29.03.2021

Buschauffeur schuldig: E-Bikefahrer abgedrängt

Der Schuldspruch gegen einen RTB-Chauffeur ist auch eine Aufforderung zu rücksichtsvollem Fahren.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Mit einem 18 Meter langen Gelenkbus hat ein erfahrener, bis dahin unbescholtener RTB-Chauffeur in Rüthi einen E-Bikefahrer überholt. Nach Ansicht des Kreisgerichts Rheintal ist erwiesen, dass der Mann beim Überholen dem Velofahrer zu nahe kam, so dass dieser stürzte und sich verletzte. Der Buschauffeur setzte die Fahrt fort, weshalb er auch wegen Fahrerflucht verurteilt wurde.Chauffeur wies jede Schuld von sichDer erste Teil der Gerichtsverhandlung Mitte Februar dauerte fünf Stunden und wurde schliesslich abgebrochen, weil noch ein zweiter Polizist sowie die Beifahrerin eines hinter dem Bus im Auto unterwegs gewesenen Zeugen einvernommen werden sollten. (Die Französisch sprechende Frau war schon am ersten Prozesstag erschienen; dabei wurde klar, dass Dolmetscherdienste erforderlich waren.) Am Freitag erstreckte sich die fortgesetzte Verhandlung über weitere vier Stunden.Der Angeklagte wies von Anfang an jede Schuld von sich. Er habe korrekt überholt und beim anschliessenden Blick zurück habe er den Überholten auf seinem Zweirad gesehen. Der Velofahrer könne also erst nachher gestürzt sein. Am ersten Prozesstag Mitte Februar hatte der Buschauffeur gemeint: «Der E-Bikefahrer hatte einen klassischen Selbstunfall, den er jetzt mir anhängen will.»Ein Autofahrer konnte den Unfall beobachtenDer Velofahrer, ein pensionierter Arzt aus dem oberen Rheintal, blieb am Freitag der Verhandlung fern, sein Anwalt sprach für ihn. Was geschehen war, hatte der Arzt Mitte Februar so geschildert: Der Chauffeur des Gelenkbusses sei beim Überholen in einer leichten Rechtskurve wegen Gegenverkehrs zu früh und zu nahe auf seine Fahrbahnhälfte zurückgeschwenkt. Dabei sei er auf einen schmalen Schotterstreifen abgedrängt worden, den rechts ein Holzzaun begrenzt. Regelrecht eingeklemmt zwischen Bus und Zaun, sei er in Panik gewesen, bis der Bus an ihm vorbeigezogen und er gestürzt sei. Der hintere Teil des Gelenkbusses soll sogar die Lenkstange des Velofahrers berührt haben.Den Sturz des E-Bikefahrers und den Unfallhergang hatte ausser einem Autofahrer niemand beobachtet. Der Automobilist war hinter E-Bikefahrer und Bus unterwegs. Seine Beifahrerin, die am Freitag zum zweiten Mal aussagte (diesmal in Anwesenheit einer Dolmetscherin), war in eine Agenda vertieft und sah den Velofahrer erst, als dieser schon am Boden lag. Der erste der beiden Polizisten, die zum Unfallort gerufen worden waren, hatte die Darstellung des Velofahrers schon am ersten Verhandlungstag als plausibel bezeichnet, sein Kollege tat dies am Freitag.Polizeiarbeit war dreifach ungenügendDer Autofahrer hatte schon im Februar ausgesagt und sich so erinnert: «Es isch wahnsinnig eng gsi, wörkli eng.» Der «schön korrekt rechts» gefahrene E-Bikefahrer sei vom Bus «ganz klar abgedrängt» worden.Der Verteidiger des Buschauffeurs hatte eine ganze Reihe interessanter Argumente. Tatsächlich hatte es die Polizei versäumt, die Videoaufnahmen aus dem Bus zu sichern. Am Gelenkbus waren am Tag nach dem Unfall weder Wischspuren noch eine Beschädigung feststellbar, die auf eine Berührung mit dem Velofahrer hätten schliessen lassen. Ausser dem Autofahrer hatte niemand den Unfall gesehen, und die Zeugenaussagen waren nicht ganz frei von Widersprüchen und Unklarheiten. Was den Verteidiger irritierte: Wieso hat die Freundin des Autofahrers erst von ihrer Agenda aufgeblickt, als der Velofahrer schon am Boden lag? Wieso hat der Autofahrer, wo es für den Velofahrer doch so eng geworden sei, nicht schon vor dessen Sturz eine Bemerkung gemacht?Überholmanöver war «nicht korrekt»All diese Aspekte erachtete das Gericht mit Blick auf den eigentlichen Tatbestand als nebensächlich. Ob Gegenverkehr beim Überholen eine Rolle spielte und ob der Bus den E-Bikefahrer oder die Lenkstange des Zweirads touchierte, hatte auf das Urteil ebenso wenig Einfluss wie die Feststellung, dass die Polizei in mehrfacher Hinsicht ungenügend gearbeitet hat (Videoaufnahmen nicht sichergestellt, E-Bike-Schäden nicht fotografiert, Spurensuche am Bus nicht protokolliert). Das Gericht kam unabhängig von all dem zum Schluss: Der Buschauffeur hat das Überholmanöver nicht korrekt ausgeführt. Im Kern stimmten die Aussagen des E-Bikefahrers und des hinter ihm und dem Bus gefahrenen Automobilisten überein. Die Schilderungen seien nachvollziehbar und stringent.Der Richter erinnerte daran, dass kein Velofahrer auf einer geraden Linie fahre und dass andere Verkehrsteilnehmer stets mit seitlichen Abweichungen von Velofahrern zu rechnen hätten. Entsprechend grosse Vorsicht und ein genügender Sicherheitsabstand seien beim Überholen angezeigt. Zwar gibt es keinen gesetzlich festgelegten Mindestabstand fürs Überholen eines Velofahrers; in der aktuellen Rechtsprechung wird aber von eineinhalb Metern ausgegangen.Chauffeur hätte Sturz wahrnehmen müssenDas Gericht befand zudem, der Buschauffeur habe sich nach dem Unfall pflichtwidrig verhalten. Es wies darauf hin, dass dies auch fahrlässig geschehen sein könne. Der Richter sagte, der Buschauffeur «hätte merken müssen, dass der Velofahrer am Boden lag». Immerhin habe er nach dem Überholen zurückgeschaut; er habe also wahrgenommen, «dass etwas war». Der Fahrplan und der mit ihm verbundene Zeitdruck entbinde nicht von der Verantwortung, bei Bedarf zu halten und nachzuschauen.Das Urteil erinnert nicht nur Buschauffeure und andere Lenker von grossen Fahrzeugen an die Wichtigkeit des Abstandhaltens neben Zweiradfahrern, sondern generell alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer an die hohen Anforderungen im Strassenverkehr. Ein Mangel an Aufmerksamkeit und fehlende Rücksichtnahme können sich in einem Verfahren bitter rächen.Geldstrafe bedingt, bei  zwei Jahren ProbezeitEs handle sich um einen leichten Fall, befand der Richter, doch das pflichtwidrige Verhalten nach dem Unfall wirkt sich strafverschärfend aus.Der Buschauffeur wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 7200 Franken, bei einer Probezeit von zwei Jahren verurteilt. (Bei keinem weiteren Fehlverhalten ist dieser Betrag nicht zu bezahlen.) Dazu kommen eine zu bezahlende Busse von 840 Franken, ein dem E-Bikefahrer zu entrichtender Schadenersatz von 742 Franken, 4242 Franken Anwaltskosten für den Vertreter des Arztes, Verfahrenskosten in der Höhe von 3371 Franken sowie die Kosten für den Verteidiger. Die Gesamtsumme dürfte somit 10000 Franken deutlich übersteigen.Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Der Buschauffeur hat die Möglichkeit, die Sache weiterzuziehen und vors Kantonsgericht zu bringen. Dies birgt das Risiko weiter steigender Kosten.

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