07.04.2020

Berührende Szenen an der Grenze

Verliebte, getrennte Familien und Bekannte treffen sich im Rheinvorland – unter verschärften Bedingungen.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Seit Kurzem ist der Kiesweg, der Diepoldsau und Lustenau über den Rheindamm verbindet, mehr als nur ein Spazier- und Veloweg. Der Weg führt direkt zur Grünen Grenze und bringt Menschen zusammen, die eine Beziehung über die Grenze hinweg pflegen. Hier begegnen sie sich in Sicht- und Hörweite.Zwei Absperrbänder lassen Nähe nur mit dem gebotenen Abstand zu. «Absurd», entfährt es einer Passantin. «Eben erst war nur ein Band gespannt.» Durch die Bänder und vereinzelten Zäune entstand ein etwa drei Meter breiter Korridor.Die Grenzwacht handelte, weil sie an der Grünen Grenze vermehrt Menschenansammlungen und Verstösse gegen die Reisebeschränkungen festgestellt hatte. «Vereinzelt mussten Bussen ausgesprochen oder zusätzliche Signalisationen und Absperrungen angebracht werden», sagt Matthias Simmen, Mediensprecher Eidgenössische Zollverwaltung EZV. Die Massnahmen, die eine Ausbreitung des Coronavirus verhindern sollen, werden strikt umgesetzt.Drei Generationen begegnen sichDas hält viele Menschen nicht davon ab, sich an der Grünen Grenze aufzuhalten. Am beliebten Treffpunkt verabredete sich auch Fabienne Hagen aus Diepoldsau mit ihren Eltern, die in Lustenau wohnen.Die Mutter hatte Geburtstag und die Tochter warf das Geschenk, einen Schoggihasen, kurzerhand über die Bänder in die Arme der Eltern. Sie lachen, machen sich aber auch Gedanken, zu welchen Einschränkungen Corona führt: «Bisher haben wir bedenkenlos die Grenze überquert.»Fabienne Hagen hob ihre kleine Tochter aus dem Veloanhänger hoch, damit ihre Grosseltern sie sehen konnten. «Wir vermissen es, unsere Enkelin in die Arme zu nehmen», sagen sie. Nun winken sie dem kleinen Mädchen zu.Ein Date, das Grenzen überwindetEtwas versteckt hinter dem Damm, direkt am Rheinufer, machte es sich ein frisch verliebtes Paar auf den warmen Steinen gemütlich. Der Vorarlberger aus Nenzing und die Widnauerin sind erst seit einem Monat zusammen. Kurz danach stellte Corona den Alltag auf den Kopf, der Grenzverkehr wurde eingeschränkt, die international Verliebten sahen sich nur noch am Handy.Johannes Fadum lebt in Nenzing, dem Dorf, das rund zwei Wochen unter Isolation stand, wegen eines rasanten Anstiegs der Verdachtsfälle. Seit Ende letzter Woche ist das Betreten und Verlassen der Gemeinde wieder erlaubt. Der junge Mann setzte sich in den Zug – «ich hatte ein ganzes Abteil für mich allein» – und erschien zum Date am Rhein.Jasmin Poljansek kannte den Platz, da sie manchmal im Rheinvorland spazieren geht. Ihre Eltern erzählten, hier würden sich viele Paare treffen. «Es hat sich gelohnt», sagen die beiden 22-Jährigen und lächeln.Corona mache den Anfang ihrer Beziehung zwar etwas kompliziert, sagt Johannes Fadum. «Aber was soll man sich aufregen, es nützt nichts», meint Jasmin Poljansek. Sie genossen die Zeit zu zweit, so lange, bis sich Johannes auf den Weg machte, um den letzten Zug nach Hause zu erwischen.Der Bruder aus der Türkei muss ausharrenErsin Dogan aus Au traf an der Grünen Grenze seinen Bruder. Dieser kam aus der Türkei zu Besuch und ist bereits seit einem Monat in Vorarlberg. Ursprünglich wollte er nur drei Wochen bleiben. Nach einer Woche Aufenthalt schlossen die Grenzen, Flüge in die Türkei fallen aus. «Er ist momentan Gast bei einer Tante in Lustenau», sagt Ersin Dogan. «Weil er nicht zurückfliegen kann, ist nun sein Job in der Türkei in Gefahr.»Ersin Dogan schätzt die Möglichkeit, auf dem Rheindamm ein paar persönliche Worte zu wechseln. Das tue gut während der angespannten Situation. Er ist darauf bedacht, die Verhaltensregeln einzuhalten und nimmt Social Distancing ernst.Innert kurzer Zeit habe sich die Stimmung aber grundsätzlich geändert, sagt Ersin Dogan, der bereits mehrmals die Grüne Grenze aufsuchte. Den Umgang mancher Beamten, denen er begegnete, nimmt er als schroff wahr. Das schüre eine ungute Stimmung und Angst. Die ausserordentliche Lage ist eine Belastungsprobe für die gesamte Bevölkerung.Gemäss Eidgenössischer Zollverwaltung mussten Grenzwächter in letzter Zeit wiederholt fehlbare Personen zurechtweisen. Strafbar macht sich, wer die geschlossene Grenze überquert, wer Waren an nicht geöffneten Grenzübergängen abgibt und annimmt sowie wer Grenzabsperrungen oder Schilder wegräumt oder beschädigt.Den Wunsch, der momentane Zustand ändere sich bald wieder zugunsten des gewohnt unbeschwerten Grenzverkehrs, äusserten alle getroffenen Menschen ungefragt.

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