Ruedi Gasser, der im oberen Rheintal die Jugend- und Schulsozialarbeit leitet, war nach der Einführung des Fernunterrichts bald einmal überrascht, dass die Beratungstätigkeit nicht ab-, sondern zunahm, vor allem auf Primarschulstufe. In ungefähr zwei Dutzend Fällen habe die Schulsozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen zu tun gehabt, die schulisch den Anschluss zu verlieren drohten, aber auch viele andere Schwierigkeiten hätten zum Einbezug der Jugend- bzw. Schulsozialarbeit geführt. So sei es etwa mehrfach vorgekommen, dass sich Schülerinnen und Schüler, die in Teams hätten arbeiten sollen, nicht altersgerechte Filme ansahen und diese verbreiteten. Jeweils den Ursprung zu ermitteln, den Vorfall aufzuarbeiten und zusammen mit den Eltern einer Wiederholung vorzubeugen, war eine der Aufgaben der Schulsozialarbeit.Das Schnuppern ist zurzeit nicht möglichGenerell sei eine verbreitete Unsicherheit feststellbar gewesen, Emotionen hätten sich innerhalb von Familien verstärkt und seien beispielsweise als Gereiztheit zu Tage getreten. Gründe sind viele vorstellbar. Plötzlich war man permanent im gleichen Haus, in der gleichen Wohnung zusammen, teils auf engem Raum, es gab keine gewohnten Strukturen mehr, der Austausch unter Kollegen war stark eingeschränkt, das Vereinsleben abrupt gestoppt.Nicht wenige Eltern waren oder sind von Kurzarbeit betroffen, manche verloren den Job. Die Jugend- und Schulsozialarbeit im oberen Rheintal bekam all dies auch so zu spüren: Statt der wöchentlich zwei, drei Anfragen von Erwachsenen, die eine berufliche Umorientierung erwägen und im Sozialbereich schnuppern wollen, seien es plötzlich doppelt so viele gewesen, sagt Gasser. Doch gerade solche Wünsche haben es zurzeit besonders schwer; den Jugendlichen aus der Oberstufe ist das Schnuppern sowieso nicht möglich, was ihnen bei der Berufswahl zum Nachteil gereicht.Jugendliche kauften für ältere Menschen einDie offene Jugendarbeit versuchte, die Jugendlichen online – via Instagram und Facebook – auf sinnvolle Weise bei Laune zu halten und gab über zwei Dutzend «Tipps gegen fade Tage». Inputs gab auch das Jugendnetzwerk Mittelrheintal. Dass die Tipps beachtet wurden, schliesst Ruedi Gasser aus verschiedenen Rückfragen zu Einzelheiten.Eine Besonderheit war die für Altstätten organisierte Einkaufshilfe. Vom 23. März bis 8. Mai besorgten etwa 30 Jugendliche an 20 Einkaufstagen 190 Einkäufe für 43 Seniorenhaushalte. Dieses Projekt war in Absprache mit der Stadt und mit Pro Senectute zusammen mit Jungwacht und Blauring lanciert worden. Beim kantonalen Jugendprojektwettbewerb wurde die Initiative mit dem vierten Rang gewürdigt.Der in Diepoldsau tätige Yves Munz sagt, auf die Schulsozialarbeit habe sich die Pandemie vor den Sommerferien spürbar auszuwirken begonnen. Munz leitet bei den Sozialen Diensten Mittelrheintal den Bereich Schulsozialarbeit und wirkt in Diepoldsau als Schulsozialarbeiter sowie beim Sozialamt als Leiter der niederschwelligen Familienbegleitung.Während des ersten Lockdowns hätten wegen des Homeschoolings vor allem die Lehrerinnen und Lehrer in engem Kontakt zu den Schülern gestanden, das habe sich durch die physische Abwesenheit der Schülerinnen und Schüler zwangsläufig so ergeben. Die Schulsozialarbeit hat sich in dieser Zeit mit direkten Anfragen von Eltern beschäftigt und vorwiegend die Lehrkräfte in ihrer Funktion als Bezugsperson beratend unterstützt. Die Dienste der Schulsozialarbeit seien vor allem gefragt gewesen, als die Kinder und Jugendlichen aus dem ersten Lockdown in den gewohnten Schulalltag zurückzukehren hatten. Plötzlich sei es darum gegangen, sich in die bekannten Strukturen zu fügen, wieder pünktlich zum Unterricht zu erscheinen und zeitgerecht Hausaufgaben zu erledigen.Dass manche sich schwertaten, hat mehrere Gründe. Es gab Kinder, die innerhalb ihrer Familie neue Aufgaben übernommen und sich zum Beispiel vermehrt um jüngere Geschwister gekümmert hatten. Andere kämpften mit Motivationsproblemen, und in Einzelfällen musste die Schulsozialarbeit (wie im oberen Rheintal) sogar häusliche Gewalt zur Kenntnis nehmen – dies vor allem in jüngster Zeit, vor Weihnachten. Das hat nach Einschätzung von Yves Munz auch damit zu tun, dass häusliche Gewalt oft erst nach einer gewissen Zeit auch ausserhalb der Familie wahrnehmbar ist.Vielen «fiel die Decke auf den Kopf»Auch Konflikte unter Schülern seien angesichts der besonderen Umstände vermehrt vorgekommen. Vielen «fiel die Decke auf den Kopf»; die Möglichkeit, Sport zu treiben, war stark eingeschränkt, und die zum Beispiel in Diepoldsau sehr rege Vereinstätigkeit habe in normalen Zeiten eine «nicht zu unterschätzende Bedeutung» für ein gedeihliches Zusammenleben.Nicht nur die Schülerschaft, auch die Mitarbeitenden der Schulsozialarbeit waren in der ersten Lockdownphase vorübergehend im Homeoffice tätig und kamen so teilweise zu Minusstunden. Ihr Arbeitsaufwand erhöhte sich danach jedoch erheblich und bewegte sich schliesslich, mit Blick aufs ganze Jahr, im üblichen Rahmen.