25.06.2021

Coltene will einen Zahn zulegen

Nach der pandemiebedingten Delle geht es beim Altstätter Dentaltechnikunternehmen wieder aufwärts.

Von Thomas Griesser Kym
aktualisiert am 03.11.2022
Sie sitzen bei Ihrer Zahnärztin im Behandlungsstuhl. Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum die Lampe über Ihrem Gesicht orange leuchtet? Aus dem gleichen Grund, aus dem auch in jenen Räumen der Coltene in Altstätten LED-Lampen mit orangem oder rotem Licht installiert sind, in denen Komposit (Füllmaterial für Zähne) hergestellt wird. Dieses Licht verhindert, dass die Masse vorzeitig aushärtet.Die börsenkotierte Coltene produziert Verbrauchsmaterialien und Kleingeräte für Zahnarztpraxen. Am Investorentag hat das Unternehmen gestern Einblick gewährt in seine Strategie und den Geschäftsgang. Vergangenes Jahr rutschte der Umsatz von 263 auf 248 Millionen Franken zurück. Das war vor allem der Pandemie geschuldet. In vielen Ländern waren Zahnarztpraxen temporär geschlossen, und wo sie offen waren, bedienten sie häufig weniger Patienten, weil sich viele Leute lieber zuhause einigelten.Dabei zählen Zahnarztpraxen zu den hygienischsten Einrichtungen. Und die Hygiene wurde in der Pandemie noch verstärkt. So konnte Coltene im Segment Infektionskontrolle die Verkäufe von Reinigungstüchern und -geräten für Zahnärztinnen deutlich steigern – was jedoch die Einbussen mit Bohrern, Feilen, Füllmaterial usw. in den Segmenten Zahnerhaltung und Behandlungshilfen nicht aufwog.Coltene verschmäht das MassengeschäftMittlerweile aber hat das Geschäft auf breiter Front wieder angezogen. Coltene-Chef Martin Schaufelberger beobachtet, dass die Händler und Zahnärzte ihre Lager wieder auffüllen. Für das erste Halbjahr 2021 rechnet er mit 140 bis 145 Millionen Franken Umsatz – deutlich mehr als in der Vorjahresperiode (104 Millionen) und auch mehr als im ersten Semester 2019 (129 Millionen). Für das ganze Jahr geht er von 270 bis 280 Millionen Franken aus und einer operativen Marge von über 15 Prozent.Dank mehrerer Übernahmen in den vergangenen Jahren – die kanadische SciCan, die französische Micro-Mega und die liechtensteinische Kendra – ist Coltene mittlerweile global aufgestellt. Den Weltmarkt teilen sich indessen viele Firmen. Schaufelberger beziffert den für Coltene massgeblichen Markt auf ein Volumen von 5,8 Milliarden Franken und ein jährliches Wachstumspotenzial von 2 bis 3 Prozent. An diesem Kuchen partizipiert Coltene mit rund 5 Prozent, hat aber die Ambition, rascher zu wachsen. Das soll gelingen, indem man – anders als Grosskonzerne wie etwa 3M – das Massengeschäft links liegen lässt und sich auf Nischen konzentriert und diese dann allmählich zu grösseren Geschäften entwickelt. Ein Beispiel: In der Endodontie, für die Coltene Instrumente für Wurzelkanal­behandlungen herstellt, reklamiert das Unternehmen «ein paar Prozent» Weltmarktanteil für sich. Bei den Feilen allein sei der Anteil «etwas grösser», und «bei Nickel-Titan-Feilen sind wir Marktführer».Digitalisierung stärkt Kontakt zu ZahnärztinnenColtene verfügt über fünf Produktionsstandorte, von denen jeder seine eigenen Kernkompetenzen hat. Am Hauptsitz in Altstätten etwa ist das chemische Wissen gebündelt. Hier entwickelt und produziert Coltene Materialien für die Restauration und Abformung sowie rotierende Instrumente wie Bohrer, Feilen und Polierer. Das Werk in Toronto wiederum ist auf Infektionskontrolle spezialisiert. Weitere Standorte sind Langenau bei Ulm, Besançon und Cuyahoga Falls in Ohio. Die Forschung & Entwicklung, für die Coltene insgesamt 4 Prozent des Jahresumsatzes ausgibt, ist ebenfalls dezentral am jeweiligen Produktionsstandort angesiedelt. «So stellen wir sicher, dass die Forschung & Entwicklung mit dem Qualitätsmanagement, der Fertigung und dem Marketing am Ort interagiert», erklärt Forschungschef Martin Schlüter.Dabei ist Coltene bemüht, Innovationsprozesse und Qualitätssysteme möglichst stark zu standardisieren und zu homo­genisieren. «Das erleichtert die Zulassung und die Marktein­führung neuer Produkte», sagt Schlüter. Von Nutzen ist dabei die Digitalisierung. Diese vereinfacht auch den direkten Kontakt zu den Endkunden, also den Zahnärztinnen. Ebenso hat die Digitalisierung bei den Produkten Einzug gehalten, etwa in der Endodontie, in der ein System mit vollautomatischen, elektronisch gesteuerten Endomotoren die Zahnärztin bei komplizierten Wurzelkanalbehandlungen unterstützt. Schlüter rät, den ei­genen Zähnen Sorge zu tragen und sagt: «Wir wollen den Zahn erhalten. Es gibt nichts Besseres als den natürlichen Zahn im Mund. Alles andere ist Behelf.»Für künstliche Zähne ein Sprung über den RheinGeografisch will Coltene seine starke Marktstellung in Nordamerika, wo man die Hälfte des Umsatzes erwirtschaftet, und in Europa (ein Drittel) festigen. In China und Japan – Asien trägt bisher 11 Prozent zum Umsatz bei – will Coltene die Verkäufe vorantreiben. In diesen beiden Ländern seien sowohl das Qualitätsbewusstsein als auch die Kaufkraft höher als etwa in Indien, sagt Schaufelberger. Das sei wichtig, «denn wir sind nicht der billigste Anbieter». Einen namhaften Konkurrenten hat Coltene gleich vor der Tür: Ivoclar Vivadent in Liechtenstein. Wie beurteilt Schaufelberger diesen Mitbewerber? «Die Überschneidungen sind nicht allzu gross», sagt der Coltene-Chef. Ivoclar sei stark bei Labors, künstlichen Zähnen und Schleifmaschinen. Auf der anderen Seite sei Ivoclar weder in der Endodontie noch der Infektionskontrolle aktiv. «Dafür sind sie in der Restauration deutlich grösser als wir.» Mit anderen Worten: Die beiden Firmen haben gut nebeneinander Platz. Und kommen offenbar gut miteinander aus. Schaufelberger: «Wir pflegen auch da und dort eine Zusammenarbeit und helfen uns manchmal gegenseitig aus.» Und: «Ivoclar kann ich besser einschätzen als irgendeinen Mitbewerber in China.»Während der Pandemie gab es auch bei Coltene zeitweise Kurzarbeit, einen Einstellungsstopp, und temporäre Arbeitskräfte wurden abgebaut. Das hat die Zahl der Beschäftigten auf 1200 reduziert. Doch nun hat der Trend gekehrt, und Schaufelberger sagt: «Wir sind bereit für organisches Wachstum.»

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