03.10.2018

Coiffeur-Besuch für 20 Franken

Ein Haarschnitt für 20 Franken? Jedenfalls die Männer kennen diesen verlockenden Preis. In jüngster Zeit sind mancherorts Herrensalons eröffnet worden, die herkömmliche Preise deutlich unterbieten. Doch halten sie, was sie versprechen?

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererEin klares Ja gilt der Schonung des Portemonnaies. Aber stimmt auch die Leistung? Und handelt es sich bei den Tiefpreisen um einen Vorzug auf Dauer? Oder gefährden Angebote wie ein Haarschnitt für 20 Franken womöglich den Fortbestand des Salons?In Altstätten hat Mado im Mai seinen Salon im Städtli eröffnet. Der Syrer lebt seit vier Jahren in der Schweiz und hatte zuletzt während acht Monaten als Angestellter in einem Coiffeursalon in Rorschach gearbeitet. Den Beruf erlernte er in seiner Heimat, wo er acht Jahre als Coiffeur tätig war.Er sagt selbst sofort: «Na­türlich ist die Ausbildung in Syrien nicht mit einer Lehre in der Schweiz vergleichbar.» Doch offenbar versteht Mado sein Handwerk. Im Internet schreibt Thomas Inauen, er sei «sehr freundlich» bedient worden, das «Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt voll und ganz»; Mado bekommt fünf von fünf Sternen.Positives Urteil nach SpontanbesuchThomas Inauen bestätigt am Telefon, er sei tatsächlich sehr zufrieden, und dies, obschon er ein sehr anspruchsvoller Kunde sei. Auch seine Freundin, fügt er hinzu, sei über den Haarschnitt glücklich gewesen.Inauen, der in der IT-Branche arbeitet, erfreute den Coiffeur mit einem satten Trinkgeld und half ihm darüber hinaus, ein Fernsehgerät betriebsbereit einzurichten. Aus eigenem Antrieb eröffnete er sodann bei Google einen Standort-Eintrag für den Syrer und nahm den erwähnten positiven Eintrag vor.Diese Unterstützung ist umso liebenswürdiger, als eine Kollegin von Inauens Freundin ebenfalls einen Coiffeursalon betreibt und Mado insofern ein Konkurrent ist. Thomas Inauen hatte sich spontan von Mado bedienen lassen, weil der neue Salon der Kollegin noch nicht eingerichtet war und er deshalb ausnahmsweise einen anderen Coiffeur berücksichtigte. Gäbe es die persönliche Beziehung zu einer Coiffeuse nicht, könnte er sich gut vorstellen, sich künftig regelmässig vom Syrer die Haare schneiden zu lassen.Mado, der Männer und Kinder bedient, sagt, die Zahl seiner Kunden steige von Monat zu Monat. Die meisten wollten nicht nur einen Haarschnitt, sondern kämen zudem wegen des Barts, was den Umsatz auf 35 Franken erhöht. Der Syrer sagt, 15 bis 20 Kunden pro Tag sollten es mindestens sein, dann laufe der Laden gut.Mauro Tiberi, in St. Gallen tätiger Präsident von Coiffure Suisse Kanton St. Gallen, sagt über Haarschnitte für 20 Franken: «Wenn jemand mit einem so tiefen Preis Erfolg hat, okay, dann soll er es machen.» Der kantonale Verbandspräsident, der als Schwarzgurtträger regelmässig in Altstätten Karate unterrichtet, hat als Kenner des Markts eine Erfahrung gemacht, die ihn über Salons mit Billigpreisen sogar sagen lässt: «Ich muss leider zugeben, dass sie gut sind.» Tiberi weist aber auch darauf hin, dass in seiner Branche nicht mit gleichen Ellen gemessen werde. So rechnet etwa ein Einmannbetrieb in der Regel keine Mehrwertsteuer ab.Unter den Billiganbietern war sogar einer von Tiberis ehemaligen Lehrlingen. Der eröffnete in der Stadt St. Gallen in einem ganz kleinen Lokal ein Geschäft, schnitt Herren für 25 Franken die Haare – und der Laden sei so gut gelaufen, dass sich investieren liess, dies aber mit der Konsequenz, dass jetzt ein Haarschnitt 45 Franken koste.«Ein Stück Heimat» im CoiffeursalonTiberi weiss: Eingewanderte haben Kunden aus ihrem Kulturkreis, sie «bringen ein Stück Heimat in den Salon», dieser sei wie ein Vereinslokal.Das könne Integrationsbemühungen zuwiderlaufen, sagt Tiberi, der sich am Kantonsgericht in der Schlichtungsstelle für Arbeitsverhältnisse engagiert und von jedem selbstständig erwerbstätigen Berufsmann und jeder Berufsfrau genaue Kenntnis des geltenden Arbeitsrechts sowie dessen Einhaltung erwartet. Wer in die Kalkulation des eigenen Salons auch wirklich alle Kosten einbeziehe, werde bei einem Preis von 20 Franken für einen Herrenhaarschnitt finanziell sicher gefordert sein, gibt Tiberi zu verstehen – und fügt an: «Ein guter Coiffeur ist auch ein Freund, der nicht nur die Haare schneidet, sondern dem auch die seelische Schönheit des Kunden am Herzen liegt.»In Altstätten ist noch ein zweiter Salon mit einem Haarschnittpreis von 20 Franken für Herren und Kinder tätig: «For Men Friseur» an der Marktgasse. Dieses Geschäft gibt es im fünften Jahr. Das zeigt: Auch 20-Franken-Schnitte schliessen den Erfolg nicht aus.

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