Die Vorentscheidung fällt zehn Minuten nach der Pause. Kevin Egbon, Widnaus linker Flügel, wird von Ceyhun Tüccar mit einem weiten Ball eingesetzt. Egbon läuft seinem Bewacher davon, umdribbelt im Strafraum einen zweiten Gegner, schlenzt den Ball mit dem linken Aussenrist in die entferntere Ecke. Ein Verteidiger lenkt den Ball endgültig zum 2:1 ins Tor.
Gut organisierter Verein
Kevin Egbon wechselt im Sommer 2021 von Rebstein zu Widnau, 18-jährig. Der Start gelingt wegen einer Bänderverletzung nicht. So kommt er erst im März 2022 zum ersten kurzen Einsatz, es folgen Teileinsätze. In der aktuellen Saison ist er Stammspieler, in jedem Match dabei, oft über 90 Minuten. «Mein Wechsel zum FCW war der richtige Entscheid. Ich bin zu einem gut organisierten Verein mit vielen tollen Menschen gekommen.»
Blickt er auf die laufende Saison zurück, sagt er: «Wir sind unglücklich gestartet, hatten dann aber einen guten Lauf.» Er ist überzeugt: «Wir haben die Qualität, in dieser Liga zu bestehen.» Wie für alle FCW-Spieler, ist auch für Kevin Egbon der Cupmatch gegen St. Gallen der sportliche Höhepunkt. Er drückt diesem seinen Stempel auf, leistet er doch mit einer Massflanke auf Timo Faleschini die Vorarbeit für dessen Jahrhunderttor. Aber er hat noch ein persönliches Highlight.
Im Cupspiel gegen Prishtina in Bern wurde ich gegen Schluss eingewechselt. Da ist mir mit einem Halbvolleyschuss von ausserhalb des Strafraums der letzte Treffer zum 4:3-Sieg geglückt.
Die wichtigen Qualitäten
In der Schlussviertelstunde des Bülach-Spiels, es geht ums Halten des knappen Vorsprungs, wird der linke Flügel in die Verteidigung geholt.
Auch hier erfüllt er seine Aufgabe perfekt. Beim Tor hat er Schnelligkeit und Technik bewiesen, nun, in der Abwehr, kommt die Kopfballstärke dazu. Damit ist klar: Er hat genau die Qualitäten, die zu einem Spieler mit Potenzial gehören. Daniel Lüchinger vom Trainerteam sagt: «Kevin hat sich ausgezeichnet entwickelt. Er kann es weit bringen.»
Wie weit? Sein Ziel formuliert er so: «Natürlich, ich habe Ambitionen und möchte so weit oben wie möglich spielen. Aber dieses Ziel strebe ich nicht verbissen an. Spiel muss auch Spass sein. Ich muss mich gut fühlen.» In diesem Team, in diesem Verein, fühlt er sich gut. Erst recht jetzt, wo die Startniederlage von Thalwil vergessen ist.
Kevin Egbon ist in Zürich geboren und verbringt die ersten Jahre in Volketswil, wo er mit Fussballspielen beginnt. Als sich die Eltern trennen, kommt Kevin – zusammen mit Bruder Manoah, der bei Rebsteins B-Junioren spielt und am Tag vor Widnau–Bülach in Appenzell ein Tor erzielt hat – und seiner Mutter nach Rebstein, wo Grosspapi und Grosi wohnen. «Ich bin oft bei ihnen.»
Nicht nur Fussball
Neben dem Fussball gefällt ihm aber auch die Leichtathletik. Mit einer Rheintal-Staffel wird er Zweiter an der Schweizer Meisterschaft, im Kids-Cup sogar Schweizer Meister.
Ich war jeden Tag auf dem Sportplatz, habe Vollgas gegeben. Zu viel. Der Körper gab mir die Antwort. Die Muskeln und die Sehnen hielten nicht stand. Ich war oft verletzt.
Mit 16 verlässt er die Leichtathletik. «Ohne Fussball kann ich aber nicht sein.»
Musikalisch
Ohne Musik auch nicht. Er spielt Schlagzeug und Klavier, Gitarre auch ein wenig. Das wird ihn in seinem Beruf begleiten.
Ich möchte Primarlehrer werden. Das ist mein Traum.
Im September beginnt er mit der Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule in Rorschach. Jetzt schon, im Zwischenjahr, erlebt er als Klassenassistent in Rebstein Schulatmosphäre.
Hilfsbereit
«Mein Vater stammt aus Nigeria. Mit ihm habe ich das Land kennengelernt – und die Armut.» Kevin Egbon sammelt in seinem Umfeld Geld, kauft Lebens- und Hilfsmittel und bringt sie an Weihnachten, zusammen mit seinem Vater, nach Benin City, einer Stadt in Nigeria. «Ich habe das schon einige Male gemacht und will es weiter tun.»
Fair
Zurück zum Spiel auf der Aegeten. Der Platzverweis für Captain Diego Liechti passt leider ins Bild. Widnau liegt in Sachen Fairness schlecht im Rennen, letzter Platz. So betrachtet, ist Kevin Egbon kein richtiger Widnauer. Er wurde in seinem ganzen Fussballerleben noch nie verwarnt. Fairness ist die ganz grosse Qualität des jungen Mannes. Kompliment.