04.10.2019

«Bis zum Himmel!»

Von Silke Dohrmann
aktualisiert am 03.11.2022
«Noch einmal, noch einmal!» Unsere Enkelin möchte einen Anschwung bekommen, damit sie noch höher schaukeln kann – «bis zum Himmel!». Beim Schaukeln werden Glückshormone freigesetzt. Der Kitzel des Gefährlichen und die Lust, bis zum Himmel zu fliegen. Kindheitserinnerungen. Weltweit gibt es Schaukeln, Kettenkarussells oder Schiffschaukeln auf Spielplätzen und Märkten, sie bringen Freude! Einmal die Erde hinter sich lassen, bis zum Himmel! Auch beim Tanzen gibt es diese Erfahrung und in der Liebe – wunderbar!Ich weiss, es klingt etwas steil, aber für mich ist der Schluss des Unser Vaters ein spiritueller Anschwung, der mich in die Freude hineinkatapultiert, in die Ahnung von der Herrlichkeit, dem Glanz Gottes: «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.» Alles, was wir bitten im Unser Vater, was geschehen soll im Himmel und auf Erden mit uns und unseren Schuldnern, das hat in der Doxologie seinen Grund: «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.» Gott gehört die Zukunft und die Gestaltung der Gegenwart, Gott gibt Kraft, barmherzig zu sein, er – oder sie – gibt Fantasie, das Böse zu überwinden. Verlass dich drauf! Wir leben in einer Zeit der Umbrüche und Umwälzungen. Wie nötig brauchen wir da diesen regelmässigen Anschwung, der unseren Horizont weitet und unsere Angst tröstet. Die frühen Christen haben es dreimal am Tag gebetet. Eine afrikanische Christin rät: «Wenn jemand krank ist in der Familie, bete zwölfmal das Unser Vater!»Wir fliehen nicht in den Himmel, aber wir holen uns die Freude, den Glanz und die Kraft des Himmels, um unsere Aufgaben gestärkt und getrost anzupacken, wenn wir wieder auf dem Boden sind. Dann wünschen wir uns und unseren Nächsten das tägliche Brot und die Vergebung, die jeder Mensch braucht, und die Loslösung von dem Bösen. «Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.» Das Gebet erdet uns und «himmelt» uns, damit unsere Heimat nicht nur auf der Erde ist, sondern auch im Himmel. Ohne sie haben wir nicht den Schwung, den es braucht, standzuhalten gegen das, was das Leben auf unserer Erde bedroht.Für mich ist es ein Geschenk, dass auch unsere Enkel das Unser Vater kennen- und hoffentlich lieben lernen, noch bevor sie es verstehen. Darin sind wir verbunden mit Christinnen und Christen weltweit, mit den Generationen vor uns und nach uns und mit Jesus selbst.Lassen wir uns in die Freude hineinschwingen, immer höher, um dann mit klopfendem Herzen und strahlendem Gesicht dem Wunder die Hand hinzuhalten, dass Gott seine Welt nicht vergessen hat.Silke DohrmannPfarrerin in Widnau-Kriessern

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