03.04.2020

«Brauchen zweite Frau»

Die St. Margretherin Laura Bucher kandidiert für den Regierungsrat.

Von Interview: Andreas Rüdisüli
aktualisiert am 03.11.2022
Interview: Andreas Rüdisüli Laura Bucher, Dr. iur., Mutter, Musikantin, SP-Kantonsrätin, 35, will in die Regierung des Kantons St. Gallen gewählt werden. Ihre Konkurrenten sind zwei Männer, älter als sie, mit leichterem Bildungsrucksack, beide bewegen sich am anderen Ende des politischen Spektrums.In zwei Wochen, am 19. April, wird sich entscheiden, ob die politische Karriere der St. Margretherin einen weiteren Höhepunkt erreicht. Ihre Chancen scheinen intakt. Doch die Situation ist aussergewöhnlich. Ein Virus wütet, die Schweiz ist eine andere als noch vor einigen Wochen, als politische Wahlen die Menschen noch interessierten.Laura Bucher weiss das. Auch sie denkt meist an anderes. An ihre Familie in Italien zum Beispiel. Trotzdem: Die Kandidatin aus dem Rheintal stellt sich der Herausforderung. Denn der Staat, sagt sie, müsse in der Krise handlungsfähig bleiben, und das bedinge nun einmal eine komplette Regierung.ERSTER TEIL:Die aktuelle Situation Die Frage liegt nahe: Wie geht es Ihnen? Laura Bucher: Danke, es geht mir und meiner Familie gut. Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus? Mein Mann und ich arbeiten im Home Office, die Kinder werden teilweise weiterhin in der Kita betreut. Wir sind froh, dass unsere Kita noch geöffnet ist und sind den Betreuerinnen dankbar, dass sie sich unter erschwerten Bedingungen weiter so toll um die Kinder kümmern. Schwierig wird es an den Tagen, an denen wir beide arbeiten müssen – wir wechseln uns ab und haben zum Glück kulante Arbeitgeber. Sie haben Familie in Italien. Ja, und wir machen uns grosse Sorgen. Die Familie grossmütterlicherseits lebt in Bergamo, also mitten im Krisenherd. Es ist leider sehr ernst und beschäftigt uns alle gerade sehr. Am 19. April wird gewählt. Ist der Wahlkampf derzeit überhaupt ein Thema? Ich verstehe, dass in der aktuellen Lage niemand an Wahlkampf denken mag – ich am allerwenigsten. Trotzdem findet die Wahl statt, was ich richtig finde. Gerade in dieser Zeit muss der Staat handlungsfähig sein und braucht es eine komplette Regierung. Was können Sie tun? Aufgrund der Beschränkungen können keine Veranstaltungen oder Standaktionen stattfinden – etwas, das ich sehr gerne gemacht habe, der direkte Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern ist mir wichtig. Ich versuche nun, über andere Wege mit den Menschen in Kontakt zu kommen: Wir schreiben Briefe und Postkarten, ich bin in den sozialen Medien präsent und viele Engagierte führen Telefonate mit der Wählerschaft. Ist das Interesse in der Bevölkerung überhaupt da? Ja – auch wenn die Sorge um die aktuelle Lage im Vordergrund steht. Dafür habe ich Verständnis. Aber gerade vor dem Hintergrund der Coronakrise wird hautnah erlebbar, wie wichtig die vor uns liegenden politischen Entscheide und die Kräfteverhältnisse im Kantonsrat und in der Regierung sein werden. ZWEITER TEIL: Die Wahlen Die Ausgangslage für den 19. April ist klar: Zwei von drei werden es schaffen; im ersten Wahlgang vom 8. März lagen alle drei Kandidierenden innerhalb von nur 2000 Stimmen. Wie stehen Ihre Chancen? Sie sind intakt. Eine Kandidatur aus dem linken Lager ist immer auf besonders viel Engagement und Überzeugungsarbeit von einer breiten Basis angewiesen. Unser Ziel ist aber klar: Es braucht eine zweite Frau im Regierungsrat. Die Grünen haben ihre Kandidatin früh zurückgezogen und unterstützen Sie. Wer noch? Ich freue mich sehr, dass ich zudem auf Unterstützung aus der CVP, der FDP, der GLP und der EVP zählen darf. Mir kommt jetzt zugute, dass ich mich als Co-Fraktionspräsidentin und auch als Kantonsrätin stets für überparteiliche Lösungen stark mache und über die Parteigrenzen hinweg gut vernetzt bin. Die Frauenzentrale hat ein überparteiliches Frauenkomitee lanciert. Diese Frauensolidarität zu spüren, ist wunderschön. Unterstützung erhält meine Kandidatur zudem von vielen verschiedenen Verbänden. Bisher sind vier Männer und nur eine Frau gewählt. Mit Ihnen käme maximal eine dazu. Was läuft falsch? Eine angemessene Frauenvertretung sieht definitiv anders aus. Wir kämpfen in der Ostschweiz zum Teil noch mit veralteten Rollenbildern und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist noch nicht dort, wo sie sein sollte. Sie sind eine linke Frau, die sich für Kultur, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Förderung von Bildung und öV einsetzt. Warum soll Sie ein Rheintaler wählen? Gerade für das Rheintal ist es wichtig, als Region attraktiv zu sein. Dazu gehört nicht nur ein tiefer Steuerfuss, sondern eine funktionierende Infrastruktur mit öV und sicheren Velowegen, attraktive Arbeitsplätze, ein gut ausgebautes Gesundheitswesen, hervorragende Bildungseinrichtungen, genügend und bezahlbare Kinderbetreuungsplätze und ein reiches kulturelles Angebot. Dafür würde ich mich einsetzen. Gibt es klassische Rheintaler Themen, die Ihnen am Herzen liegen? Ein Thema, das allen am Herzen liegen sollte, ist die Klimapolitik. Der Klimawandel wird die Landwirtschaft im Rheintal verändern und wir haben ein Problem mit der schwindenden Artenvielfalt. Diese Probleme lösen wir eben auch in unserer Region. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder eine Zukunft haben, müssen wir rasch Massnahmen zur Senkung des CO2-Ausstosses ergreifen. Mit Blick auf das Rheintal liegt mir vor allem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie am Herzen: Hier haben wir Verbesserungspotenzial. Sie haben sich immer für die Erhaltung des Altstätter Spitals eingesetzt. Was ändert sich durch die Pandemie? Sie zeigt die Wichtigkeit der Regionalspitäler. Dank ihnen haben wir die Flexibilität, angemessen reagieren zu können, um Kapazitäten für Coronapatienten zu schaffen. Diese Krise zeigt, wie wichtig die regionale Gesundheitsversorgung ist und wie wichtig die Angestellten im Gesundheitswesen sind.DRITTER TEIL:Die Zeit danach Werden Sie gewählt, treten Sie Ihr Amt mitten in der Nach-Coronaphase an. Was soll die Regierung tun? Zunächst geht es darum, kontrolliert zu einem normalen Leben zurückzufinden; das heisst, den Schulbetrieb hochfahren, Gastrobetriebe und Läden wieder zu öffnen etc. Diese Schritte müssen in Absprache mit dem Bund erfolgen. Parallel dazu müssen die wirtschaftlichen Auswirkungen beobachtet und nötigenfalls gezielt abgefedert werden. Das gilt für Unternehmen wie für Einzelpersonen. Bei einer Wahl würde Ihre juristische Karriere wohl für längere Zeit auf Eis gelegt. Ich bin gerne Juristin und wäre das ja als Regierungsrätin weiterhin. Juristische Fragen sind in der Regierung omnipräsent. Meine Ausbildung und meine Berufserfahrung sind sicher sehr hilfreich, wenn es darum geht, eine Verwaltung und verschiedene Dossiers zu führen. Wie stark sind Sie in St. Margrethen noch integriert? Bis vor zwei Jahren habe ich die Dorfzeitschrift Mosaik mitherausgegeben, und ich bin seit über 20 Jahren Mitglied in der Musikgesellschaft. Leider musste ich mich vom Probenbetrieb dispensieren lassen, weil ich mit Beruf, Familie, Kantonsrat und Wahlkampf mehr als ausgelastet bin. Meine Familie und ich sind aber viel im Dorf unterwegs und nehmen an allen Anlässen teil.

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