05.08.2022

Bella Italia in St. Margrethen: Ein Besuch auf der Autobahnraststätte

Autobahnraststätten gelten als wenig einladend. Ein Besuch in St. Margrethen zeigt, dass ihnen zu Unrecht ein schlechter Ruf vorauseilt.

Von Enrico Kampmann
aktualisiert am 02.11.2022
Ein junger Mann in schwarzem Baumwollpulli steht bei 25 Grad in der Morgensonne neben seinem weissen Ford mit Zürcher Kennzeichen. In der einen Hand eine Zigarette, die er mit gierigen Zügen innerhalb zweier Minuten dezimiert, in der anderen sein Handy. «Einen schönen Ort hast du dir ausgesucht», sagt die Fotografin, während sie ihre Kamera auspackt. Man versteht sie kaum im Getöse der vorbeibrausenden Sattelschlepper. Trotz des Lärms ist ein gewisser Sarkasmus nicht zu überhören. Dabei ist die Autobahnraststätte St. Margrethen Süd durchaus hübsch gelegen, direkt am Fusse eines üppig bewaldeten Hügels, auf dem das Schloss Weinberg thront. Und obendrein ganz in der Nähe des Bodensees. Wären da nicht die dröhnende Autobahn, die vier Meter hohe Lärmschutzwand aus Beton und der penetrante Benzingeruch, könnte glatt Ferienstimmung aufkommen.Ein Ort für NebensächlichkeitenEin älterer Herr lehnt an der Motorhaube seines Renaults mit Berner Kennzeichen und raucht ebenfalls eine Zigarette. Leute aus ganz Europa trudeln hier ein und aneinander vorbei. Aus Deutschland, Frankreich, Ungarn, Zürich, Basel und dem Thurgau. Nur ein St. Galler Nummernschild fehlt an diesem Morgen. Da es die St. Galler wohl am nächsten bis nach Hause haben, rasten sie vielleicht doch lieber dort, so schön gelegen die Raststätte auch sein mag. Auf Autobahnraststätten verweilt man nicht. Hier kommt man vorbei. Es sind eben Transitorte, an denen man nur flüchtig die vermeintlich nebensächlichen Dinge des Lebens erledigt: pinkeln, rauchen, Kaffee trinken, sich eine kurze Verschnaufpause von den schreienden Kindern auf dem Rücksitz gönnen. Besonders für letzteres gibt es wohl kaum einen Ort, der sich besser eignet als die Autobahnraststätte St. Margrethen Süd. Denn nebst einem Burger King, der Kinder mit fettigem Essen und Plastikspielzeug zu bestechen weiss, gibt es hier auch eine knallrote Burger-King-Rutschbahn, bei der sich die Kleinen nach langem Rumsitzen im Auto austoben können. Und nicht nur die Kleinen erfreuen sich daran. Heute zwängt sich ein junger Vater ebenfalls in die Rutschbahn, nachdem seine Tochter es vorgemacht hat.Dem Kommunismus vorausNur wenige Meter weiter auf der Pflastersteinterrasse unter  einem Sonnenschirm tänzelt eine fein gekleidete Dame hin und her und streckt sich. Auch sie hat nach langer Fahrt offensichtlich Bewegungsdrang. Als sie und ihr Partner im eleganten Kaschmir-Cardigan ihren Kaffee getrunken haben, gehen sie zurück zum schwarzen SUV, der anmutet, als würde der Präsident der Vereinigten Staaten darin herumkutschiert. Just in diesem Moment laufen auch zwei junge Handwerker mit tätowierten Waden und umgedrehten Baseballcaps zu ihrem in die Jahre gekommenen Subaru. Beide mit einem Sack Burger und Fritten in der Hand. Trotz all ihrer Differenzen sind die Menschen hier an der Autobahnraststätte doch alle irgendwie gleich. Wie an Flughäfen, wo alle lediglich Reisende sind, wie in der Rekrutenschule, wo alle unten durch müssen, wie an der Fastnacht, wo alle zu tief ins Glas schauen, so sind auch auf der Autobahnraststätte die sozialen Gefälle und Spannungen, die sich durch unsere Gesellschaft graben, für einen Moment ausgelöscht. Jede und jeder muss mal pinkeln, jede und jeder braucht mal eine Stärkung – und eine Pause von den Kindern. So wird auf Autobahnraststätten völlig selbstverständlich eine Utopie gelebt, der die Verfechter des Kommunismus seit bald 200 Jahren vergeblich hinterherjagen.Ein Fleck Italien kurz vor ÖsterreichDoch das eigentliche Highlight der Autobahnraststätte St. Margrethen Süd ist nicht der vermeintliche Siegeszug des Egalitarismus. Auch nicht die knallrote Rutschbahn. Nein, es ist die Leuchttafel mit dem rot-weissen Schriftzug «Autogrill», die das Raststättengebäude krönt. Wer regelmässig im Sommer nach Italien in die Ferien fährt, kennt das Gefühl. Schon im Januar freut man sich über den ersten Espresso im Juli hinter der Grenze in einem Autogrill. Er kostet 1.10 Euro und schmeckt um Welten besser als jener im Einstein in St. Gallen. Auch fantasiert die Italien-Urlauberin an jenen kalten Wintertagen schon über den ersten Biss ins Bufalino – ein Panino mit Büffelmozzarella und feinstem Parmaschinken. Besser als jedes Sandwich, das man in jedem noch so angesagten Hipsterschuppen an der Kulturmeile Zürich West bekommt. Und das an einer Autobahnraststätte. Ach, Bella Italia!Wer seine Italienferien bereits hinter sich hat, kann nun an der Raststätte in St. Margrethen in Erinnerungen schwelgen. Die Brötchen samt Bufalino, Reginella und Caprese, sind wie in der Heimat liebevoll im Glastresen zur Schau gestellt. Der Kaffee ist von derselben Marke, ebenfalls an einer Kolbenmaschine gemacht, serviert im schicken Porzellantässchen. Er schmeckt fantastisch.Es fühlt sich an wie ein kleiner Fleck Italien an der Schweiz-Österreichischen Grenze. Schliesst man die Augen, sitzt man einen Moment lang auf einer Piazza in Florenz, die Sonne im Gesicht und eine angenehme Brise im Haar. Leider holt einen der Preis von 4.90 Franken für einen  Espresso dann doch recht schnell wieder in die Schweiz zurück.Nun wäre es durchaus interessant, hier aufzuführen, wie sich Autogrillraststätten in der Schweiz gegen die Konkurrenz schlagen, die ja meistens dreckiges Wasser in Pappbechern servieren. Und wie viele Menschen verirren sich überhaupt jeden Tag an die Autobahnraststätte St. Margrethen? Und kommt der Büffelmozzarella im Bufalino aus der Schweiz oder aus Italien?Leider bleiben diese Fragen vorerst unbeantwortet. Auf eine E-Mail und mehrere Anrufe an das Hauptquartier von Autogrill Schweiz in Olten kam keine Reaktion. Und eigentlich ist das eine gute Nachricht. Denn trotz des hohen Leistungsdrucks und der pingeligen Pünktlichkeit, die in der Schweiz herrschen, bleibt der Konzern seinen italienischen Wurzeln treu. Nicht nur beim Espresso und den feinen Panini, sondern offenbar auch bei der Zuverlässigkeit und der Arbeitsmoral.

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