Der 31-jährige Alexander Frei, besser bekannt als Crimer, ist ein in Balgach aufgewachsener Solomusiker. Sein Album «Leave Me Baby» schaffte es in den Schweizer Charts bis auf Platz 2. Auch Crimers Single «Brotherlove» erreichte die Hitparade.
Er schrieb zudem die Titelmusik zum Schweizer Film «Wolkenbruch» («First Dance»). 2018 wurde Crimer an den Swiss Music Awards als «Best Talent» ausgezeichnet. 2020 schaffte es sein letzter Radioerfolg («Eyes Off Me») in die Airplaycharts. Am 9. April kommt Crimers Song «Home Alone» heraus – als Vorbote seine Albums «Fake Nails». Alexander Frei ist verheiratet und wohnt in Zürich.
Wie hast du als Musiker die erste Corona Welle erlebt?
Crimer: Ich hatte im März und April 2020 einige Konzerte geplant, diese wurden im ersten Lockdown natürlich abgesagt. Ich fand das megaschade, sah aber den Sinn dahinter und dachte, wie wohl viele, die Pandemie sei eine zeitlich beschränkte Sache.
Wann hast du gemerkt, dass uns die Pandemie wohl noch länger verfolgt?
Erst mit der Zeit wurde das deutlich. Die zweite Phase des Lockdowns war für mich noch verwirrender: Einerseits kamen wieder Buchungen für Konzerte rein, andererseits folgten weitere Absagen. Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen: Festivals, die auf ein Massenpublikum ausgerichtet sind, konnten nicht stattfinden. Kleinere Veranstalter aber, die schnell etwas auf die Beine stellten und auch mit weniger Zuschauerinnen und Zuschauern durchkommen, organisierten Konzerte. Streaming, die digitale Übertragung der Musik, wurde zum Thema.
Hast du auch vermehrt gestreamt?
Mit Streamen unternahm ich einen Versuch, über «20 Minuten» machte ich eine Karaoke- Session mit. Man konnte bei mir Lieder wünschen. Es gab auch Lustiges bei diesem Format: Jemand wünschte bei schönstem Frühlingswetter den Song «Last Christmas». Meine Erfahrung war aber, wie ich befürchtet hatte: Man hockt vor dem Handy, singt zu Hause sitzend in den Bildschirm hinein – es war befremdend, weil keine Stimmung aufkommt, es hat nichts mit einem Konzert zu tun. Die Zuschauerinnen und Zuschauer fühlen wohl dasselbe.
Musik ist ohnehin jederzeit verfügbar...
So ist es, das Spiel zwischen Künstler und Publikum bietet nur ein Konzert. Dazu kommen beim Streamen qualitative Bedenken. Ich habe in diesem Format keine Kontrolle darüber, in welcher Qualität die Musik bei den Hörerinnen und Hörern ankommt – worauf ich bei Auftritten viel Wert lege.Auch das Tonstudio war zu Beginn tabu. Was machten Sie künstlerisch? Im Studio war ich seit über einem Jahr nicht mehr.
Mein Glück war, dass wir im Januar und Februar viele neue Songs eingespielt hatten. Normalerweise dauert es dann ein halbes oder ein ganzes Jahr, bis die Lieder fertig abgemischt sind und ich damit rausgehe. Dank den neuen Songs hatte ich einige Pfeile im Köcher. Und ich konnte den Fokus auf den einzelnen Songs legen, was vor der Pandemie weniger möglich war. Damals ging ich auf Tour, wenn ich neue Songs hatte. Jetzt probiere ich mehr aus mit Videos und auch social-media- strategisch. Die neuen Songs bringe ich ungefähr im Zwei-Monate-Turnus heraus, zuletzt «I Want You To Know». Ich denke nicht mehr: Oh, ist der Titel jetzt verbraten? Wenn ich einen neuen Song herausgebe, bin ich wieder präsent – das ist für einen Künstler wichtig. Das ist besser als mit aus den Fingern gesaugten «Super-Ideen» gegen das Vergessenwerden anzukämpfen. Solche «Filmli» können sehr schnell sehr unauthentisch wirken – etwa ein Video, wie man daheim einen Apfelkuchen backt.
Mein Glück war, dass wir vor der Pandemie neue Songs einspielten. So habe ich ein paar Pfeile im Köcher.
Und was passiert bei dir, bis das Kulturleben wieder voll anläuft?
Im Sommer habe ich mit meiner Band einige wenige Konzerte gegeben. Etwa am Kulturfestival in St. Gallen, im Salzhaus in Winterthur oder in Lausanne am «Music Suisse». Das waren sehr schöne Erfahrungen. Es waren höchstens sechs Konzerte vor 300 oder 400 Zuschauern, aber der künstlerischen Seele hat es sehr gutgetan, nach der langen Durststrecke endlich wieder auf die Bühne zu gehen.Wenn die Highlights rar sind, wird sonst Alltägliches zum Highlight. Ich lernte wieder zu schätzen, was es mir bedeutet, vor Publikum statt im stillen Kämmerlein zu spielen, die Emotionen aufzusaugen, die zwischen Künstler und Fans entstehen.
Vorher ging dieser Aspekt oft unter. Wenn man im Alltag ist, sieht man oft nur die Arbeit und den ganzen Aufwand, den es braucht, um auftreten zu können. Auch das Zusammensein mit den anderen Bandmitgliedern bekam eine grössere Bedeutung. Diese Einstellung nehme ich mit in eine allfällige Zeit nach den Einschränkungen. Beim Publikum fühlte ich, dass es empfand wie ich: Die Menschen waren durstig nach Ekstase. Gleichzeitig stiegen die Corona-Fallzahlen.
Ist das kein Widerspruch?
Ich fragte mich: Soll ich absagen, um ein Zeichen zu setzen? Als wir in Lausanne auftraten, explodierten die Fallzahlen in der Westschweiz. In der Stadt war an diesem Wochenende alles geschlossen, nur das Festival fand statt. Allerdings waren die Schutzmassnahmen sehr streng und es hat auf allen unseren Konzerten keinen grossen Corona-Ausbruch gegeben. Ich habe entschieden, mich an die Regeln zu halten und dass es nicht nötig ist, eigene Regeln aufzustellen.
Im Herbst wurden die Regeln dann wieder verschärft. Ich verbrachte viel Zeit zu Hause. Ich ging oft joggen mit einem Kollegen, habe auf diese Weise Zürich besser kennen gelernt als in den letzten acht, neun Jahren, in denen ich dort wohne. Auch die Besuche bei den Eltern im Rheintal habe ich genossen, dort spürte ich die Weite, die es in der Stadt weniger gibt. Allerdings hatte ich im Frühling mehr dieser Momente als im Herbst, das hat auch mit dem Wetter zu tun. Aber ich achte immer noch darauf, dass ich hinausgehe.
Kam so die Kreativität, die ein Songwriter benötigt?
Eher nicht, damit hatte und habe ich Mühe. Ich war nicht sehr produktiv im letzten Jahr, obschon ich mehr Zeit gehabt hätte. Den Künstlerinnen und Künstlern in meinem Umfeld geht es ähnlich, niemand sagt: «Wow, ich habe 30 neue Songs geschrieben!» Der Austausch mit anderen Menschen fehlt eindeutig, um Ideen für neue Songs zu sammeln.
Wie funktioniert der Austausch mit der Band?
Als Solokünstler habe ich kein ausgeprägtes Bandfeeling, das (auch persönliche) Zusammenspiel ist aber wichtig. Ich habe einen neuen Keyboarder, das Kennenlernen war wichtig. Wir haben Rituale eingeführt in Form von regelmässigen Video-Calls, in denen wir einander von unserem Alltag erzählen. Weil wir noch nie zusammenspielten, war ich dennoch unsicher, ob es klappt. Die Konzerte im Sommer zeigten aber: Es funktioniert einwandfrei.
Jetzt werden wieder Festivals abgesagt, ist das nicht zermürbend?
Nach dieser langen Zeit der Pandemie betrüben mich die Massnahmen zwar, aber sie überraschen mich nicht mehr: Hat denn tatsächlich jemand geglaubt, dass im Sommer Festivals mit 30 000 Zuschauer stattfinden? Momentan ist die Situation wieder wie im letzten Frühling: Einerseits kommen Absagen, andererseits wieder neue Anfragen für Gigs.
Nach langer Zeit im Null-Modus müssen wir nicht gleich im 150'000-Modus auf die Bühne stürmen.
Im nächsten Winter haben wir dann eine kleine Tour geplant, das erste Konzert sollte am 12. November im Palace in St. Gallen stattfinden. Ob die Konzerte durchgeführt werden, ist natürlich noch ungewiss. Aber wir – die Bandmitglieder und ich – haben etwas, auf das wir uns freuen können, auch etwas zum Vorbereiten. Das gibt einen moralischen Boost. Selbst wenn diese Konzerte ausfallen, würde wohl keine Welt untergehen. Nur schon die Tatsache, dass wir wieder gebucht werden, tut der Künstlerseele gut. Denn man fragt sich schon: Hält man als Künstler meiner Grösse noch einen Hebel in der Hand, um überhaupt wieder auftreten zu können? Oder bin ich zu klein, um nach einem Jahr Pandemie noch wahrgenommen werden?
Was gibt dir Hoffnung, dass die Tour im Winter stattfinden kann?
Meine Konzerte funktionieren auch vor weniger Zuschauern, die Clubs, in denen wir spielen wollen, werden im Rahmen des Möglichen wieder öffnen. Und ich hoffe auch, dass wir mit den Impfungen in der Schweiz endlich gut vorankommen, das sollte die Situation entspannen. Wenn es weitergeht, ist es wichtig, die Erwartungen nicht hochzuschrauben. Auch die Zuschauerinnen und Zuschauer möchten wohl nicht, dass wir auf die Bühne springen und nach langer Zeit im Null-Modus im 150'000-Modus loslegen. Das bedeutet natürlich nicht, schlecht zu spielen, sondern einfach, realistisch zu sein. Sonst macht man sich keinen Gefallen, das wird auch in anderen Branchen ähnlich sein, wenn der Betrieb hochgefahren wird.
Wie geht es dir zwischenzeitlich finanziell?
Die Situation ist auch in dieser Hinsicht belastend. Nur schon deshalb wäre es wichtig, dass im Sommer Konzerte stattfinden und die Tour im Winter durchgeführt werden kann. Man kann alles verschieben, aber irgendwann ist Ende Gelände. Das ist ein Riesenthema im ganzen Kulturbetrieb. Ich bedaure, dass die Kunst hintangestellt wird, weil sie nicht zur Lösung des Problems beiträgt. Andererseits wird Musik und Film dennoch täglich von allen konsumiert.
Ich höre auch oft von vielen Menschen: «Dieser Song hilft mir in dieser schweren Zeit.» Kultur ist ein wichtiger Faktor unserer Gesellschaft, erhält aber im Moment dieses Gewicht nicht. Die Gründe dafür sind erklärbar, aber es stimmt mich traurig. Ich fragte früher nie nach dem Sinn meines Tuns, jetzt bin ich gegen diese Gedanken nicht mehr immun: Da muss ich mich manchmal aus dem Loch reissen, dabei tut es gut, von Menschen zu hören, wie sehr sie Konzerte vermissen.