Patagonien bereits erkundet hatten. Zudem studierten sie das American Alpine Journal, ein grosses Bergarchiv, in dem unter anderem Erstbesteigungen aufgeführt werden. «Ihr» Berg sei darin noch nicht aufgeführt. «Wir sind daher ziemlich sicher, dass wir die Ersten waren, die den Gipfel des rund 1850 Meter hohen Berges erreicht haben», sagt der angehende Bergführer. Den Berg tauften die drei Freunde Cerro Palomar, benannt nach der weit unten liegenden Hütte eines befreundeten Gauchos.Zu Beginn der Expedition mussten sie zwei Wochen in ihrem aus Zelten und einer selbst gebauten Waldhütte bestehenden Basiscamp ausharren. «Wir sassen unter den Blachen und vertrieben uns mit Jassen die Zeit. Aber eigentlich wollten wir nur eines: endlich etwas unternehmen.» Als sich das Wetter besserte, ergriffen sie die Chance und machten sich auf den Weg auf den Gipfel des 2800 Meter hohen Cerro Largo, eines Berges, der ihren Recherchen zufolge zuvor zwei Mal bestiegen worden war. Auf den letzten Metern zum Gipfel überkam sie ein intensives Glücksgefühl. «Es war ein unbeschreiblicher Moment. Wir flippten fast aus», sagt Hinterberger. Um sie herum waren Schnee und Eis und weit unten der in der Abendsonne golden schimmernde Pazifik.Hommage an verstorbene FreundeAls sie die Aussicht genossen, stach ihnen die Nordostwand des Cerro Cachet ins Auge. Der 2700 Meter hohe Berg wurde 1971 durch Neuseeländer erstbestiegen und in den vergangenen rund 50 Jahren nur ein weiteres Mal erklommen. Später sollte sich herausstellen, dass die Nordostwand bislang noch unbegangen war.Beim nächsten stabilen Wetterfenster starteten sie ihre Mission. Sie wollten die Ersten sein, die den Berg über diese Route erklimmen. Einen Namen brauchte dieser Berg nicht, dafür aber ihre entdeckte und erstmals erkletterte Route. Für Laien mag diese Namensgebung unspektakulärer scheinen als die Taufe eines Berges, doch für Hinterberger bedeutet die Benennung der Route viel mehr. Die drei haben sie nämlich auf den Namen «homenaje a los amigos perdidos» getauft, was «in Gedenken an verlorene Freunde» bedeutet. Gemeint sind der Berner Bergsteiger Ueli Steck (40), der am Mount Everest tödlich verunglückte, der Österreicher David Lama (28), der in Kanada bei einem Lawinenabgang ums Leben kam, und der Berner Julian Zanker (28), der an der Eigernordwand durch einen Sturz starb. «Wir haben während der Expedition oft an sie gedacht. Vor allem an Julian, der mit nach Patagonien kommen wollte, aber knapp ein Jahr zuvor verunglückte», sagt Hinterberger.Ganz abgeschlossen ist die Expedition noch nichtSeit Kurzem ist er zurück in Appenzell. Es dauere jeweils eine Weile, bis er wieder im Alltag ankomme. Ganz abgeschlossen ist die Expedition auch noch nicht: Die drei wollen ihre Informationen an andere Bergsteiger weitergeben, mehrere Bergsport-Zeitschriften hätten Interesse an einem Bericht angemeldet. Und dann ist da noch der Berg, den sie zum Abschluss ihrer Expedition erstbestiegen und getauft haben. Seinen Namen werden sie dem American Alpine Journal melden, damit er im Register der Erstbesteigungen eingetragen wird.

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