19.09.2022

Besonderheiten eines Friedhofs

Die Friedhofkommission lud zu Führungen über den Kirchhof ein – und lüftete das eine oder andere Geheimnis.

Von Max Tinner
aktualisiert am 02.11.2022
Der Altstätter Friedhof liegt speziell. Für die eine oder den anderen führt der direkte Weg von der Heidener­strasse zur Rorschacherstrasse oder von der Bildstrasse in die Altstadt mitten durch ihn hindurch. Auf diesem Friedhof gehen ausserdem manche spazieren, selbst wenn keine Angehörigen auf diesem Friedhof zur letzten Ruhe gebettet wurden. Für sie ist er eine gepflegte Parkanlage, wo sie sich auch gerne in die Werke der Bildhauer und anderen Künstlerinnen und Künstler auf den Gräbern und entlang der Wege vertiefen. Dabei nimmt man unter Umständen manches wahr, was einen rätselhaft dünkt. Was hat es etwa mit den Gräbern auf sich, die weitaus länger stehen als die übliche Grabesruhe dauert? Was mit der einzelnen von Putten flankierten Grabkerze am Rand eines Rasenfelds? Vielfältige Natur und eine verblüffende ArchitekturAm Samstag fand erstmals in Altstätten ein Tag des Friedhofs statt, mit Themenführungen, bei denen so manches Geheimnis gelüftet wurde. So erklärte etwa Friedhofsgärtner Kevin Möhl, wie er diese üppigen Blumenwiesen zustande bringt. Sie erfreuen die Herzen der Besucherinnen und Besucher auf dem Friedhof dermassen, dass Schilder aufgestellt werden mussten, auf denen gebeten wird, man möge sich doch bitte keine Sträusse pflücken. Das viele Lob für die Arbeit des Gärtners sei mit ein Grund für den Friedhoftag gewesen, sagte Stadtrat Daniel Schelling, welcher der Friedhofkommission vorsteht. Doch nicht nur die Blumenpracht ist (als Folge der gewählten Samenmischungen) vielfältig – auch die Tierwelt ist es: Ornithologen hätten hier über 60 Vogelarten gezählt.Nach dem Rundgang mit Friedhofsgärtner Möhl zeigte Alexander Kobler, der Leiter der Unterhaltsdienste der Stadt, einen Plan der Friedhofsanlage: Und der verblüfft – man meint, den Grundriss einer Kathedrale mit angegliederter punktgespiegelter kleinerer Kapelle zu betrachten: mit Chorraum, Kreuzgang und Bankreihen für die Kirchgängerinnen und Kirchgänger. Das sei nicht ganz so, stellt Daniel Schelling richtig. Eine Kirche habe der Friedhofsarchitekt beim Entwerfen der Anlage seines Wissens nicht darstellen wollen – aber etwas mit ähnlicher Form: Kirchenfenster.Voller Symbole: Die Kunst hilft über die Trauer hinwegOhnehin ist der Friedhof voller Symbole – nicht zuletzt auf den Grabmälern, die grösstenteils von einheimischen Bildhauern und Kunstschmieden geschaffen wurden. Geri Aigner, Gregor Weder und Markus Buschor führten zu einigen exemplarisch ausgewählten hin. Für die eidgenössische Steuerverwaltung seien die Grabmäler allerdings keine Kunst, weshalb sie Mehrwertsteuer darauf erhebe – und doch berührten und bewegten diese Werke die Menschen ungemein, sagte Gregor Weder. Noch nach vielen Jahren in seinem Beruf als Bildhauer sei er sich noch nicht schlüssig, ob er für die Verstorbenen oder für die Hinterbliebenen arbeite. Die Grabmäler und die weitere Kunst auf dem Friedhof seien für die Trauernden wertvoll, betonte auch Markus Buschor: «Die Kunst hilft zu heilen.» Seit wenigen Monaten gibt es auf dem Altstätter Friedhof zudem ein Museumsfeld mit Grabmälern und Grabkreuzen aus unterschiedlichen Zeiten. Sie veranschaulichen, wie sich die Bestattungskultur im Lauf der Zeit verändert hat.[caption_left:Auf dem Altstätter Friedhof gibt es neu ein Museumsfeld mit Grabmälern aus verschiedenen Epochen. Geri Aigner erläutert hier gerade die Besonderheiten der schmiedeisernen Kreuze.]Um die eingangs aufgeworfenen Fragen zu beantworten: Die Grabesruhe ist nicht für alle Bestattungsarten dieselbe, wie Robin Wessner, die Leiterin des Bestattungsamts, erklärt. Für ein Reihengrab etwa dauert sie 20 Jahre. Für Familiengräber hingegen dauert sie 40 Jahre – und deren Miete kann um bis zu 20 Jahre verlängert werden.Ans und aufs Grab stellen darf man nicht alles. Je nach Art des Grabes ist mehr erlaubt oder fast gar nichts. Die Details regeln drei Erlasse zum Bestattungswesen – die Bürokratie macht nicht einmal vor dem Tod Halt! Erlaubt ist, was nicht störtEigentlich wäre auch die erwähnte Grabkerze mit den beigestellten Engeln auf dem Rasenfeld nicht erlaubt. Hier befanden sich zuvor Kindergräber. Die Angehörigen eines der verstorbenen Kinder haben aber auch nach der 15-jährigen Grabesruhe mit ihrem Verlust noch nicht abgeschlossen und kommen weiterhin an den früheren Grabplatz ihres Kindes, auf den sie die Kerze und die Engel gestellt haben. «Solange es Einzelfälle sind, toleriert man sie», sagt Robin Wessner. Der Friedhofsgärtner nehme Kerze und Figuren vor dem Mähen weg und stelle sie danach wieder drauf. Dies erklärt aber auch bereits, weshalb dies nicht mehr ginge, würden es viele tun – der Unterhalt des Friedhofs würde bis ins Unmögliche erschwert.Toleranz und gegenseitige Rücksichtnahme sind an diesem Ort, wo die Leute zum Trauern hinkommen, essenziell. Was nicht störe, sei auch kein Problem, hält Daniel Schelling fest. Deshalb ist es den Leuten anders als auf anderen Friedhöfen beispielsweise auch erlaubt, ihre Hunde hierhin mitzunehmen –  solange sie keinen übermässigen Radau machen. «Der Friedhof ist auch ein Ort der Lebenden», brachte Pfarrer Marcel Ammann diese Haltung zum Ausdruck. Das leere GrabDrama I. Das unten abgebildete Grab ist leer. Die Grabplatte hatte die Frau, deren Name darauf zu lesen ist, selbst beim Altstätter Kunstschmied Geri Aigner in Auftrag gegeben. Die beiden hatten oft miteinander geplaudert, wenn die Frau auf einem ihrer ausgedehnten Spaziergänge an Aigners Werkstatt vorbeikam. Doch dann, im April vor fünf Jahren, verschwand die damals 90-Jährige spurlos. Die Kantonspolizei veröffentlichte eine Vermisstenmeldung.Aigner ging das nah.  Aus seinen Gesprächen mit der Frau kannte er einige Orte, wo sie gerne hinging. Die habe er der Polizei genannt, wie er erzählt. Doch selbst die Suche mit Spürhunden sei erfolglos geblieben. Genauso wie seine eigenen Suchen im Wald ob Altstätten auf Wegen entlang steil abfallender Hänge, von denen er dachte, sie könnte dort abgestürzt sein.2020 wurde auf dem Friedhof eine Gedenkstätte eingerichtet, mit ebenjener Grabplatte, die Aigner im Auftrag der Frau selbst angefertigt hatte und die er dann um die Jahrzahl ih­-res Verschwindens ergänzte. «So tragisch das Verschwinden der Altstätterin ist: Nun haben die Angehörigen wenigstens ei­nen Ort, an dem sie für sie beten können», meint Aigner.[caption_left:Die Gedenkstätte für die seit fünf Jahren vermisste Altstätterin. Die Grabplatte hatte sie selbst in Auftrag gegeben.] Die FriedhofkatzeDrama II. Eine Tragödie spielte sich ab, als die Katze verschwand, die während acht Jahren von regelmässigen Besu­cherinnen und Besuchern des Friedhofs Altstätten umsorgt worden war. Sogar Kosten für den Tierarzt hatten sie laut einem Bericht von «FM1 Today» auf sich genommen. Aber dann hat eine tierliebe Frau in der Migros nach einem neuen Plätzchen für die Katze gesucht, in der irrigen Meinung, niemand kümmere sich um das Tier. Wenig später war es verschwunden. Den Leuten, die der Katze geschaut hatten, zerriss es schier das Herz. Der neue Friedhofsgärtner wurde verdächtigt. Die Frau, die die Ausschreibung ausgehängt hatte, wurde öffentlich angefeindet. Eine Tierschützerin reichte Strafanklage ein. Wer die Katze zu sich genommen hat, kam ebenso wenig aus, wie wem sie ursprünglich gehört hatte. Mittlerweile sind zweieinhalb Jahre vergangen. Und auf dem Friedhof Altstätten gibt es eine neue Friedhofkatze.[caption_left:Die neue Friedhofkatze liegt meist in hohem Gras am Rand des Friedhofs. (Bild: Wenke Tinner)]Keine weisse wie die frühere, sondern eine rot getigerte. Sie ist auch weniger zutraulich als die frühere. Doch der Zuneigung der Besucherinnen und Besucher auf dem Friedhof darf auch sie sich sicher sein: Im Kolumbarium, einem Gebäude mit zwei Urnenwänden, haben sie ihr ein Bettchen bereitgestellt, wie schon der früheren. Sie benutze es aber nicht, sagt Friedhofsgärtner Kevin Möhl, jedenfalls habe er sie noch nie darin liegen gesehen. Lieber hält sie sich offenbar in einem geschützten Unterschlupf im hohen Gras am Rand des Friedhofs auf.[caption_left:Tierliebe Trauernde haben auch dieser Katze in einer Ecke neben den Urnenwänden ein Bettchen bereitgestellt. ]

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