17.04.2019

Bleib da! Sieh zu! Halt aus!

Die zwölfjährige Krebspatientin fragt die Pfarrerin im Spital, woher sie komme, sie kennt sie noch nicht. «Vom Himmel», antwortet diese spontan. Und das Mädchen: «Und ich geh dahin – aber sag es meiner Mutter nicht! Und du, bleib hier! Sieh zu! Halt aus!»

Von Silke Dohrmann
aktualisiert am 03.11.2022
So beginnt das Vertrauensverhältnis zwischen dem schwerkranken Mädchen und der Pfarrerin. Bald wird auch die Mutter eingeweiht, dass ihre Tochter weiss, dass sie sterben muss, aber auch sicher weiss, wohin sie geht.Eine Spitalseelsorgerin erzählte mir die Begebenheit vor vielen Jahren. Unvergesslich! Bei allem Leid empfinde ich die Geschichte als tröstlich. Der Auftrag des sterbenskranken Mädchens ist klassisch: «Bleib hier! Sieh zu! Halt aus!» Also: bleib bei mir, auch wenn es unerträglich wird!Vielleicht ist das das Geheimnis des Kreuzes Jesu, dass wir den Trost nur empfangen, wenn wir nicht davonlaufen. Und dann nicht nur Zeugen des Leidens werden, sondern auch Zeugen der Auferstehung. Die Mutter lässt sich trösten von ihrer Tochter, und diese kann im Frieden sterben.Ein Spiritual fragt: «Were you there when they crucified my Lord?» Warst du da, als sie meinen Herrn kreuzigten? Warst du da, als sie ihn an den Baum nagelten? Warst du da, als sie ihn ins Grab legten? Im Refrain werden die Angst und die Spiritualität im Schmerz in Melodie und Worte gefasst: Manchmal lässt mich das zittern und beben.Doch im letzten Vers heisst es: «Wart ihr da, als Gott ihn auferweckte aus dem Grab?»Wenn wir es schaffen, am Kreuz dabei zu bleiben, dann werden wir auch da sein, wenn der Tod überwunden wird und seinen Schrecken verliert. Jesus kennt das Leid und den Schmerz, nicht erst am Karfreitag, als er verurteilt und gekreuzigt wird. Gott, der Allmächtige, scheint hier ohnmächtig. «Warum hast du mich verlassen?», fragt Jesus seinen Vater im Himmel.Die Ohnmacht auszuhalten, ist eine der schwierigsten Aufgaben in unserem Leben.Zu wissen, eine Situation nicht ändern zu können, sondern aushalten zu müssen – aber nicht allein, sondern mit dem Tröster, dem Heiligen Geist – und vielleicht auch mit jemandem Vertrauten an der Seite.Der Apostel Paulus schreibt seiner geliebten Gemeinde in Korinth: «Der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unser Trübsal, damit auch wir trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.» (2. Korintherbrief 1,3)Das ist der göttliche Trost-Kreislauf, in den wir hineingenommen werden, wenn wir uns einlassen. Denn Trost erfahren wir nicht im Sicherheitsabstand von Leid und Schmerz. Und auch Gott, den Tröster, den Heiligen Geist, erfahren wir gerade in Situationen, wenn wir selber nicht mehr weiterwissen.«Darauf vertraue ich, darauf verlass ich mich», heisst es im Lied.In diesem Sinne grüsse ich Sie am Karfreitag.Silke DohrmannPfarrerin in Widnau und Kriessern

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