19.11.2019

Bis es funkelt und glitzert

Ein halber Punkt fehlte Martin Bänziger beim australischen Facettierwettbewerb zum perfekten Schliff.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Benjamin SchmidLeise surrt die elektrisch betriebene und wassergekühlte Schleifmaschine. Feiner Staub liegt in der Luft ebenso wie der Duft von Eisen und Magnesium. Der Wolfhaldner Edelsteinschleifer Martin Bänziger sitzt in seiner Werkstatt und kittet mit Wachs einen pistazien- bis olivgrünen Peridot auf eine sogenannte Doppe. Diese befestigt er in der Schleifmaschine und bestimmt mittels Gradbogen die Lage der Facetten. Nun drückt er den Peridot auf die horizontal rotierende und mit Diamantstaub beschichtete Schleifscheibe – der Edelstein wird abgeschliffen und erhält eine Facette. Nachdem Martin Bänziger alle Facetten ausgearbeitet hat, erhält der Edelstein an einer Polierscheibe seinen letzten Schliff. War der Edelstein bis dahin noch immer recht matt, lässt ihn die Politur nun in seiner ganzen Schönheit und Brillanz erstrahlen.Stein mit derhöchsten PunktzahlMartin Bänziger nahm dieses Jahr zum sechsten Mal am jährlich stattfindenden Wettbewerb der «Australian Facetors Guild» teil. Mit einem Total von 389.86 von maximal 400 Punkten wurde der 72-Jährige Zweiter der Gesamtwertung. «Als Felix Kirchhofer, Präsident der Facettierergilde Schweiz, beim letzten Treffen das Resultat bekannt gab, habe ich mich sehr darüber gefreut», sagt Martin Bänziger. Gesamtzweiter sei ein respektables Ergebnis. Dass aber einer seiner Steine 99.5 von 100 möglichen Punkten erhielt, sei schlicht sensationell. «100 Punkte wären der perfekte Schliff gewesen», sagt der Ausserrhödler. Es sei eine schöne Bestätigung und Wertschätzung seiner Arbeit. Während in Australien Experten anhand verschiedener Kriterien die Gewinner küren, bestimmen beim 2015 entstandenen European Open die Zuschauerinnen und Zuschauer über Sieg und Niederlage. «Wenn Experten deine Arbeit begutachten und sehr gut bewerten, ist es natürlich eine grosse Ehre», sagt Martin Bänziger, «umgekehrt ist es ebenso toll, wenn Messebesucher deinen Stein zum schönsten auserwählen.» Am Allerschönsten sei es jedoch, einen besonders schwierigen oder kniffligen Schliff abzuschliessen, dass der Stein funkelt und glitzert. Steine erzählen eine Geschichte Sein Talent zum Schleifen und die Gabe, die Steine mit stoischer Ruhe und Geduld zu bearbeiten, um eine möglichst hohe Lichtausbeute und ein besonders schönes Farbenspiel zu erreichen, wurden ihm nicht in die Wiege gelegt. 1947 in Reute geboren, arbeitete Martin Bänziger bis zu seiner Pensionierung 2010 als Sozialarbeiter. «Steine und Mineralien haben mich schon immer fasziniert», sagt der Facettierer, «zuerst habe ich sie selber gesammelt, später wollte ich das Geheimnis der funkelnden und glitzernden Steine ergründen.» Je mehr er sich mit dem Thema auseinandersetzte, desto grösser wurde sein Wunsch, es selbst auszuprobieren. Die ersten Versuche waren ernüchternd, denn ein feiner Schliff und eine saubere Politur wollten nicht auf Anhieb glücken. Beinahe 30 Jahre später ist Martin Bänziger Mitglied der 2016 gegründeten Facettierergilde, hat das Handwerk verfeinert und unzählige facettenreiche Steine geschliffen. Ob Diamant, Smaragd und Rubin oder Topas, Quarz, Citrin und Amethyst: «Jeder Stein erzählt eine Geschichte», sagt der Facettierer: Hier ein Zirkon, den er nicht mit dem gewünschten Schliff schleifen konnte – da ein Aquamarin, bei dem während des Polierens eine Kante abgebrochen ist. Jener Rubin sei beim Publikum besonders gut angekommen, während dieser Spinell seine Strahlkraft partout nicht erhöhen wollte.Jedem Stein seinen SchliffDie über die Jahre angelegte Sammlung umfasst beinahe alle Sorten von Schmucksteinen, ob natürlich entstandene oder synthetisch hergestellte. Es finden sich Steine mit Brillant- und Smaragdschliff, aber auch solche mit Herz-, Navetten- oder Rosettenschliff.«Um die durch Farbe und Glanz beeinflusste Schönheit eines Schmucksteins zur Geltung zu bringen, muss er geschliffen und poliert werden», sagt Martin Bänziger. Dazu existieren zahlreiche verschiedene Schliffformen: Durchsichtige oder durchscheinende Varietäten werden in der Regel mit Facettenschliffen versehen, bei denen meist in festen Winkelbeziehungen zueinanderstehende Flächen, die sogenannten Facetten, die Lichtreflexion maximieren. Undurchsichtige Minerale erhalten hingegen glatte Schliffe. Bei perfekten Schliffproportionen wird das von oben über die Tafel einfallende Licht von den einzelnen Facetten des Steins reflektiert und wieder parallel nach oben geführt, womit das unverwechselbare und einzigartige Funkeln der Edelsteine entsteht. Je mehr Facetten ein Stein aufweist, desto schwieriger ist das Schleifen und Polieren. «Ich bearbeite lieber einen Stein mit einem einfachen Schliff, dafür sieht das Ergebnis schön aus, als einen komplizierten Schliff zu bewerkstelligen, der kaum Wirkung erzielt.» Während der Wolfhaldner Facettierer auch schon Steine mit 460 Facetten geschliffen hat, stellte Victor Tuzlukov, einer der weltbesten Edelsteinschleifer, seinen Stein «Notre Dame», den er mit 860 Facetten bearbeitet hat, in diesem Herbst der breiten Öffentlichkeit vor.

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