08.07.2022

Carolin Krumm die Haustür öffnen

Wer Carolin Krumm ins Haus lässt, leistet damit vielleicht einen Beitrag zur Altstätter (und Oberrheintaler) Geschichtsschreibung.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 02.11.2022
Carolin Krumm arbeitet zwar für die Denkmalpflege, was abschrecken kann. Ihr derzeit grosser Wunsch, in viele Häuser eingelassen zu werden, hat aber nichts mit neuer Bevormundung zu tun, wie sich befürchten liesse. Es geht nicht um drohende Schutzvorschriften, sondern um ein neues Buch. Im Vordergrund stehen zwar Kunstdenkmäler des oberen Rheintals, doch es geht um sehr viel mehr – nämlich darum, die Region von Rebstein bis Rüthi «auf die kunsthistorische Landkarte zu setzen».Gesagt hat das am Donnerstagabend Moritz Flury, der stellvertretende Leiter der kantonalen Denkmalpflege. Flury und Kollegin Krumm sprachen im Diogenes-Theater vor ungefähr dreissig Interessierten über ein Projekt, das zwar sehr spannend, aber so trocken betitelt ist, dass ein Journalist das Wort nur widerwillig nennt: Kunstdenkmälerinventarisation.«Darf ich ins Haus, sag ich ‹wunderbar›»Konkret werden jahrhundertealte Akten aus Altstättens Stadtarchiv (so gut es geht) durchforstet und die Beschaffenheit historischer Bausubstanz begutachtet und analysiert. Das Ergebnis soll im November 2029 als 500 Seiten starkes Buch erscheinen (und digital allen kostenlos zugänglich sein). Mit dem Projekt ist auch ein literarischer Anspruch verbunden.Die anschauliche Darstellung akribisch zusammengetragenen Wissens ist ebenso das Ziel wie die Erschliessung kulturgeschichtlicher Zusammenhänge. Weil Stadtgeschichte nicht nur an der Hülle von Gebäuden ablesbar ist, hofft Carolin Krumm auf die Bereitschaft von Hauseigentümerinnen und Hauseigentümern (z. B. im Städtli), sie einzulassen.[caption_left: Carolin Krumm hofft, viele Details im Innern der Häuser zu sehen. Bild: Jürg Zürcher ]«Darf ich rein, sag ich ‹wunderbar›, schau mich um, höre mir an, was die Menschen erzählen und bin dankbar für vielleicht vorhandene Fotos oder schriftliches Material.»Ein kleines Medaillon kann hilfreich seinWie wichtig Reden ist, verdeutlichte Carolin Krumm ausgehend von der Frage: «Weiss jemand, wo die alte Ziegelhütte stand?» Der eine sage, sie sei hier gewesen, jemand anderer meint etwas anderes. Viele Hinweise kommen in ihrer Summe der Realität immer näher. Beispiel Ziegelhütte: Es gab nicht nur eine; im Laufe der Zeit stand sie an mehreren Orten.Der Möglichkeit, «die kleinen Details im Innern der Gebäude nicht zu sehen», gilt Carolin Krumms grosse Sorge. Denn das Innere sei ebenfalls sehr hilfreich, um die Stadtgeschichte zu ergründen. In Marbach war ein kleines Deckenmedaillon sehr aufschlussreich. Wie wertvoll der Blick in die Häuser ist, hat sich speziell im Werdenberg gezeigt, wo die Forschenden mit ein paar Schritten abwärts «das richtige Mittelalter» erreichten und imposante Gewölbegänge betraten.Ein Turm liess sie herausfinden, dass er schon vor dem Bau der Stadtmauer bestanden hatte. Die Vorstellung, die vorher geherrscht hatte, war somit zu ändern. Carolin Krumm bemerkte: «Jedes Haus, zu dem die Tür geöffnet wird, hilft, Geschichte zu schreiben.»Über 140 vergleichbare Werke liegen schon vorDas Buch über Kulturdenkmäler des Werdenbergs ist 2020 erschienen. Wie jenes Werk, ist das Buch über das obere Rheintal (mit Altstätten im Zentrum) als Teil einer Grossanstrengung, sogar eines Mehrgenerationenprojektes, zu sehen. Es läuft seit 95 Jahren, landesweit. Seit 1927 der erste Kunstdenkmäler-Band über Unterwalden erschien, sind über 140 vergleichbare Werke entstanden. St. Gallen war bei den Pionierkantonen, hinkte schliesslich aber hintennach und hat nun Nachholbedarf. Nach dem Band über das obere Rheintal sollen das mittlere und das untere Rheintal mit einem nächsten Buch zum Zuge kommen.Obwohl es sich im Grunde um Geschenke des Kantons für die berücksichtigten Regionen handelt, sind die wissenschaftlich arbeitenden Teams sehr dankbar für die Unterstützung durch die Städte und Gemeinden. Am Altstätter Info-Anlass ermunterte Stadtpräsident Ruedi Mattle die Bevölkerung zur Mithilfe und belustigte das Publikum mit seiner Schlussbemerkung «Wer d’Carolin Krumm no zähmol wött gseh, cha sich jetz grad bi ihre melde.»

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.