10.05.2022

«Da hat es mir den Hut gelupft»

Jetzt ist das Altstätter Museum «entprofessionalisiert». Der Clou dabei: Professionell war es noch gar nicht. Die entlassene Kuratorin denkt an einen Zug: Bevor er Fahrt aufgenommen habe, sei er gestoppt worden.

Von Gert Brudererer
aktualisiert am 02.11.2022
Ein kultureller Leuchtturm hätte das Altstätter Museum Prestegg werden sollen – mit dem Segen von Kanton, Stadt, Rheintaler Kulturstiftung, Museumsverein und Altstätter Stimmbürgerschaft. Tatsächlich wurde das Projekt ein Rohrkrepierer. Anfang Februar – gerade mal zwei Monate nach der Eröffnung der um- und ausgebauten Prestegg – erfuhr die Öffentlichkeit überraschend von der finanziell prekären Situation des Museums. Das Gebäude, hiess es, sei längerfristig nicht tragbar.Letzte Woche nun die nächste Überraschung: Der abgewählte ehemalige Präsident Werner Ritter kehrt zurück, «mit beratender Stimme»; er zog seine Abstimmungsbeschwerde zurück und händigt die im Streit zurückbehaltenen Museumsunterlagen aus. Die Ende April ausgeschiedene Kuratorin Caroline Schärli kommentiert das trocken: Die «angeblich gefundene Lösung zeigt die grosse Überforderung des Vorstands». Die Zusammenarbeit mit Werner Ritter im Vorstand habe nicht geklappt, was zur Trennung geführt habe; nun kehrt er zurück «und alles soll funktionieren?» fragt Caroline Schärli rhetorisch. Sich auf ein solches Experiment einzulassen, nach allem, was war, sei «ein No-Go». Anzumerken gilt es, dass der Vorstand praktisch neu gebildet wurde.Erstaunt über jähen RichtungswechselDer Verzicht auf einen fest angestellten Kurator oder eine Kuratorin bedeutet nach Ansicht der bisher beschäftigten Fachleute einen Rückfall in die Laienhaftigkeit. Der Kuratorin wurde gekündigt, seit Beginn des Monats ist sie nicht mehr da. Zu Ende ist eine siebenjährige Ära, in der zunächst Kurator Marcel Zünd (von Herbst 2015 bis Herbst 2019) und dann seine Nachfolgerin Caroline Schärli (April 2020 bis Ende April 2022) beruflich für Altstättens kulturelle Institution gewirkt und Aufbauarbeit geleistet haben.Was Schärli und Zünd verbindet, ist ihr Befremden über den panikartig vollzogenen Ruck, mit dem das jahrelange Bemühen um beständige Professionalität gestoppt wurde. Marcel Zünd, der mit seiner Altstätter Tätigkeit längst abgeschlossen und sich auch nie mehr zu den Vorgängen im Altstätter Museum geäussert hatte, kommentiert die vor drei Monaten beschlossene Kehrtwende so: «Da hat es mir den Hut gelupft.» Caroline Schärli sagt, bezogen auf das jähe Ende: «Mit mir sass nie jemand zusammen. Nie. Niemand.»Museum war früher ein defizitärer «Hobbybetrieb»Immerhin waren schon im vorletzten Jahrzehnt eingehende Überlegungen darüber angestellt worden, wie sich der damals defizitäre «Hobbybetrieb» Prestegg in ein professionell geführtes Haus verwandeln liesse. Dessen Potenzial wurde gewissenhaft untersucht, bis die Altstätter Bürgerschaft zum konzeptionell gestützten Um- und Ausbau der Prestegg in ein Zentrum für Geschichte und Kultur (im Juni 2018) klar Ja sagte.Die nun vollzogene Kehrtwende kann Aussenstehende zur Annahme verleiten, das Museum werde wieder das (inhaltlich) unscheinbare Museum von früher. Marcel Zünd und Caroline Schärli geben zu bedenken: Die schiere Grösse des erweiterten Hauses und seine riesige, ohne berufliche Kompetenz zwangsläufig vernachlässigte Sammlung verschlängen letztlich wohl mehr Geld, als die Prestegg als «Leuchtturm» kosten würde. Die bisher getätigten Investitionen stünden in keinem Verhältnis zum jetzt fehlenden Geld. Statt ernsthaft nach einer Lösung für die Probleme zu suchen, sei einfach vom klaren Konzept abgerückt und die «Entprofessionalisierung» beschlossen worden, zu der sich der Verband der Museen der Schweiz (VMS) eindringlich äussert. Zünd und Schärli meinen, anders als noch vor einem Jahrzehnt sei der Museumsvorstand «nicht mehr nahe bei der Sammlung». Dass künftig ein Kurator oder eine Kuratorin mit Teilpensum oder Fachleute projektbezogen auf Stundenbasis fürs Museum arbeiten sollen, hält Marcel Zünd für untauglich – nur schon, weil dies die «Entprofessionalisierung» festschreibe. In derartigen Arbeitsverhältnissen könne sich kaum die Identifikation mit der Institution entwickeln, die es für die Identität eines Museums unbedingt brauche – jedenfalls für eine so grosse Institution wie die Prestegg mit ihrer ausufernden Sammlung und dem riesigen Gebäude.Verband blickt «mit Sorge» nach AltstättenDer VMS schrieb dem Vorstand des Museumsvereins im März, die Neupositionierung werde «mit Sorge» zur Kenntnis genommen. Die ersatzlose Kündigung der zwei einzigen Musealen Fachpersonen (Caroline Schärli und Klaudia Barthelme, Anm. der Red.) birgt aus Sicht des VMS «ein Risiko für das kulturelle Erbe des Museums Prestegg und steht im Widerspruch zum Grundauftrag eines Museums, wie er in den Ethischen Richtlinien von ICOM festgehalten ist, und wozu sich das Museum Prestegg als VMW-Mitglied verpflichtet hat». (ICOM ist der internationale Museumsrat.) Marcel Zünd erinnert ebenfalls an die «verbindlich definierten Standards» des Museums. Dieses habe die «Grundleistungen» Sammeln, Bewahren, Erforschen und Vermitteln zu erbringen. Jede dieser Leistungen sei komplex und aufwendig. Das Ausstellen sei bloss das Schaufenster, die Kür sozusagen. Die eigentliche Museumsarbeit geschehe hinter den Kulissen.«Anspruch müsste eingefordert werden»Obschon die Prestegg – gemäss eigenem klaren Bekenntnis – ein professionell geführtes Museum werden sollte, erlebten Caroline Schärli und Marcel Zünd immer wieder einen Mangel an Respekt gegenüber fachkundigem Wirken, mitunter gar «eine gewisse Angst vor zu viel Professionalität», wie Caroline Schärli sagt. Konfliktpotenzial steckte allein schon im Nebeneinander von ehrenamtlich tätigen Laien und für ihre Arbeit bezahlten Profis.Verschärfend dürfte gewirkt haben, dass (wie in vielen Kulturinstitutionen) die ausgebildeten Berufsleute einem Laiengremium unterstellt waren. So erlebte Marcel Zünd die Verlegung der umfangreichen Museumssammlung an einen neuen Ort als Hauruckübung und nicht als die sorgfältige Einlagerung, als die er sich die Züglete gewünscht hätte.Mit Blick auf die vom ehemaligen Präsidenten Werner Ritter im letzten Herbst erhobene Abstimmungsbeschwerde erinnert Marcel Zünd an den klar professionellen Anspruch des Museums, der ein integraler Bestandteil der Abstimmungsvorlage gewesen sei. Dieser (nun fahrlässig aufgegebene) Anspruch sei es, der im Grunde einzufordern wäre. Um die Prestegg professionell zu führen, müssten mindestens 200 Stellenprozent zur Verfügung stehen, meint der frühere Kurator, die Studie von «Rath & Winkler» aus dem Jahr 2012 habe sogar 340 Stellenprozent vorgeschlagen.«Mitzuhalten setzt gewissen Anspruch voraus»Der Verband der Museen der Schweiz sieht in vernachlässigten Sammlungen ein Sicherheitsrisiko und fragt: «Wie lässt sich beispielsweise feststellen, dass Sammlungsobjekte nicht korrekt bewahrt werden oder sogar verloren gehen, wenn Kenntnis über Bestand und fortlaufende Pflege (Inventarisierung, Konservierung, Erforschung und Aufwertung der Sammlung) nicht sichergestellt werden?»Ein Ziel des Altstätter Museums war ursprünglich auch ein intensiver Kontakt zu anderen regional bedeutenden Museen, etwa jenen im Vorarlberg. «Für ein Haus mit Anspruch eine Selbstverständlichkeit», meint Marcel Zünd, Kollegin Schärli sagt es so: «Mit anderen mitzuhalten, setzt einen gewissen Anspruch voraus.» Die Krux des Altstätter Museums und sein Scheitern als ernst zu nehmendes Haus bringt die entlassene Kuratorin so auf den Punkt: Die in diesem Jahr durchgeführten «Remisengespräche» (zum Beispiel darüber, was ein Museum sammelt) «fanden in einem Umfeld statt, das nicht verstand, worum es geht». Das Lächeln Marcel Zünds verrät seine Gedanken: Ironischer geht es wohl nicht.

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